
Den Gletscher am Großglockner gibt es nicht mehr lange. Künftig könnte man ihn für touristische Zwecke mit Schneekanonen beschneien.
Was das Ende der Gletscher für unser Trinkwasser bedeutet
Bis zur Jahrhundertwende werden die Alpen im Sommer eisfrei sein. Die meisten der über 900 heimischen Gletscher werden aber schon vorher verloren sein.
Forscher haben berechnet, dass es schneller geht als in anderen Gegenden der Welt: „In den Alpen ist fast 40 Prozent des Gletschervolumens in nur 20 Jahren verloren gegangen. 2050 wird nicht mehr viel Eis übrig sein“, sagt Tobias Bolch von der TU Graz, der an der Studie beteiligt war.
Alpengletscher schmelzen schneller als alle anderen
Zum Vergleich: Von den rund 275.000 Gletschern der Erde sind insgesamt nur 5 Prozent verloren gegangen. „Aufgrund ihrer geringen Höhenlage sind die Alpengletscher von den gestiegenen Temperaturen besonders betroffen“, erklärt Bolch.
Das internationale Forscherteam berechnete erstmals sehr genau regionale Unterschiede. „Im Sommer sieht man in den Bergen zwar, dass fast kein Schnee mehr auf den Gletschern ist. Ich war trotzdem überrascht, dass die Zahl für Europa so hoch ist“, meint Bolch.
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Gletscherwasser im trockenen August
Dieser dramatische Verlust bleibt nicht folgenlos: „Gletscher sind Wasserspeicher. Im Winter fällt Schnee, der zu Eis wird und so Wasser speichert. Im Sommer schmilzt es, wenn wir es brauchen“, sagt Bolch. Zwar würde durch das Abschmelzen zunächst mehr Wasser fließen. „Irgendwann gibt es aber einen Kipppunkt und die Wassermenge nimmt deutlich ab.“ In den Alpen sei diese Abflussspitze schon überschritten.
„Die Donau wird auch aus Gletscherwasser gespeist. In extrem trockenen Jahren stammten etwa 7 Prozent des Wassers noch an der Mündung im Schwarzen Meer von Gletschern“, erklärt Bolch. Auf seiner Reise versorge das Wasser auch Landwirtschaften in Nachbarstaaten und könnte zukünftig fehlen, meint er.
Wasserkraft und Tourismus
„Es wird Auswirkungen auf das Wassermanagement haben, Stichwort Strom aus Wasserkraft. Es beeinflusst auch Wintersport und Sommertourismus“, erklärt Ulrich Strasser von der Universität Innsbruck. Er hält die Folgen hierzulande jedoch für überschaubar. Etwa gebe es ohnehin nur noch ein einziges Sommerskigebiet. „Vielleicht machen sie eine Sehenswürdigkeit daraus. Es wird sich so verändern, dass man damit weiterhin Geld verdienen kann“, meint er.
Am Hochwasser sei die vermehrte Schmelze auch nicht schuld. „Katastrophale Hochwässer entstehen durch extreme Niederschläge, die sich mit dem Klimawandel verstärken“, erklärt Strasser.
Ebenso wenig sei unser Trinkwasser gefährdet, wenn kein Wasser mehr vom Gletscher fließt: „Die Gemeinden müssen genügend Trinkwasser in ausreichender Menge und Qualität speichern. Wegen des Klimawandels haben sie bereits Verbindungen hergestellt, sodass sie sich gegenseitig aushelfen können.“
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Fakten zur Studie
- Die Studie kombinierte verschiedene Messungen: Darunter Daten zu Masse und Volumen, Höhenveränderungen, Feldmessungen und Satellitendaten.
- 36 Prozent schmelzen die Gletscher seit 2012 schneller als in der ersten Hälfte der Studie (ab 2000).
- Einige Forscher sagen zwar, dass die Gletscher schon im Mittelalter weniger Eis hatten als derzeit. So dramatisch wie jetzt war der Rückgang aber noch nie.
- Die Pasterze am Großglockner verlor 2022 über 2 Meter Eis. Das ist doppelt so viel wie der Alpen-Durchschnitt seit Aufzeichnungsbeginn.
- Die Gletscherschmelze ließ laut der Studie den Meeresspiegel um 18 mm steigen. Das ist mehr als die arktischen Eisschilde ausmachten.
Luxusproblem oder lebensnotwendig?
Insgesamt hätten wir in Österreich auch in Zukunft genug Niederschlag und gutes Wasser. „Bei uns in den Alpen ist es ein Luxusproblem. Andernorts könnte es jedoch existenzielle Konsequenzen geben“, meint Strasser.
In anderen Weltregionen wird der Gletscherverlust folgenreicher: „Für viele Regionen ist Gletscherwasser lebenswichtig“, erklärt Bolch. „Etwa in Zentralasien, wo es im Sommer kaum Niederschläge gibt. Dort ist es fast die einzige Quelle von Wasser.“ Auch in den Anden kann sich der Verlust auf den Kartoffel- oder Quinoaanbau auswirken.
"Nur mehr eine Geschichte vom Opa"
Österreich werde den Verlust verkraften, auch wenn das Ende der Naturdenkmäler für ihn persönlich sehr traurig wäre, meint Strasser. „Wir, also die Übergangsgenerationen, erleben diesen Verlust dramatisch. Es wird aber eine Generation kommen, die die Gletscher selbst nicht mehr gesehen hat. Für die ist es nur mehr eine Geschichte vom Opa.“
Sie würden eine neue Beziehung zu den einstigen Gletschern aufbauen und andere Sportarten finden, die man dort praktizieren kann. „Zur Jahrhundertwende wird es Gletscher nur noch an den allerhöchsten Alpenbergen, etwa am Mont Blanc und Monte Rosa geben. Dort werden viele Touristen hinfahren – und es wird eine Goldgrube“, meint der Forscher.
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Natur als Museum: Kunstschnee am Glockner
Wenn die Enkel künftig die Großglockner-Hochalpenstraße hinauffahren, könnte es dennoch sein, dass die Pasterze noch weiß ist: Forscher rechneten bereits aus, ob es sich lohnt, einzelne Gletscher als Touristenattraktionen zu beschneien oder unter Planen zu konservieren.
„An der Pasterze wäre denkbar, dass man mehrere Millionen Kubikmeter Schnee hin schneit, damit der Gletscher eine bestimmte Größe behält. Man könnte dann Geld von jedem verlangen, der den Gletscher sehen möchte“, so Strasser. Für seltene Dinge seien Leute bereit zu bezahlen.
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