Mehrere Zecken sitzen auf einem Getreidehalm

Wiesenzeckenweibchen lauern möglichen Wirten, z.B. Hunden, meist in Gruppen auf.

© Michiel

Science

Zecken füttern für die Forschung

„Viele Menschen würden Zecken gerne ausrotten – wir wollen sie bei uns im Labor so froh wie möglich machen. Nur so können wir herausfinden, was in der Natur passiert“, sagt Michiel Wijnveld. Der 42-jährige ist Leiter der Forschungsgruppe zu Zecken und Zecken-assoziierten Mikroorganismen an der Medizinischen Universität (Med Uni) Wien. 

Sein Team überwacht einerseits das natürliche Vorkommen von Zecken mit einem Schwerpunkt auf Ostösterreich. Andererseits untersucht es die Krankheitserreger, die mit Zecken einhergehen und für Menschen gefährlich werden können. Und zuletzt wird im Labor erforscht, wie Zecken, Krankheitserreger und Wirte interagieren.

Zecken füttern

Das Team um den Mikrobiologen entwickelt im Zecken-Labor der Med Uni Wien derzeit ein künstliches Fütterungssystem weiter. Es besteht aus einer transparenten Röhre mit einer Silikonmembran, die die Haut des Wirts imitiert.

„Wir geben Tierhaare, zum Beispiel von einem Hund, darauf, damit es für die Zecken noch mehr so wirkt, als seien sie auf einem Wirt“, erklärt Wijnveld. Unter der Membran befindet sich Blut, oberhalb davon werden die Zecken ausgesetzt, in der Hoffnung, dass sie zustechen. Die Röhre steht in einem Wasserbad, das einerseits das Blut warmhält, andererseits die Tiere zusätzlich vorm Entkommen abhält: „Zecken können nicht schwimmen“, betont Wijnveld.

Zecken auf einer rötlichen Silikonmembran mit Tierhaaren

Erwachsene Zecken saugen 24 bis 36 Stunden an einem Wirt –  oder wie hier, an der Silikonmembran des künstlichen Fütterungssystems.

Anders als gemeinhin angenommen „beißen“ die Spinnentiere nicht zu, sondern bohren sich mit ihrem pfeilförmigen Mundwerkzeug in die Haut oder durch das Silikon. Danach „kleben“ sie sich fest und beginnen zu saugen. Die Zecken kommunizieren dabei offenbar untereinander, meint der Forscher: „Sobald eine anfängt, zu saugen, tun das die anderen auch.“

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Übertragung von Krankheitserregern

Im Fütterungssystem versetzt er das Blut teilweise absichtlich mit Krankheitserregern, um beobachten zu können, wie die Übertragung abläuft. Andersherum untersucht er auch das Blut auf Erreger, nachdem die Zecken fertiggefressen haben.

In der Natur saugt der gemeine Holzbock, die häufigste Zeckenart hierzulande, bei der ersten seiner 3 Mahlzeiten als Larve häufig an Mäusen. Diese sind sogenannte Reservoirtiere für Borrelien, das heißt, sie tragen die Bakterien, die beim Menschen Lyme-Borreliose auslösen können, im Blut, ohne davon negativ beeinflusst zu werden.

Lyme-Borreliose

20 bis 30 Prozent der Zecken in Österreich tragen Borrelien in sich, die beim Menschen Lyme-Borreliose verursachen können. Akut zeigt sich diese häufig als sogenannte Wanderröte, erklärt Selma Tobudic, Leiterin der Borrelioseambulanz im AKH Wien. Das ist ein roter, meist ringförmiger Fleck, der um den Zeckenstich herum entsteht. Dieser müsse über 5 Zentimeter Durchmesser haben, um ihn von einer anderen, zum Beispiel allergischen, Reaktion zu unterscheiden. 

Sollte man so einen Fleck am eigenen Körper entdecken, sollte man rasch zum Hausarzt gehen. Mit Antibiotika sei diese Art der Borreliose sehr gut behandelbar, betont die Ärztin. In sehr seltenen Fällen kommt es kurz nach dem Stich zur sogenannten Neuroborreliose, bei der die Bakterien das Nervensystem befallen. Es ist gekennzeichnet von hohem Fieber, Nackensteifigkeit und Gesichtslähmungen. In diesem Fall sollte man sofort ins Krankenhaus. 

Neuroborreliose kann auch 3 bis 6 Monate nach dem Stich auftreten. Dabei wird die Haut um den Stich dünn wie Zigarettenpapier, was ebenfalls sehr selten passiere. Die Lyme-Arthritis, bei der die Bakterien die Gelenke angreifen und diese stark anschwellen lassen, komme in Österreich kaum vor.

„Man braucht keine Panik haben, die Wahrscheinlichkeit durch Borrelien schwer zu erkranken, ist sehr niedrig“, sagt Tobudic. Das derzeit größere Problem seien Fehldiagnosen, bei denen die bestehenden Symptome gar nicht von diesen Bakterien verursacht wurden.

