Jemand macht mit dem Smartphone ein Foto von einem Monarchfalter.

Ein Smartphone ist das Hauptwerkzeug bei vielen Citizen-Science-Projekten.

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Citizen Science: So wirst du zum Freizeit-Forscher

Forschung, das klingt für viele nach teuren Hightech-Instrumenten, weißen Kitteln im Labor und komplizierten Fachartikeln hinter Paywalls oder den Mauern von Uni-Bibliotheken. Tatsächlich geht es auf dem Weg zu neuem Wissen sehr oft vor allem um systematische Beobachtung und Auswertung großer Datenmengen. 

Und das geht auch ohne einschlägiges Studium. Nötig sind allein Begeisterung für das Thema, Zeit und die Einhaltung wissenschaftlicher Kriterien

Citizen-Science-Projekte laden Bürgerinnen und Bürger explizit ein, an Forschungsprojekten mitzuwirken. Dadurch wird einerseits wertvolles Schwarmwissen genutzt, andererseits die Distanz zwischen Wissenschaft und Gesellschaft reduziert. Wir stellen 5 Projekte vor.

Teebeutel vergraben für die Klimaforschung 

Egal, ob abgebrochene Äste, tote Insekten oder Biomüll: Abgestorbenes organisches Material wird im Boden früher oder später zersetzt. Dadurch werden einerseits die Nährstoffe wieder verfügbar, andererseits wird auch CO2 freigesetzt. Schnelle Zersetzung führt zu erhöhten Emissionen, ein langsamer Abbau dagegen erhöht die Speicherung des Kohlenstoffs im Boden. 

Dieser Prozess ist Teil des globalen Kohlenstoffkreislaufs und hängt damit auch mit dem Klimawandel zusammen. Je besser man die Zersetzungsprozesse in verschiedenen Böden versteht, desto bessere Modellierungen sind möglich. 

Und hier kommt das weltweite Projekt Tea Bag Index ins Spiel. Es nutzt Grüntee und Roibos in handelsüblichen Beuteln von Lipton sowie eine Feinwaage als Messinstrument für Bodenzersetzung: Man vergräbt die Teebeutel, trägt in der „Tea Bag Index“-App Standort, Bodenbeschaffenheit und ein Foto ein. 

Nach 3 Monaten gräbt man sie wieder aus, lässt sie 3 Tage lang trocknen und wiegt sie dann ab. Das Restgewicht des Tees und die übrigen Daten werden dann von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit genutzt, um die Zersetzungsgeschwindigkeit zu analysieren

Das Projekt läuft bereits seit über 10 Jahren. 2019 beteiligten sich u.a. auf Initiative der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) 150 Schulklassen aus Österreich am Tea Bag Index.

Wolken, Landbedeckung, Moskitos und Bäume beobachten

Beim Projekt Globe Observer der NASA steht ebenfalls die langfristige Beobachtung des Klimawandels und seiner Auswirkungen im Fokus. In der gleichnamigen App (für Android und iOS), die auch auf Deutsch verfügbar ist, kann man von überall auf der Erde aus Umweltdaten sammeln, um die Satellitendaten der NASA sozusagen „von der anderen Seite aus“ zu ergänzen.

➤ Mehr lesen: Wie Satellitendaten im Kampf gegen die Klimakatastrophe helfen

Man kann die Wolkendecke am eigenen Standort charakterisieren, oder die Landbedeckung festhalten. Jeder 100-mal 100-Meter-große Bereich wird dann ein Pixel auf der entsprechenden weltweiten Landkarte, die helfen soll, Gefahren für Überschwemmungen, Waldbrände und Wildtier-Lebensräume zu analysieren.

Außerdem kann man im Rahmen von Globe Observer die Baumhöhen in einem bestimmten Gebiet erfassen. Das hilft, die Messgenauigkeit von Satelliten und Flugmissionen der NASA zum Kohlenstoffhaushalt der Erde zu verbessern. Mit der App ist es weiters möglich, Lebensräume von Moskitos zu kartieren. Die Ausbreitung von Krankheiten, die von Moskitos übertragen werden, soll so besser überwacht werden.

