Neue Lebewesen in der Wiener U-Bahn entdeckt
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Welche Spuren von Organismen hat man auf der Hand, wenn man in der U-Bahn Haltegriffe oder Stangen angreift? Diese Frage beschäftigt nicht nur viele Öffi-Nutzer in Großstädten, sondern auch Wissenschaftler der FH Campus Wien. In ihrem Projekt wollen sie herausfinden, welche Mikroorganismen man durch eine U-Bahn-Fahrt auf der Haut sammelt und wie man möglichst einfach analysieren kann, worum es sich dabei handelt.
DNA-Bruchstücke
Grundlage dafür sind Proben, die mit Wattestäbchen, sogenannten Swabs, auf den Sitzen und sonstigen Oberflächen in der Wiener U-Bahn genommen werden. "Wir untersuchen die DNA aller Organismen, die man in diesen Proben findet", erklärt Alexandra Graf, Lehrende im Bachelorstudiengang Bioengineering und Leiterin des Projekts UrbanMetagenApp. "Das sind Mikroben, Viren, Pilze, einzellige Eukaryonten - also Lebewesen mit Zellkern - oder Reste der DNA von höheren Eukaryonten, etwa Pflanzen oder Tieren." Diese Betrachtung aller Lebensformen in einer Probe nennt man Metagenomik.
Für die Untersuchung wurden einerseits direkt Proben genommen, andererseits wurden Testpersonen auf verschiedenen Routen durch das U-Bahn-Netz geschickt. Zuvor mussten sie ihre Hände gründlich waschen, dann wurde "geswabbt" (Probenentnahme mit Wattestäbchen). Nach der U-Bahn-Fahrt wurde dies noch einmal durchgeführt. Damit konnte man vergleichen, welche Mikroorganismen schon vorher auf der Haut waren und welche durch die U-Bahn-Fahrten dazugekommen sind.
Tiere, Pflanze, Unbekannt
"Nach dem Händewaschen haben wir auf den Händen Spuren von Mikroben, die im Trinkwasser leben, gefunden", erklärt Graf. Auf den Oberflächen der U-Bahn zeigen sich Spuren von Pflanzen und Tieren, die mit uns die städtische Umgebung teilen, wie etwa Tauben, (Fiaker-)Pferde oder auch Rapspollen. Auf den Handflächen findet man hingegen eher Spuren von Pflanzen und Tieren, die mit Nahrung in Verbindung gebracht werden.
"Was die große Vielfalt der Mikroorganismen betrifft, ist hier natürlich das Mikrobiom des Menschen stark vertreten - speziell das der Haut." Aber auch Mikroben, die in der Lebensmittelproduktion, wie etwa Milchprodukten oder der Wursterzeugung, verwendet werden, konnten identifiziert werden. "50 Prozent der DNA, die wir gefunden haben, gehört jedoch zu Organismen, die wir noch nicht kennen." Diese Erbgut-Bruchstücke können jedenfalls keiner bereits bekannten Lebensform zugeordnet werden.
Tausende neuer Organismen
Solche Funde seien nicht ungewöhnlich, meint Graf. Die Durchführung von Studien, bei denen der Mix an winzigen Lebensformen, also das Mikrobiom, untersucht wird, hätte in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. "Wenn man sich die Daten anschaut, findet man oft Tausende von neuen Organismen." Diese Organismen genau zu analysieren, sei eine schwierige Aufgabe. "Man muss oft zusätzliche Experimente machen und weitere Proben nehmen. Viele dieser Organismen wachsen nicht im Labor, sondern nur in ihrer natürlichen Umgebung."
Die meisten Lebensformen, die man auf Haltegriffen und Sitzen der U-Bahn findet, seien Ablagerungen, die von anderswo stammen, wie etwa von Mikroorganismen der menschlichen Haut. "Die Analyse deckte aber auch einzellige Moose auf, die in Bereichen leben, die ein bisschen Feuchtigkeit sammeln. Außerdem haben wir in den U-Bahnstationen Bakterien entdeckt, die luminiszent sind, d.h. sie leuchten unter bestimmten Bedingungen. Interessant für uns war auch, dass wir Bakterien gefunden haben, welche am Abbau von umweltverschmutzenden Stoffen beteiligt sind." Ob es hier ein Potenzial gibt, diese Prozesse zu nutzen, muss erst durch weitere Projekte geklärt werden.
Mikrobielle Weltkarte
Vergleichbare Studien, bei denen das Mikrobiom in U-Bahnen untersucht wurde, seien bereits in vielen Ländern durchgeführt worden, sagt Graf. Die Ergebnisse der Studie in der Wiener U-Bahn fließen in das internationale Projekt MetaSub ein, eine Art mikrobieller Weltkarte. Darin werden die Mikrobiome von Großstädten in aller Welt gesammelt.
"Eine Publikation aus Hongkong beschreibt, wie die U-Bahn während des Tages mit humanem Mikrobiom geflutet wird. Während der Nacht verschwindet das und jede U-Bahn-Linie hat dann ein spezielles, eigenes Mikrobiom." Genau wie menschliche Überreste aus der U-Bahn verschwinden, geschieht dies auch umgekehrt. "Was wir aus der U-Bahn mitnehmen, bleibt nicht permanent auf uns, sondern wird vom eigenen Hautmikrobiom überwachsen. Das ist eine Aufgabe des Hautmikrobioms: eine Schutzschicht bilden."
Wenig Gesundheitsgefahr
Entgegen der allgemeinen Vorstellung fange man sich durch Berührung von Stangen und Griffen in der U-Bahn eher keine gefährlichen Keime ein. "Viele Krankheitserreger werden vor allem durch die Luft über Tröpfcheninfektion übertragen", meint Graf: "Ein gesundes Maß an Hygiene, wie Händewaschen nach dem U-Bahn-Fahren, ist jedoch anzuraten."
Einfachere Analyse
Wie die Bezeichnung UrbanMetagenApp besagt, geht es bei dem Projekt darum, eine Applikation zu kreieren, mit der man Proben möglichst einfach und rasch analysieren und grafisch darstellen kann. Wie eine App für Smartphones könne man sich das nicht vorstellen, meint Graf. Ziel ist eine Anwendung, die auf Windows und MacOS laufen kann und nicht allzu viel Prozessorleistung benötigt. Um präzise Ergebnisse zu erhalten, werden grundlegende Fachkenntnisse dennoch notwendig sein, merkt Graf an. "Eine gewisse Laborerfahrung ist einfach Voraussetzung, um die Proben richtig aufzubereiten."
In Zukunft wird es immer leichter werden, kompakte mobile Labore zu errichten. Für die Analyse von Mikrobiom-Proben stehen heute immer kleinere und günstigere Geräte zur Verfügung. Graf skizziert etwa ein Modul von der Größe eines USB-Sticks, das DNA sequenzieren kann.
Benutzer- und ressourcenfreundliche Applikationen erleichtern dann eine schnelle Datenanalyse. Die App soll zudem modular aufgebaut sein und schnell an unterschiedliche Einsatzzwecke angepasst werden. Beispielsweise könnte sie für ein Frühwarnsystem hilfreich sein, das vor allem der immer größer werdenden Gruppe der Allergiker zugute kommt. Hierzu ist auch schon ein weiteres Projekt geplant.
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien entstanden.
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