© APA/dpa/Oliver Berg/futurezone

Science

Sicher Zug fahren mit künstlicher Intelligenz

Der Zug von Wien nach Innsbruck ist für die Abfahrt bereit. Kurz vor dem Start bemerkt jedoch ein Mitarbeiter des Zugpersonals, dass sich jemand zwischen dem Schienenfahrzeug und der Bahnsteigkante befindet. Die Person wird aus dieser Gefahrenzone hinausbefördert – der Zug kann mit Verzögerung schließlich losfahren.

Damit Zugreisen in Zukunft reibungsloser und sicherer ablaufen können, braucht es vermehrt intelligente Funktionen, wie etwa eine automatische Überwachung des Außenbereichs des Fahrzeugs. Bei rund 6.400 Zügen, die laut einer Statistik täglich auf dem Streckennetz der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) fahren (Stand: 2020), könnte eine solche Lösung eine enorme Effizienzsteigerung sowie eine Erhöhung der Sicherheit bedeuten.

3D-Sensorsystem

Im Rahmen des von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderten Projekts „Raileye 3D“ entwickelt der Kamera-Sensoren-Experte Eyyes in Zusammenarbeit mit den ÖBB und dem Austrian Institute of Technology (AIT) ein 3D-Sensorsystem, welches die gesamte Abfertigung sowie den Bereich zwischen Zug und Bahnsteigkante überwacht. Konkret handelt es sich dabei um kamera-basierte Sensoren mit integrierter künstlicher Intelligenz (KI), welche Personen oder Gegenstände am Bahnsteig und in Gefahrenzonen erkennen und  Lokführer*innen über potenzielle Gefahren informieren können.

„Der Plan ist, dass der Fahrer diese Informationen auf einem Monitor angezeigt bekommt, wenn eine Gefahrensituation vorliegt“

Johannes Traxler, Geschäftsführer von Eyyes

Die an der Außenfläche angebrachten Kameramodule erzeugen ein Gesamtlagebild rund um das Schienenfahrzeug – an den Enden der Waggons wird jeweils ein Modul montiert. „Beide Sensoren blicken in die entgegengesetzte Richtung, überlappen sich daher auch. Damit ist es möglich, die gesamte Zugwandseite vollständig zu erfassen“, sagt Johannes Traxler, Geschäftsführer von Eyyes, gegenüber der futurezone.

Bewegungen analysiert

Die integrierte KI erkennt unter anderem, wenn Personen im  Bahnbereich stehen, in den Zug ein- oder aussteigen wollen oder gegen die Zugwand lehnen. Ein künstliches neuronales Netz könne aus den Sensordaten einzelne Personen erfassen, erklärt Traxler. In einer zweiten Verarbeitungsschicht könne die KI dann beurteilen, wie sie sich bewegen und ob sie etwa zusteigen oder nur am Zug vorbeigehen. „Der Plan ist, dass der Fahrer diese Informationen auf einem Monitor angezeigt bekommt, wenn eine Gefahrensituation vorliegt“, sagt der Fachmann. 

„Das KI-basierte System soll dem Fahrer eine Zusatzunterstützung bieten, um Gefahrensituationen zu erkennen beziehungsweise richtig darauf zu reagieren“

Johannes Traxler, Geschäftsführer von Eyyes

Dabei werden die jeweiligen Personen beispielsweise rotumrandet dargestellt beziehungsweise am Bildschirm markiert. Auch ein akustisches Warnsignal könne laut dem Spezialisten bei Gefahr ausgesandt werden. „Das KI-basierte System soll dem Fahrer eine Zusatzunterstützung bieten, um Gefahrensituationen zu erkennen beziehungsweise richtig darauf zu reagieren“, sagt er.

Hohe Erfolgsrate

Laut Traxler wurden im Rahmen des Forschungsprojekts auf den tatsächlichen Schienen und in den Bahnhöfen mehrere Testfahrten unternommen und unterschiedliche Szenarien mithilfe von Statist*innen nachgestellt. Diese Feldtests wurden ihm zufolge auch bereits vollständig ausgewertet und durch manuelle Kontrolle überprüft, ob die KI alle Personen und Gegenstände richtig erkannt hat.

