Nothing Phone (2) im Test: Ein blinkendes Möchtegern-Flaggschiff
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Die Smartphonemarke Nothing ist gekommen, um zu bleiben. Ein Jahr nach ihrem Debüt mit dem Nothing Phone (1) bringt das in London ansässige Unternehmen den Nachfolger auf den Markt. Das Nothing Phone (2) ist zumindest äußerlich stark an den Vorgänger angelehnt, Unterschiede finden sich aber im Innern des Smartphones - und beim Preis.
Die Strategie von Nothing ist klar: Das Unternehmen will als Premiummarke wahrgenommen werden, jedoch mit Preisen aus dem mittleren Segment. Das Nothing Phone (1) startete im Vorjahr um einen Preis von 469 Euro, mittlerweile ist das Gerät aber deutlich unter 400 Euro zu haben. Für den extra Touch an Einzigartigkeit sorgte das sogenannte Glyph: leuchtende LED-Elemente, die unter der Glasrückseiten in Streifen angeordnet sind.
Nothing Phone (2) mit Neuheiten beim Glyph
Nothing Phone (2) bleibt diesem Design treu. Beim Update sind die Glyph-Streifen allerdings nicht mehr durchgängig angeordnet, sondern mehrmals unterbrochen. Anstatt 5 Elemente kommt man so auf 11 separate Elemente. Außerdem sparte sich Nothing dadurch LEDs ein. Waren beim Vorgänger noch 974 Stück verbaut, sind es beim Nothing Phone (2) nur noch 781.
Geht es nach Nothing-Gründer Carl Pei ersetzt das Glyph einen Teil der Benachrichtigungen, sodass man nicht mehr so oft auf den Smartphonebildschirm schauen muss. Bei eingehenden Nachrichten oder Anrufen leuchtet es auf, beim Nothing Phone 2 kann man sogar einen Teil (genauer gesagt: den Strich in der rechten oberen Ecke) für eine bestimmte Person oder App reservieren. “Essentials” nennt Nothing diese Spielerei. Bei einer Nachricht der ausgewählten Person bleibt dieser Teil des Glyphs erleuchtet, bis man die Benachrichtigung liest oder wegwischt. Das erinnert an die LED-Benachrichtigungslämpchen, die es vor Jahren bei Smartphones gab.
So sehr ich meinem damaligen Smartphone mit Benachrichtungs-LED nachtrauere: Nach einem Jahr Nutzung des Nothing Phone (1) ist das Glyph für mich immer noch nicht mehr als eine Spielerei. Ich kann es mir unmöglich angewöhnen, mein Smartphone mit dem Bildschirm nach unten auf den Tisch zu legen. Will ich von aufploppenden Benachrichtigungen nicht gestört werden, lasse ich es direkt in der Tasche. Ich glaube kaum, dass die neuen Glyph-Funktionen des Nothing Phone (2) das ändern könnten.
Da hilft auch nicht, dass Nothing es anderen Apps erlaubt, auf die Glyph-Funktion zuzugreifen. Fahrdienstleister Uber zeigt so etwa über einen LED-Streifen an, wie weit ein Auto noch entfernt ist. Je näher das Auto kommt, desto voller wird der Streifen. Ein Blick auf den Bildschirm reicht jedoch aus, um diese Information deutlich genauer zu erhalten. Außerdem ist Uber bislang die einzige App, die ein solches Feature anbietet. Wie viele andere Apps dazukommen, ist unklar, aber immerhin hat Nothing die Schnittstelle zum Glyph für Entwickler*innen freigegeben. Das ist löblich.
Die neue Taschenlampenfunktion des Glyphs möchte ich nicht mehr missen, beim Phone (1) dürfte die aber beim nächsten Update dazukommen. Das Nothing Phone (2) verfügt zudem über einen “Glyph Composer” (auf Deutsch nennen sie es "Komponist"), mit dem man sich eigene Klingeltöne und das dazu passende Lichtspiel erstellen kann. Immer neue Soundsets und Kooperationen, etwa mit der Musikgruppe Swedish House Mafia, sollen darin für Abwechslung sorgen. Auch diese Funktion sehe ich eher als Spielerei.
Besserer Bildschirm
Die Glasrückseite des Smartphones ist dieses Mal leicht abgerundet, wodurch das Handy insgesamt besser in der Hand liegt. Darunter sieht man das dunkelgraue oder weiße Interieur. Im Vergleich zu seinem Vorgänger ist das Nothing Phone (2) einen Millimeter breiter und 3 Millimeter länger, die Verarbeitung ist bei beiden Geräten auf höchstem Niveau. Der OLED-Bildschirm (2.412 x 1.080 Pixel) erhielt ebenso ein Upgrade, 6,7-Zoll beträgt seine Diagonale nun (statt 6,55 Zoll).
