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Österreichische Astronautin im Interview: "Das war ein Kindheitstraum"

Carmen Possnig ist Weltraummedizinerin und hat in ihrem Buch "Südlich vom Ende der Welt" ihre Erfahrung in der Forschungsstation Concordia verarbeitet. Nun ist sie Mitglied der ESA-Astronaut*innenreserve

Als eine von über 22.500 Bewerber*innen stellte sich die Klagenfurter Medizinerin Carmen Possnig dem Auswahlprozess für die neue Generation der ESA-Astronaut*innen. 1,5 Jahre später wurde sie als Mitglied in die ESA-Astronautenreserve aufgenommen. Anders als die 5 Berufsastronaut*innen kehrt sie nun an ihren Arbeitsplatz, die Uni Innsbruck, zurück, wo sie ihr Doktorat in Weltraummedizin macht. Tut sich eine Mission auf, die ihre Fähigkeiten erfordert, wird sie von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) nominiert und beginnt ihr Training.

Es ist aber nicht das erste Mal, dass Carmen Possnig für die ESA arbeitet. 2017 begann sie eine 13 Monate lange Forschungsmission in der Antarktis. Auf der Station „Concordia“ wird erforscht, wie sich Isolation und Sauerstoffmangel auf Menschen auswirken.

Die Station liegt auf einem Gebirgsplateau, 3.233 Meter über dem Meeresspiegel. Über 4 Wintermonate hinweg herrscht vollkommene Dunkelheit mit Außentemperaturen bis zu -80 °C. Die Zeit dort dient unter anderem als Vorbereitung für Flüge zum Mars – ein Traum, den auch Carmen Possnig hat. Wir haben mit ihr über den ESA-Auswahlprozess, die Zeit am Südpol, ihre Forschung und ihre Träume für Weltraummissionen gesprochen.

futurezone: Wie ist es dir seit der Auswahl ergangen? Hast du die Nominierung inzwischen realisiert?
Carmen Possnig: Eigentlich sind die Aufregung und Ungläubigkeit immer noch ein bisschen da. Aber ich bin auch erleichtert, dass die letzten eineinhalb Jahre zu einem guten Ende und gleichzeitig einem Beginn gekommen sind. Aber ich bin sehr neugierig, wie es weitergehen wird.

Was hat dich beim Auswahlprozess besonders gefordert?
Er hat relativ lange gedauert, weil es so viele Bewerber*innen gab. Bis die alle den Prozess durchlaufen hatten, musste man warten, ohne zu wissen, ob man weitergekommen ist. Das war anstrengend, weil einem im Kopf rumgeht: Was habe ich alles gesagt, war das klug oder nicht?

Andererseits war es schwierig, weil wir schon in einer frühen Phase eine eingeschweißte Gruppe von 10 Leuten waren. Für mich war es eines der ersten Male, dass ich so viele Leute getroffen habe, die vom Weltraum fasziniert sind. Das war wahnsinnig schön und wir sind auch in Kontakt geblieben. Aber die Gruppe wurde bei jedem Schritt kleiner. Das sind alles wahnsinnig interessante, freundliche Leute, die alle gute Astronaut*innen wären. Für mich war es schwierig zu verstehen, warum ein paar von uns weiterkommen und andere nicht.

Die ESA-Astronaut*innen-Klasse von 2022

Eigentlich schön, dass es da nicht so ein Ellenbogendenken gibt.
Ja, ich denke es waren einfach so viele, dass man gar nicht das Gefühl hatte, in Konkurrenz zu diesen über 20.000 Menschen zu stehen. Wir haben gemeinsam trainiert, haben uns zusammen vorbereitet, uns Tipps gegeben. Das war wirklich freundschaftlich.

Welcher Teil ist dir besonders leichtgefallen?
Kognitive Tests und alles, was mit Rätsellösen zusammenhängt, liegt mir. Da wird einerseits das Konzentrationsvermögen getestet, aber auch logisches Denken, Koordination und die Kombinationsfähigkeit. Das war lustig. Aber auch die psychologischen Tests, die Teamarbeit und die Tests zum Stressverhalten haben mir Spaß gemacht. Ich hatte mir vorgestellt, dass alles stressig und der Tag einfach nur ein Horror wird, aber es war eine schöne Atmosphäre.

Ich habe mein Leben nicht Schritt für Schritt danach designt, um die größtmöglichen Chancen zu haben.

Hattest du schon immer den Wunsch, Astronautin zu werden, oder kam das erst so richtig mit dem Start der Bewerbungsphase auf?
Das war ein Kindheitstraum von mir, aber ohne den Gedanken, dass das wirklich real werden könnte. Die Chance kommt halt selten und die Wahrscheinlichkeit ist auch sehr gering. Ich habe mein Leben nicht Schritt für Schritt danach designt, um die größtmöglichen Chancen zu haben. Expeditionen und Entdeckungsreisen, Physiologie, Medizin und Forschung, das sind einfach Dinge, die mich sehr interessieren. 

Hat dir deine Zeit an der Antarktis da einen Vorsprung gegeben?
Auf jeden Fall, ja. Gerade Teamdynamiken, wie den Umgang mit Konflikten, lernt man dort schon sehr gut. Ich weiß, wo meine Trigger und Schwächen sind und wo ich Unterstützung brauche. Aber ich kenne auch meine Stärken und weiß, was ich beitragen kann, damit die Mission erfolgreich wird. Die Zeit an der Antarktis war da sicher ein ausschlaggebender Faktor. 

