Herdenimmunität: Drosten warnt vor humanitärer Katastrophe
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Die Gesellschaft für Virologie, die sich einem wissenschaftlich begründeten Vorgehen gegen die Covid-19-Pandemie verschrieben hat, warnt eindringlich vor neuen Überlegungen, angesichts steigender Erkrankungen die Dinge ihrem freien Lauf zu lassen und so eine Durchseuchung und schließlich Herdenimmunität zu erreichen. Die Wissenschaftler, unter ihnen der führende deutsche Virologe Christian Drosten, gehen davon aus, dass eine unkontrollierte Durchseuchung zu einer "eskalierenden Zunahme an Todesopfern" führen wird.
Humanitäre Katastrophe droht
Man erkenne "die enorme Belastung der Bevölkerung durch die einschneidenden Eindämmungsmaßnahmen selbstverständlich an". Gleichzeitig zeigen sich die Virologen in der gemeinsam unterzeichneten Erklärung auch überzeugt davon, "dass die Schäden, die uns im Falle einer unkontrollierten Durchseuchung (...) drohen, diese Belastungen um ein Vielfaches übertreffen und in eine humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe münden können." Sie verweisen zur Stützung ihrer Erkenntnisse auf weitere internationale Forscher(gruppen), die in der Fachzeitschrift The Lancet zum selben Schluss kamen.
Ganz eindeutig widersprechen die Forscher und Ärzte auch der Annahme, dass man besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen bei einer unkontrollierten Durchseuchung so schützen könnte, dass die Todesopfer überschaubar bleiben würden. Denn abgesehen von älteren Menschen würden viele, teilweise noch kaum oder unerkannte Risikogruppen existieren, die in sich heterogen und nicht leicht ausfindig zu machen seien.
Viele Faktoren für Verlauf ausschlaggebend
Ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf ergebe sich etwa auch bei Übergewicht, Diabetes, Krebserkrankungen, einer Niereninsuffizienz, chronischen Lungenerkrankungen, Lebererkrankungen, bei Schlaganfall, nach Transplantationen und während einer Schwangerschaft. Dazu komme, dass verschiedene Spätschäden bei Atemwegen, Gefäßen, dem Nervensystem und anderen Organen nach einer Covid-19-Erkrankung auftreten können, welche die Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit und vermutlich auch die Lebenserwartung enorm einschränke, sind die Wissenschaftler überzeugt.
Eine weitere Unsicherheit ist zudem, dass derzeit noch nicht geklärt ist, wie lange eine durch eine Infektion erworbene Immunität tatsächlich anhält. "Es wird zunehmend klar, dass gerade die wenig symptomatischen Infektionen, wie sie bei jüngeren Menschen vorherrschen, keine stabile Immunität verleihen", schreiben die Forscher. Man respektiere auch abweichende Haltungen einzelner Kollegen in den Medien und in sozialen Netzwerken, wolle mit dieser Stellungnahme aber die mehrheitliche Einschätzung der virologisch und ärztlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätigen Mitglieder der Gesellschaft kommunizieren.
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