Dank dynamischer Aktualisierungsrate wechselt die Anzeige automatisch zwischen 1 und 120 Hz, was flüssige Bedienung verspricht, ohne den Akku allzu sehr zu beanspruchen. Das konnte das Nothing Phone (1) nicht. Das Display ist auch etwas heller als beim Vorgänger und auch bei direkter Sonneneinstrahlung gut lesbar. Außerdem handelt es sich um ein Always-On-Display, wo bestimmte Informationen auch im gesperrten Zustand angezeigt werden können.
Der Fingerabdrucksensor funktioniert. Er ist zwar gut erreichbar und auch sehr zuverlässig, die Reaktionsgeschwindigkeit könnte meiner Meinung nach allerdings etwas flotter sein (Nachtrag: Durch ein Update ist er auch flotter geworden). Die Ränder des Bildschirms sind symmetrisch und etwas dünner als beim ersten Nothing-Gerät (etwa 2 Millimeter). Die Frontkamera schaut dieses Mal mittig aus ihrem Loch, was zusätzlich zur Symmetrie beiträgt.
Kameras: Aus mittelmäßig wurde richtig gut
Die Frontkamera ist auch die einzige Kamera, die ein größeres Update erhielt. Statt mit 16 MP löst sie inzwischen mit 32 MP auf, was man auch auf den Selfies bemerkt. Die Farben sind satter, die Details etwas schärfer und auch der Porträtmodus funktioniert unter nicht allzu schlechten Lichtverhältnissen ganz gut. Bei extremen Gegenlicht kann aber auch das Nothing Phone (2) keine Wunder wirken.
Selfies
3 Bilder
Etwas enttäuschend sind allerdings die Kameras auf der Rückseite. Hier wurde nur ein marginal besserer Sensor verwendet und auch die deutlich stärkere Rechenpower beim Nothing Phone (2) macht die Fotos der 50-MP-Hauptkamera und der 50-MP-Weitwinkelkamera nicht sichtbar besser. Dachte ich zumindest am Anfang.
Verglichen mit den Bildern des Nothing Phone (1) war es Geschmacksache, welche Fotos man präferiert. Nahaufnahmen stellte das Phone (2) besser dar, bei Nachtaufnahmen hätte ich wiederum zum Phone (1) gegriffen. Beide Kameras rangierten in der Kategorie “gute Mittelklasse”, wobei beim Nothing Phone 2 meiner Meinung nach einige Punkte bei der Nachbearbeitung auf der Strecke gelassen wurden.
links: © Strobl
rechts: © Strobl
Nachtmodus beim Phone (1) vs Phone (2) vor dem Update
Das Foto wurde wirklich bei sehr dunklen Lichtverhältnissen aufgenommen.
Kurz nach Fertigstellung dieses Textes kam bereits das 2. Softwareupdate in diesem Monat, das einige Verbesserungen bei der Kamera brachte. Besonders die Nachtaufnahmen wurden deutlich heller, beim Zoom wurde nachgebessert, bei der Schärfe sowie beim dynamischen Umfang. Also ging es wieder raus ins Freie, um noch ein paar Testfotos zu schießen.
links: © Strobl
rechts: © Strobl
Nachtfoto nach dem Update: Phone (1) vs. Phone (2)
Ich konnte zwar die Kamera nach dem Update zwar nur kurz austesten, war jedoch positiv davon überrascht. Während ich am Anfang keine großen Qualitätsunterschiede zum Nothing Phone (1) ausmachen konnte, kann ich jetzt sagen: "Die Kamera des Nothing Phone (2) ist meiner Ansicht nach durchwegs besser als die des Vorgängers."
Einige Vergleichsfotos gibt es hier. Auf einem Testbild des Nothing Phone (2) folgt jeweils ein Bild, das ich mit dem Nothing Phone (1) geschossen habe. Ich habe dabei versucht, möglichst aus der gleichen Position und mit gleichen Lichtverhältnissen zu fotografieren.
Testfotos Nothing Phone (2) vs Nothing Phone (1)
14 Bilder
Anmerkung zum Update
Auch der Fingerabdrucksensor reagierte nach dem Update spürbar schneller und laut Nothing wurde auch das Problem mit den leisen Lautsprechern behoben. Zudem soll die Netzwerkstabilität erhöht worden sein, womit ich zuvor allerdings keine Probleme hatte. Nothing scheint jedoch das Feedback aus der Community ernst zu nehmen und gerade zu Produktstart mehrere Updates auszuliefern.
