Warum die EU einen digitalen Zwilling des Ozeans baut
Den Weltmeeren geht es nicht gut. Dabei sind wir von ihnen abhängig. Sie versorgen uns mit Nahrung, beeinflussen unser Klima und bieten Tieren und Pflanzen eine Heimat.
Die EU setzt derzeit gemeinsam mit der Mercator Stiftung ein ehrgeiziges Projekt um. Wissenschaftler*innen bauen eine digitale Kopie des Ozeans, die 2024 fertig sein soll. Das Computerprogramm soll Bürger*innen und Politiker*innen mit mehr Wissen über die Meere versorgen und bei Entscheidungen darüber helfen. Mit der Einspeisung von gigantischen Datenmengen wird so eine Simulation entstehen, die passende Lösungswege für Probleme wie Umweltschutz und Meerbewirtschaftung aufzeigen soll.
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Bessere Entscheidungen
Will etwa ein Fischereiunternehmen eine neue Aquakultur bauen, soll es dann in dem Computerprogramm namens Edito einsehen können, wo eine geeignete Stelle dafür wäre. Wo schwimmen viele Nährstoffe? Genügt die Qualität des Wassers oder ist es durch andere Fischzuchten bereits zu stark belastet?
Die EU-Vision für das digitale Meer geht noch viel weiter. Auch sogenannte „sozioökonomische Daten“ sollen einfließen – etwa wie viele Menschen in einer Küstenregion von der Fischerei leben, ob Tourismus dort wichtig ist oder wie viele Arbeitslose es gibt, die in der neuen Fischfarm arbeiten könnten. Auf einen Blick soll Edito Forscher*innen, Unternehmer*innen, Bürger*innen und Politiker*innen mit einem gigantischen und verständlichen Wissensvorrat versorgen. Sogar in die Zukunft und Vergangenheit des Ozeans soll man mit dem Programm reisen können.
Ein bisschen erinnert das neue EU-Projekt an Computerspiele wie „SimCity“ oder „Farmville“. Dort konnte man eine Stadt oder einen Bauernhof bewirtschaften und zuschauen, wie sich ihre Entscheidungen auswirken: Etwa, wie Kohlekraftwerke Nachbarn unglücklich machen, weil sie die Umwelt verpesten.
In der Fachsprache heißt das, was die EU plant, „Digitaler Zwilling“. Diese virtuelle Nachbildung von etwas Wirklichem wird sonst oft bei Maschinen verwendet, etwa um den Verschleiß von Bauteilen vorauszuberechnen. Auch Gebäude oder ganze Städte werden von solchen Zwillingen mittlerweile kopiert. Ziel ist eine bessere Grundlage für Entscheidungen zu schaffen. Digitale Zwillinge können zeigen, welche Probleme auftreten, wenn bestimmte Dinge in einem System verändert werden.
An der Universität Wien startet dazu nun ein Forschungsprojekt, das von der Politwissenschaftlerin Alice Vadrot geleitet wird. „Zeitgleich entstehen derzeit in verschiedenen Weltregionen solche technischen Instrumente für politische Probleme wie den Umgang mit dem Ozean“, erklärt Vadrot.
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Forschungsprojekt TwinPolitics an der Uni Wien
Ihr Forschungsprojekt TwinPolitics untersucht, ob das gelingen kann oder damit nicht zu viel versprochen wird. Fraglich ist, ob die Datenlage für das ehrgeizige Projekt überhaupt ausreicht und welche Informationen in Edito einfließen werden. „Ein großer Teil des Meeresbodens wurde etwa noch gar nicht genau kartiert“, meint Vadrot. Außerdem verändere sich die Lage zum Teil andauernd – Fischschwärme bleiben schließlich nicht an einem Ort. Besonders genau wollen sich die Wiener Forscher*innen jedoch ansehen, wie der Zwilling als politisches Instrument eingesetzt wird.
Befürworter des digitalen Meeres glauben, dass die heutige Datenbasis bereits ausreicht, um eine Simulation des echten Meeres zu erschaffen. Mit Hilfe von Supercomputern und Künstlicher Intelligenz soll der Zwilling entstehen und daraus mehr Wissen über den Ozean generieren, als es bisher gibt. „Derzeit werden viele Initiativen gestartet, die diese Datenlücken schließen können. Der digitale Zwilling kommt zum richtigen Moment“, glaubt auch Vadrot. Sie sieht in dem Projekt vor allem eine große Chance für den Artenschutz.
Visuelle Daten statt Excel-Tabellen
Die EU hat sich in Abkommen dazu verpflichtet, bis 2030 zahlreiche Ökosysteme wieder herzustellen – auch im Ozean. Je mehr Wissen über diese Lebenswelten besteht, desto eher können Probleme angegangen werden. Vadrot glaubt, dass eine grafische Darstellung solcher Problemzonen, wie es Edito ermöglichen wird, bei Entscheidungsträgern viel mehr Bewusstsein schafft, als etwa bloß eine Tabelle. Sie erinnert sich an einen Forscher, der Politiker von einem Naturschutzgebiet überzeugen konnte: „Er zeigte ihnen optisch aufbereitete Karten vom Meeresboden. Plötzlich sahen sie mehr als bloß eine blaue Farbfläche und erhielten so ein besseres Verständnis des Lebensraumes.“
Der Erfolg hänge aber auch vom Umgang ab: Würde der Ozean-Zwilling z.B. vor allem dazu genutzt, die Erträge aus der Fischzucht zu maximieren, wäre den bedrohten Arten wenig geholfen. Grundsätzlich gebe es jedoch sinnvolle Verwendungen, glaubt Vadrot.
Wie Daten im Meer gesammelt werden
Im Meer messen Sensoren etwa den Salzgehalt und sie registrieren, wie viele Fische jeden Tag vorbeischwimmen. Der Copernicus-Meeresumweltüberwachungsdienst kann damit ein paar Tage im Vorhinein Vorhersagen für die Meere erstellen. Diese Informationen sind öffentlich und für jedermann einsehbar.
Dafür wurden überall im Ozean verschiedene technische Messgeräte platziert: Am Meeresgrund befestigt, schwimmend als Bojen, an Schiffen und am Festland. Die so gewonnenen Aufzeichnungen werden mit denen der Erdbeobachtungssatelliten kombiniert. Die Datenmassen werden in Rechenzentren ausgewertet und dann von Forschern für ihre Projekte genutzt.
Die Messungen werden dann z.B. dazu verwendet, um geeignete Standorte für Offshore-Windplattformen zu finden.
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