Hydroskin
© APA/dpa/Marijan Murat / Marijan Murat

Science

Gebäude könnten mit nasser Textilhülle gekühlt werden

Sie ist biegsam und stabil, porös und reißfest, die Wasserhaut Hydroskin für Gebäude. "Dieses neuartige Material kann den Kampf gegen die Folgen von Hitzewellen und Starkregen in Städten revolutionieren", meinte dessen Erfinderin Christina Eisenbarth. Die Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Stuttgart will Fassaden von bestehenden und neuen Gebäuden nutzen, um an heißen Tagen zuvor gesammeltes Regenwasser zur Verdunstung und damit Kühlung einzusetzen.

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Praxistest auf 36 Meter Höhe

Hydroskin besteht aus mehreren Textillagen, die durch Fäden auf Abstand gehalten werden. Das System wird nun im Freiluftversuch getestet: Derzeit steht ein Prototyp auf dem Campus der Universität Stuttgart. In bis zu 36 Meter Höhe wird erprobt, ob die Fassade das hält, was die Wissenschafter sich nach Hunderten von Laboruntersuchungen von ihr versprechen. Hydroskin soll sich wegen der großen Fassadenflächen besonders für Hochhäuser eignen. "Überdies trifft der Regen mit zunehmender Höhe schräg auf die Fassade, sodass ab etwa 30 Metern Gebäudehöhe mehr Regen über die Fassade aufgenommen werden kann als von einer gleich großen Dachfläche", erklärte die Erfinderin.

Und so funktioniert das Produkt im Detail: Das System ist außen von einer wasserdurchlässigen Membran umgeben, die nach Auskunft der Universität fast alle Regentropfen eindringen lässt. Eine Folie an der Innenseite leitet das Wasser nach unten ab. Dann kann es entweder in einem Reservoir gespeichert oder direkt ins Gebäudeinnere geleitet werden, wo es etwa für die Waschmaschine, die Toilettenspülung und Pflanzenbewässerung verfügbar ist. Bei Hitze wird die Textilfassade mit Wasser befeuchtet und kühlt durch Verdunstung somit das Gebäude und den umgebenden Stadtraum.

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Hydroskin

Christina Eisenbarth mit Hydroskin vor dem Demonstrations-Hochhaus

Mit Schwammstadt-Prinzip gegen Hitzeinseln

Der natürliche Kreislauf von Niederschlägen und Verdunstung ist durch zunehmende Versiegelung gestört, wie Hydroskin-Erfinderin Eisenbarth erläutert. "Letztlich verwandeln wir selber unsere Städte in Hitzeinseln und Hochwasser-Wannen." Dieser Entwicklung soll das Konzept der Schwammstadt Einhalt gebieten. Dabei geht es um die Fähigkeit einer Stadt, ein Zuviel an Wasser aufzusaugen, dieses Wasser wie einen Schwamm zu speichern und es dann durch Verdunstung oder Versickerung verzögert wieder abzugeben. Auf diesem Prinzip basiert auch Hydroskin.

Stefan Petzold vom Naturschutzbund Deutschland Nabu sieht in Hydroskin eine Möglichkeit, das Leben in der Stadt angenehmer zu machen - ebenso wie grüne Fassaden, begrünte stillgelegte Kreisverkehre und umgewidmete Parkplätze. "Mit solchen Entsiegelungen geben wir der Natur etwas zurück", sagte der Nabu-Referent für Stadtnatur. Dass Pflanzen im Bau wirtschaftliche Vorteile haben, so Petzold zeige das Beispiel der Humboldt-Uni in Berlin, die durch natürliche Kühlung statt Klimaanlage 15.000 Euro im Jahr spare. Die Investitionen für Hydroskin sind nach Angaben von Eisenbarth überschaubar: Ein Quadratmeter werde die Bauunternehmer mehrere Hundert Euro kosten, schätzt sie.

5,7 Quadratmeter leisten soviel wie 2.500 Watt Klimaanlage

Die Universität Stuttgart nennt einige Zahlen: Während gewöhnliche Gebäudeoberflächen unter der sengenden Sommersonne Temperaturen von über 90 Grad erreichen könnten, senke Hydroskin die Temperatur auf bis zu 17 Grad herunter. Die aufgenommene Wassermenge reduziert den Abfluss, der durch versiegelte Flächen direkt in die Kanalisation gelangt und bei ausgeschöpfter Aufnahmekapazität zu Überschwemmungen führt. 5,7 Quadratmeter Hydroskin kühlen laut Eisenbarth so stark wie eine Klimaanlage mit 2.500 Watt.

Umweltfreundlich soll auch das Material werden, das derzeit aus wiederverwendbarem Polyester und künftig auch aus PET-Flaschen hergestellt wird. Zudem kann es bedruckt werden. "Der Architekt kann den Gebäuden ein neues individuelles Gewand verleihen", erzählt Eisenbarth. Bedenken wegen möglicher Probleme in der Statik der Gebäude sieht sie nicht - ein Quadratmeter Hydroskin wiege in trockenem Zustand nur 1,2 Kilogramm, im nassen maximal 4,7 Kilogramm.

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