Auch bei den Videos profitiert das Nothing Phone (2) vom stärkeren Prozessor. 4K-Videos lassen sich damit mit 60 fps aufnehmen. Die Hauptkamera verfügt dabei über optische und elektronische Bildstabilisierung, bei Front- und Weitwinkelkamera muss man sich mit reiner elektronischen Bildstabilisierung zufriedengeben.
Neue Benutzeroberfläche dank NothingOS 2
Die Software ist auch ein Punkt, worauf Nothing dieses Mal besonders Wert gelegt hat. Auch hier hält sich das Unternehmen an sein Motto: nicht von Benachrichtigungen und Apps ablenken lassen und das Smartphone spärlich verwenden. Um das zu erreichen, werden etwa die App-Symbole optional monochrom dargestellt. Das funktionierte in der ersten Version des Launchers sehr gut, neben eigenen Nothing-Designs wurden die Symbole nicht unterstützter Apps einfach Grau überpinselt. Das kennt man etwa auch von verschiedenen Tools zur Reduktion der eigenen Smartphonenutzung. Durch eine Aktualisierung des Launchers wurde diese Funktion bei mir allerdings wieder aufgehoben, sodass nicht unterstützte Apps wieder Farbe erhielten (siehe Foto). Ich nehme an, dass sich das in einem weiteren Softwareupdate wieder ändern wird.
Alle Apps in Graustufen vs. einige Apps in Graustufen
Ob die Schwarz-Weiß-Symbole auch den gewünschten Effekt erzielen und die Handyzeit vermindern, sei dahingestellt. Meine Kollegin hat dazu bereits einen Selbsttest veröffentlicht.
➤ Mehr lesen: Smartphone im Schwarz-Weiß-Modus nutzen: Das hat es mit mir gemacht
Neu dazugekommen sind eine Vielzahl von Widgets, mit denen man Apps nutzen kann, ohne eben die App an sich zu öffnen. Sogar auf dem Sperrbildschirm lassen sich einige Widgets anordnen, wie etwa ein QR-Code-Scanner, Taschenlampe, verschiedene Schnelleinstellungen oder etwa eine Wetteranzeige. Die Widgets sind dabei ein “Work in Progress” und werden laufend erweitert. Unter der Benutzeroberfläche “Nothing OS 2” werkt ein reines Android 13 ohne viel Schnickschnack, Bloatware oder gar Werbungen. Nothing OS 2 gibt es momentan nur für das Nothing Phone (2), Ende August soll aber auch das Nothing Phone (1) auf die neue Benutzeroberfläche aktualisiert werden. Versionsupdates soll das Smartphone bis Android 16 erhalten, Sicherheitsupdates bis Mitte 2027.
Was Updates und Bug-Fixes angeht, reagiert das Start-up generell sehr flott. Das muss es auch, denn das junge Unternehmen kann es sich nicht leisten, Kund*innen durch fehlerhafte Software zu verlieren. Zwar läuft das System insgesamt flüssig, hie und da tritt aber hin und wieder ein Bug auf. So war bei meinem Testgerät etwa plötzlich die Maximallautstärke der Stereo-Lautsprecher hörbar beschränkt. Ein Neustart sowie die Lautstärkeänderung direkt in den Einstellungen (nicht über die Lautstärkewippe) hat das Problem allerdings behoben. Nutzer*innen müssen sich allerdings auch bewusst sein, dass bei einem ein Jahr alten Unternehmen immer noch einige Kinderkrankheiten auftreten können. Bisher leistete sich das 450 Mitarbeiter*innen starke Unternehmen aber keine gröberen Schnitzer.
Top-Prozessor aus dem Vorjahr
Einen großen Sprung macht das Nothing Phone (2) in puncto Rechenleistung. Statt für einen Mittelklasse-Prozessor entschied man sich für einen Flagship-Prozessor, wenn auch aus dem Vorjahr. Der Snapdragon 8+ Gen 1 ist wohl eines der gewichtigsten Argumente, sich für das Nothing Phone (2) zu entscheiden. Der Prozessor hat sich bereits in anderen Top-Smartphones wie der “Samsung Galaxy S22”-Reihe (Global Version) oder dem Xiaomi 12 Pro bewährt und liefert selbst für die aufwändigsten Spiele genug Leistung. Hier merkt man den größten Unterschied zum Nothing Phone (1), werkt darin mit dem Snapdragon 778G+ ein wirklicher Mittelklasseprozessor.