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Wenn man von Wolken oder Moskito-Arten keine Ahnung hat, ist das übrigens nicht schlimm: Die App führt einen Schritt für Schritt durch den Bestimmungsprozess, sodass man nebenbei noch einiges über die Natur lernt. Gamification mit „Badges“ und „Streaks“, wie man sie z.B. von Duolingo kennt, soll motivieren, regelmäßig zur Datensammlung beizutragen.

Arten bestimmen und Biodiversität bewahren

Die biologische Vielfalt auf unserer Erde ist noch lange nicht wissenschaftlich erschlossen. Die US-Plattform iNaturalist hat sich zum Ziel gesetzt, das mithilfe von Millionen Citizen Scientists weltweit zu ändern und die Biodiversität zu bewahren.

In der App oder auf der Webseite kann man Pflanzen und Tiere, die man in der eigenen Umgebung beobachtet, eintragen. Die Community hilft gegebenenfalls bei der Bestimmung, die aggregierten Daten helfen Forscherinnen und Forschern, z.B. die Häufigkeit bestimmter Arten zu schätzen

Citizen Scientist entdeckt neue Fliegenart

2019 lud der Nutzer „Homemountain“ alias Shan Gui aus China drei hochauflösende Fotos einer Fliege auf die Citizen-Science-Plattform „iNaturalist“. Er konnte die Art nicht bestimmen und bat die Community um Hilfe.

Einige Monate später kommentierte der kalifornische Insektenforscher Shaun L. Winterton den Beitrag – er vermutete eine neue Art. Und tatsächlich: diese Stilettfliege, die in ihrem Aussehen einer Hummel ähnelt, war noch nicht wissenschaftlich bestimmt.

Winterton veröffentlichte daraufhin in einer Fachzeitschrift einen Artikel über die neuentdeckte Fliege.  Angelehnt an den Namen des Finders benannte er die Art „Sinothereva shangui“.

Das ist bei weitem nicht der einzige Fall, in dem naturbegeisterte Laien einen wesentlichen Beitrag zur Forschung leisten: Laut einer aktuellen Studie wurden die von Citizen Scientists auf iNaturalist gesammelten Daten mittlerweile in tausenden wissenschaftlichen Artikeln zitiert.

Eine Sinothereva shangui-Fliege.

Dieses Bild der neu entdeckten Sinothereva shangui-Fliege stammt von iNaturalist und ziert nun den Wikipedia-Artikel der Art.

Hundertjährige Handschriften entziffern

Wer lieber am Schreibtisch sitzt als draußen Moskitos zu zählen oder im Boden herumzugraben, könnte mit dem Crowdsourcing-Projekt des Wien Museum seine Freude haben. Die hunderttausenden historischen Briefe und Postkarten sowie Theaterzettel in der physischen Sammlung sollen in den kommenden Jahren digitalisiert und online zugänglich gemacht werden. Damit sie auch einfach lesbar und verstehbar werden, sind Citizen Scientists gefragt.

Screenshot von crowdsourcing.wien mit einem Briefumschlag von 1916.

Screenshot von crowdsourcing.wien mit einem Briefumschlag von 1916

Auf der Webseite des Projekts kann man die Dokumente transkribieren, sowie die Transkriptionen anderer prüfen. Eine Buchstabentabelle hilft beim Entziffern der Kurrentschrift. Neben Einblicken in das Alltagsleben während des ersten Weltkrieges oder während des „Roten Wien“ ab 1920 finden sich dort auch Autogrammkarten.

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Weben wie vor 3500 Jahren

In eine ganz andere Richtung geht #tableweavehallstatt: Das Projekt des Naturhistorischen Museum in Wien beschäftigt sich mit Textilien aus dem Salzbergbau in Hallstatt zwischen 1500 und 300 v. Chr.

Im Sinne der experimentellen Archäologie hat ein Team von Forschenden und Handarbeits-Nerds die Webtechniken rekonstruiert, mit denen eisenzeitliche Bänder hergestellt wurden. Die so erstellten Anleitungen für Brettchenwebereien finden sich auf Pinterest – mit dem expliziten Aufruf, mit ihrer Hilfe eigene Bänder zu fertigen, auf sozialen Netzwerken zu teilen und die Anleitungen ggf. zu korrigieren.

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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Jana Wiese

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