Ich stelle mir dieses Jahr dort schwierig vor. Das muss man wirklich wollen, oder?
Auf jeden Fall. Es braucht die richtige Motivation, um das gut zu überstehen. Ein Jahr ist lang und man kann nicht mittendrin sagen, 'jetzt will ich nicht mehr'. Man muss schon überzeugt davon sein. Aber es war ein wahnsinnig tolles Erlebnis und ich würde es jederzeit wieder machen. 

Was war dort besonders schön für dich? 
Ich habe mich sehr gut kennengelernt, zum Beispiel, wie ich mich im Team verhalte. Dort sind auch tiefe Freundschaften entstanden, eine ganz andere Art von Freundschaft, wie man sie normalerweise knüpft. Wir waren 13 Leute über den Winter und man lernt sich doch sehr genau kennen. Es gibt keine Geheimnisse und man sieht sich in schwierigen Situationen. Damit muss man umgehen können und das schweißt zusammen. Dieses Crew-Gefühl, dass man zusammengehört und voneinander abhängig ist, damit alles gut geht, fand ich schön. 

Gibt es auch etwas, das du aus dieser Extremsituation für deinen Alltag mitgenommen hast?
Ich habe kleine Überlebensstrategien von meinen Kolleg*innen übernommen, wie z.B. dass ich mir einen Wochenplan mache und mich auch daran halte. Für meine Forschungsarbeit konnte ich den Umgang mit Stress mitnehmen, denn ich lasse mich aber relativ schwer stressen. 

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Du bist in der Reserve. Das heißt, dass du weiter an der Uni Innsbruck dein Doktorat in Weltraummedizin machst. Was genau kann man sich darunter vorstellen? 
Wir schauen uns an, wie sich Körper und Geist in der Schwerelosigkeit verändern. Die ganze Anatomie ist auf die Schwerkraft der Erde angepasst. Wenn sich das verändert, ändert sich auch sehr viel im Körper und das kann Probleme machen.

Darum forschen wir einerseits für Langzeitweltraumflüge, andererseits kann man das auch auf viele Situationen auf der Erde übertragen. Viele Veränderungen, die im Weltraum passieren, sind mit dem normalen Altern vergleichbar, aber viel schneller. Das heißt, wir können Altersforschung im Schnelldurchlauf machen. 

Wie forscht ihr daran? 
Wir haben in Innsbruck natürlich keine Schwerelosigkeit. Dementsprechend stellen wir das mit Bettruhe-Studien nach. Das heißt, dort liegen die Proband*innen horizontal im Bett. Bei uns geht das nur ein paar Tage, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln und in der MEDES Klinik in Toulouse gibt es im Auftrag der ESA auch monatelange Studien, das ist dann für die ganz Harten. Die physiologischen Veränderungen sind ganz ähnlich wie im Weltraum, vor allem für das Herz-Kreislauf-System, was meine Spezialität ist. 

Kannst du erklären, woran du da genau arbeitest?
Auf der Erde ist unser Körper darauf angewiesen, dass das Blut von der Schwerkraft in die Beine gezogen wird. In der Schwerelosigkeit fällt das weg und der obere Teil des Körpers füllt sich plötzlich mit Blut aus den Beinen. Die Rezeptoren in den Gefäßen, hauptsächlich in Herz und Hals, sagen dem Körper dann, dass dort zu viel Blut ist und der Körper beginnt, Volumen abzubauen und den Blutfluss insgesamt zu verlangsamen. Dadurch haben wir weniger Blut zur Verfügung und wir wissen noch nicht genau, was das für Auswirkungen haben könnte.

Wann kann das problematisch werden? 
Es könnte sein, dass das bei Langzeitflügen, z.B. zum Mars, irgendwann die kognitiven Fähigkeiten beeinflusst. Das will man natürlich vermeiden. Man hat auch bemerkt, dass sich auf Langzeitweltraumflügen die Anatomie vom Auge bei Astronaut*innen verändert. Das geht mit einer Fehlsichtigkeit einher und man weiß noch nicht genau, ob sich das weiter verschlechtern würde. Wir haben nur Daten von bis zu 6 Monate langen Flügen. Wenn man zum Mars fliegt und das dauert 3 Jahre, kommen die dann blind zurück? Da muss man Gegenmaßnahmen finden und herausfinden, warum das passiert. 

Welche Weltraum-Mission würde dich potenziell reizen?
Die Forschung würde mich reizen, weil wir jetzt alles simulieren. In wirklicher Schwerelosigkeit zu arbeiten und vielleicht darauf zu kommen, dass das alles gar nicht so ist, wie auf der Erde, wäre natürlich extrem cool. 

Bei unserem letzten Gespräch habe ich dich gefragt, ob du lieber zum Mond oder zum Mars möchtest und du hast sofort “Mars” gesagt - was reizt dich daran so?
Ich glaube, das spannendste ist, dass es das derzeit am weitesten entfernte Ziel ist, das man noch erreichen kann. Das muss wahnsinnig faszinierend sein. Die Erde verschwinden zu sehen, so als kleinen Punkt am Firmament - es würde mich wirklich interessieren, was das mit Menschen macht. Das muss ein bedeutungsvoller Moment sein, wenn der Heimatplanet verschwindet. 

Der Mars ist auch für die Suche nach früherem Leben spannend. Ich denke, das können Astronaut*innen auch viel effizienter erforschen als Roboter. Ich finde es auch spannend zu schauen, was passieren würde, wenn wir dort tatsächlich Hinweise auf Leben finden oder Hinweise darauf, dass das Leben auf der Erde vom Mars kam. Das muss auch die Perspektive und unseren Platz im Universum verändern. 

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Franziska Bechtold

frau_grete

Liebt virtuelle Spielewelten, Gadgets, Wissenschaft und den Weltraum. Solange sie nicht selbst ins Weltall kann, flüchtet sie eben in Science Fiction.

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