Die Zeckenlarve nimmt die Borrelien beim Fressen in ihr Verdauungssystem auf. Wenn sie sich zur Nymphe verwandelt, wandern die Bakterien auch in den Speichel, sodass diese beim Stich auf den nächsten Wirt, zum Beispiel einen Menschen, übergehen können. Auch im dritten Lebensabschnitt der Zecke, in der Geschlechtsreife, können Menschen mit Borrelien angesteckt werden.  

Ein Weibchen der hierzulande häufigsten Zeckenart gemeiner Holzbock, lauert auf einen Wirt

Ein Weibchen der hierzulande häufigsten Zeckenart, gemeiner Holzbock, lauert auf einen Wirt.

Silikon-Membran statt Tierversuch

Im Labor lässt Wijnveld die Zecken an der Membran in das jeweils nächste Stadium wachsen, also von der Larve zur Nymphe oder von der Nymphe zum geschlechtsreifen Tier. Anschließend entnimmt er sie und untersucht einzelne Organe per DNA-Analyse auf Krankheitserreger. Er versucht außerdem, gefundene Mikroorganismen extra zu kultivieren, um zu überprüfen, ob sie lebendig sind und die Zecke tatsächlich angesteckt haben.

Bevor Zecken im Labor mithilfe künstlicher Silikonmembran gefüttert werden konnten, setzte man sie auf die geschorene Haut verschiedener Tiere, zum Beispiel Schafe oder Mäuse. „Ehrlich gesagt ist es mir lieber, mit dem Fütterungssystem zu arbeiten als mit lebendigen Tieren. Außerdem spielt auch das Immunsystem eine Rolle“, erzählt der Mikrobiologe. Will man die Übertragung von Krankheitserregern erforschen, könne man da vom Tier nur schwer auf den Menschen schließen. 

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Doch auch bei den Silikonmembranen gibt es noch Verbesserungsbedarf: „Das ist ein offenes System. Damit das Blut nicht verdirbt, müssen wir häufig Stoffe gegen Bakterien und Pilze hinzufügen, was die Zecken natürlich auch beeinflusst“, schildert Wijnveld. Sein Ziel ist es, eine standardisierte Nährflüssigkeit zu entwickeln, um noch bessere Ergebnisse zu bekommen.

Komplexe Interaktion zwischen Zecken, Erregern und Wirt

„Wir wollen herausfinden, wie der ganze Prozess funktioniert“, sagt Wijnveld. Früher habe man angenommen, dass es mehrere Tage dauert, bis Krankheitserreger von Zecken auf den Menschen übergehen. Neuesten Erkenntnissen zufolge, kann es auch in wenigen Stunden geschehen. Der Forscher rät deshalb, eine Zecke nach Entdeckung sofort zu entfernen.

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Die Interaktion zwischen Zecken, Borrelien und anderen Krankheitserregern sei komplex. Sie haben sich gemeinsam entwickelt und profitieren teilweise gegenseitig voneinander. Das Bakterium könne sich etwa mithilfe von Proteinen im Zeckenspeichel vor dem menschlichen Immunsystem „verstecken“: „Ein Mensch infiziert sich eher mit Borrelien, wenn diese mit Zecken-Speichel einhergehen, als ohne“, sagt der Forscher. 

Feldforschung in Wiener Naherholungsgebieten

Wijnveld verbringt seine Zeit nicht nur bei den etwa 1.000 erwachsenen Zecken im Labor der Med Uni Wien. Regelmäßig betreibt er mit seinem Team Feldforschung. Im Frühsommer 2019 und 2020 etwa haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zecken im Rahmen einer Studie in 7 Wiener Naherholungsgebieten, darunter Lainzer Tiergarten, Donauinsel und Grüner Prater, gesammelt.

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Auf der Donauinsel fanden die Forscherinnen und Forscher viele Zecken.

Sie haben dafür ein weißes Tuch über die Grünflächen gezogen und die so gesammelten Exemplare im Labor analysiert. 2019 waren knapp 29 Prozent mit Borrelien infiziert, 2020 waren es 21 Prozent. Er hofft, diese Gebiete bald erneut untersuchen zu können, um Vergleichswerte zu erhalten. 

Ohne regelmäßige Überwachung seien Zeckenvorkommen und damit verbundene Krankheitserreger enorm schwierig einzuschätzen, weil so viele Faktoren eine Rolle spielen, sagt Wijnveld. Mit dem Klimawandel und Extremwetterereignissen werde alles noch viel komplizierter. Mit Verweis auf weit verbreitete Annahmen zu Zecken stellt er jedoch klar: „Es gibt keine zeckenfreie Jahreszeit in Österreich. Und Zecken fallen auch nicht von Bäumen.“

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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Jana Wiese

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