Traxler zufolge sei die Qualität der Detektion zufriedenstellend. Außerhalb einer physikalischen Limitierung, etwa bei starkem Schneefall, habe das System nahezu alle kritischen Fälle abdecken können.  

Rollstuhlfahrer*innen sehen

Das Forschungsprojekt „Raileye 3D“ wurde unlängst abgeschlossen. Ein weiteres Ziel sei es, dass ein derartiges KI-gestütztes System in Zukunft auch Personen mit körperlichen Einschränkungen wie etwa Rollstuhlfahrer*innen erkennt. Somit könnte mithilfe diverser Unterstützungsmaßnahmen, die in zukünftigen Zügen integriert werden sollen, umgehend reagiert werden.

Denkbar sei zudem, dass die Fahrer*innen durch das System vollautomatisch informiert werden, wie lange es noch dauert, bis alle Passagier*innen  in den Zug eingestiegen sind. So können sie sich gezielt darauf vorbereiten, dass das Fahrzeug in Kürze abgefertigt werden kann. Nächster Schritt sei laut Traxler jedenfalls, das System breiter zu testen. 

Flexibel einsetzbar

Generell lässt sich das System flexibel und universell in jede Art von Fahrzeug integrieren und ist sowohl für Neufahrzeuge als auch für Nachrüstprojekte einsetzbar und auch für den internationalen Bahnsektor von Interesse. Taktzeiten sowie der gesamte Zugverkehrsbetrieb könnten damit  nicht nur österreichweit, sondern auch auf europäischer Ebene deutlich optimiert werden. 

Wann das System jedoch tatsächlich zur Anwendung kommen wird, ließe sich laut Traxler aktuell noch nicht konkret voraussagen. Ein realistischer Zeithorizont wäre ihm zufolge, dass es sich in etwa zwei bis drei Jahren etablieren könnte.  

Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).

Zugsysteme erkennen aggressive Passagiere und Toilettengerüche

Züge werden smarter. Diese intelligenten Schienenfahrzeuge werden oft als „Trains with Brains“ bezeichnet (zu Deutsch: „Züge mit Hirn“) und sind weltweit unterwegs. Die integrierten auf künstliche Intelligenz (KI) basierten Systeme können dabei Unterschiedliches erkennen.

In Paris etwa wird über Videoüberwachung erfasst, ob noch jemand im Waggon der U-Bahn sitzengeblieben ist, wenn das Fahrzeug ins Depot fährt. Bei der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft erkennt eine KI hingegen, ob ein*e Passagier*in Radau macht. Dabei werden Geräuschpegel sowie schnelle Bewegungen, die von der Person ausgehen,  analysiert und der/m Fahrer*in gemeldet. 

Hindernisse erkennen

Die S-Bahn in Stuttgart hingegen bringt eine eigens entwickelte Software zur Anwendung, die bei diversen Störungen dabei helfen soll, den Verkehr weiter effizient zu steuern. Ein israelisches Start-up wiederum hat Video- und Infrarotkamera-Systeme entwickelt, die Hindernisse auf den Gleisen erkennen können und bei autonomen Zügen zur Anwendung kommen sollen.

Weitere Funktionen bietet ein sensor-basiertes System der South Central Railways (SCR) in Indien, das erst kürzlich vorgestellt wurde. Die Zugwaggons sind mit sogenannten „Passenger Information and Coach Computing Units“ (PICCUs) ausgestattet, welche unter anderem mit Sensoren zur Detektion von Toilettengerüchen, einem Panikschalter oder mit Sensoren, welche stickige Luft im Zug erkennen sollen, gekoppelt sind.  

Zusätzlich können Brände erkannt werden und im Notfall ein automatischer Alarm ausgelöst werden. Ob und wann diese Systeme aber tatsächlich zur Anwendung kommen werden, ist derzeit noch unklar.  

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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