Bei alltäglichen Anwendungen fällt der Unterschied allerdings geringer aus. Einzelne Apps öffnen vielleicht 1, 2 Sekunden früher oder Webseiten laden eine Sekunde schneller. Dass Nothing nicht auf den aktuellen Top-Prozessor, den Snapdragon 8+ Gen 2 setzt, hat ökonomische Gründe. Der Chip ist deutlich teurer und die Unterschiede seien für Standard-User*innen kaum auszumachen.
Nothing Phone (2) mit hervorragender Akkulaufzeit
So ein Chip braucht natürlich entsprechend Strom. Dieser kommt von einer 4.700-mAh-Batterie, die sich mit 45 Watt laden lässt (kabellos mit 15 Watt). Auch Reverse Charging mit 5 Watt ist möglich. Geladen ist das Handy von 0 auf 100 Prozent in knapp einer Stunde. Damit kommt man locker über den Tag, das Testprogramm PCMARK lief mehr als 17 Stunden durch (bei mittlerer Displayhelligkeit), bevor sich der Akku von 90 Prozent auf 20 Prozent entladen hatte.
Bei grafikintensiven Anwendungen heizt sich das Telefon allerdings, wie auch sein Vorgänger, deutlich auf. 41 Grad erreichte das Smartphone im Stresstest, wodurch das Smartphone seine Leistung deutlich drosselte, um nicht zu überhitzen. Glücklicherweise stellt der Snapdragon 8+ Gen 1 aber auch gedrosselt genügend Leistung zur Verfügung, um das Vorjahresmodell deutlich zu übertrumpfen.
Was die Kommunikation angeht, spielt das Nothing Phone (2) dank des Top-Prozessors alle Stückeln. 5G (sogar mit physischem Dual-SIM-Slot, keine eSIM), Wifi 6, 2.4G/5G-Dualband, Bluetooth 5.3, NFT, GPS, A-GPS, GLONASS, BDS, GALILEO und noch einige weitere Navigationssatellitensysteme werden unterstützt. Das Gesamtpaket ist zwar nicht wasserdicht, aber laut IP54-Standard gegen Spritzwasser geschützt.
Deutlich höherer Preis als beim Vorgänger
Die Verbesserungen haben allerdings ihren Preis. Die kleinste Variante (8/128 GB) ist für 649 Euro zu haben, für das 12/256-Modell werden 699 Euro fällig (auf Amazon knapp 705 Euro). Wer 12 GB RAM und 512 GB Systemspeicher braucht, muss 799 Euro (knapp 806 Euro bei Amazon) auf den Tisch legen. Im Vorjahr starteten die Preise noch bei 469 Euro (8/128 GB), das Top-Modell (12/256 GB) lag bei 549 Euro.
Kann man ein Smartphone mit dieser Ausstattung und für 700 Euro noch als Mittelklasse bezeichnen? Ähnliche Preise zahlt man für das Samsung Galaxy S22 aus dem Vorjahr. Das Google Pixel 7a mit schwächerem Prozessor, aber besserer Kamera gibt es bereits um 150 Euro weniger (128-GB-Variante).
Fazit: Welches Gerät ist das richtige für mich?
Sollte man also lieber zum Nothing Phone (1) oder zum Nothing Phone (2) greifen? Noch vor 2 Wochen hätte ich zum Vorjahresgerät geraten, zu wenig stachen mir die Verbesserungen des Phone (2) hervor. Nach den Updates bin ich mir nicht mehr so sicher. Dank des Snapdragon 8+ Gen 1 ist das Potenzial für das Phone (2) deutlich höher und wohl auch noch nicht ausgereizt. Wer anspruchsvolle Spiele spielt, ist mit diesem Prozessor besser aufgehoben und auch zukunftssicherer unterwegs.
Für alltägliche Aufgaben reicht auch das Vorjahresmodell, bei dem es sich immer noch um ein gutes Mittelklassehandy handelt. Preislich liegt die 12/256-Variante gerade bei etwa 450 Euro, also um 100 Euro tiefer als beim Verkaufsstart. Ist ein mehr als 50-prozentiger Aufschlag für das Phone (2) gerechtfertigt? Wer gerade nicht dringend ein neues Smartphone braucht, sollte noch einige Monate abwarten. Am Black Friday im November ist vielleicht ein Schnäppchen möglich. Bis dahin hat man wohl auch noch den einen oder anderen Bug beseitigt und weitere Funktionen hinzugefügt.
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