Selbstfahrendes Auto von Mobileye hält automatisch an einer roten Ampel

Selbstfahrendes Auto von Mobileye hält automatisch an einer roten Ampel

© Mobileye

Science

"Ein Roboterauto kann nicht wie deine alte Oma fahren"

In Wien fanden zuletzt zwei große Veranstaltungen im Zeichen der Verkehrsforschung statt, der Fachkongress Transport Research Arena (TRA2018) und das Event "DC Mobility" im Start-up-Zentrum weXelerate. Autonomes Fahren war bei beiden ein großes Thema. Im Rahmen von "DC Mobility" sprach unter anderem Lior Sethon, der Deputy General Manager der Aftermarket Division von Mobileye. Das israelische Unternehmen gilt als führender Player bei Kameratechnik für selbstfahrende Autos. US-Chipgigant Intel hat sich die Firma 2017 um 15,3 Milliarden Dollar einverleibt und all seine Mobilitätsaktivitäten an die neue Tochter ausgelagert.

Chaotischer Verkehr

Mobileye verfolgt bei der Entwicklung seiner Technologie ein großes langfristiges Ziel. Die Anzahl an Verkehrsunfällen auf der Welt soll auf Null reduziert werden. Um dahin zu kommen, müsse man autonomen Fahrzeugen allerdings zunächst beibringen, sich optimal in den Straßenverkehr einzufügen und in vielen Belangen "wie ein Mensch zu fahren", meint Sethon. Das sei eine enorm schwierige Aufgabe. Zur Untermauerung dieser Feststellung zeigt Sethon bei seinem Vortrag im weXelerate ein Video, das den chaotischen Verkehr rund um den Triumphbogen in Paris zeigt (ungefähr so wie dieses). "Bereits das Einordnen auf einer anderen Fahrspur ist eine große Herausforderung. Mobileye hat seine Technologie so weiterentwickelt, dass eine Erfolgsrate von 99,95 Prozent erzielt wird."

Verhandlungssache

"Fahren bedeutet ständiges Verhandeln", meint Sethon. "Wenn ein Roboterauto bei diesen Verhandlungen immer nachgibt, wird die Idee nicht skalierbar sein", schließlich möchte man als Passagier eines autonomen Autos genauso rasch im Verkehr vorankommen, wie alle anderen Verkehrsteilnehmer. "Das autonome Fahrzeug kann nicht wie deine alte Oma fahren. Es muss mit Selbstvertrauen und einem Verständnis für die Regeln unterwegs sein." Während dem Mensch seine Intuition zur Verfügung stehe, profitiere ein autonomes Fahrzeug von extrem schneller Datenverarbeitung.

Maschinen dürfen nicht töten

Sicherheit habe beim Fahren aber oberste Priorität. "Wir sind gewöhnt daran, dass ein Mensch einen anderen tötet, aber die Gesellschaft akzeptiert nicht, wenn es eine Maschine tut", meint Sethon. "Man kann niemals zu 100 Prozent garantieren, dass ein Roboterauto nicht in einen Unfall verwickelt wird, aber man kann garantieren, dass es den Unfall nicht verschuldet." Neben der präzisen sensorischen Erfassung der Fahrzeugumgebung halte Mobileye es für notwendig, selbstfahrenden Autos klare Entscheidungsrichtlinien zur Verfügung zu stellen.

"Wir haben gesunden Menschenverstand in mathematische Formeln übersetzt und einen Algorithmus entwickelt, der sichere Entscheidungen im Verkehr trifft", meint Sethon. Bei Mobileye hat dieses Prinzip den Namen Responsibility-Sensitive Safety - kurz: RSS - erhalten. RSS soll selbstfahrenden Autos etwas vermitteln, das Intuition nahekommt. "Ein Roboterauto muss fast 100 Prozent aller Entscheidungen selbst treffen können."

Unabhängigkeit

Bei einer Diskussionsrunde im Anschluss an Sethons Vortrag betont Matthias von T-Mobile Austria die Bedeutung von Kommunikation zwischen autonomen Fahrzeugen und ihrer Infrastruktur (zusammengefasst V2X). Das zukünftige 5G-Netz sei laut Fiegl maßgeblich dafür ausgelegt. Sethon widerspricht diesem Argument: "5G kann eine Hilfe sein, aber unsere Technologie verlässt sich nicht auf die Infrastruktur. Wo es ein Mobilfunknetz gibt, sind Unterschiede bei der Netzabdeckung wahrscheinlich. Aber Autos, die etwa in Wien funktionieren und in Graz aber nicht, kauft keiner."

Mobileye setze darauf, Sensordaten zu Verkehrswegen in einer Cloud-Datenbank zu sammeln und allen Fahrzeugen mit Mobileye-Technologie zur Verfügung zu stellen. Eine große Bandbreite und besonders geringe Latenzzeiten, wie 5G es verspricht, benötige man dafür aber nicht. "Wir laden nur Dinge in die Cloud hoch, die eine Abweichung von vorhandenen Daten darstellen. Das sind nur kleine Datenmengen." Auch von anderen Diensten, etwa zugelieferten Wetterdaten, will sich Mobileye nicht abhängig machen. Sethon: "Unsere Kameras können Straßenbedingungen erkennen. Aber wir reden mit Unternehmen wie Ubimet, um solche Daten als zusätzliche Sicherheitsebene anzubieten."

Die Frage nach dem "wann"

Eine bei Vorträgen und Diskussionen rund um das Thema autonomes Fahren stets gestellte Frage durfte auch bei DC Mobility nicht fehlen: Wann kommen die Roboterautos? Matthias Fiegl von T-Mobile rechnet damit, dass in 15 Jahren 50 Prozent aller Autofahrer ein autonomes Fahrzeug fahren. Georg Wawer vom Wetterdaten-Dienstleister Ubimet rechnet mit 20 Jahren. Lior Sethon von Mobileye meint: "Es wird schneller gehen. Autos mit dem Fahrzeugautonom-Level 5 kommen 2020 oder 2021 auf den Markt. Kein Stein wird dann auf dem anderen bleiben. Wir werden die Industrie ermutigen, in diese Richtung zu gehen - und es gibt ja nicht nur uns, sondern auch Google etc."

Die Frage nach dem "wann" beschäftigte auch die Teilnehmer eines Diskussionsrunde zur Fahrzeugautonomie bei der Verkehrsforschungs-Konferenz TRA2018. MIT-Verkehrsforscherin Katja Schechtner, die für die OECD arbeitet, ist überzeugt, dass es noch 15 Jahre dauern wird, bis man autonome Autos auf der Straße sieht.

An Veränderungen gewöhnt

Stephan Rammler vom deutschen Institut für Transportation Design ist da skeptisch: "In der Geschichte gab es noch keinen Fall, wo eine neue Technologie derart schnell die Führung übernommen hätte. Selbst wenn morgen ein Level-5-Auto erscheint, würde es lange dauern, bis diese Technologie sich manifestiert." Im Straßenbild werden Roboterautos seiner Meinung nach erst zwischen 2060 und 2070 auffallen. Katja Schechtner kontert: "Die Einführung neuer Technologien geht heute wesentlich schneller. Die Gesellschaft ist gewöhnt an schnelle Veränderungen."

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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