Wie Quantenwirbel Sterne anschubsen
Neutronensterne sind ein Superlativ im Universum. Sie bilden sich, wenn massereiche Sterne im Endstadium ihres Daseins wegen ihrer eigenen Anziehungskraft kollabieren. Es entsteht ein ultradichtes und ultraschweres Objekt, das den Gesetzen der Physik zu trotzen scheint.
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„Es gibt Hinweise, dass ein Neutronenstern quantenmechanische Eigenschaften haben könnte“, sagt Francesca Ferlaino, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) und Professorin an der Universität Innsbruck, zur futurezone. „Ein solcher Stern in der Größe von Innsbruck hat mehr Masse als unsere Sonne.“ Im Inneren dieser Sterne könnten sich durch den hohen Druck und die gewaltige Hitze von bis zu einer Milliarde Grad Celsius quantenmechanische Vorgänge abspielen, die Ferlaino in ihrem Labor in Innsbruck simulieren kann.
Wenn es um Quantenphysik geht, müssen sogar Physik-Studenten wieder von null anfangen. Das war ein Vorteil für Ferlaino. Die gebürtige Italienerin hatte vor ihrem Studium weder mit Physik noch mit Mathematik viel zu tun. In den ersten Jahren ihres Studiums musste sie sich durchbeißen. Als Quantenphysik auf dem Lehrplan stand, blühte sie allerdings auf. Heute ist die 46-Jährige eine der führenden Forscherinnen des Feldes.
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Mehr als fest, flüssig und gasförmig
Um die quantenphysikalischen Vorgänge in Neutronensternen zu erklären, muss man etwas ausholen. Von den Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig hat sicherlich jeder schon mal gehört. Der sogenannte vierte Aggregatzustand – Plasma – ist vielen auch ein Begriff. Er entsteht, wenn man ein Gas so weit erhitzt, dass sich die Elektronen der Atome abspalten und frei umherschwirren. Zurück bleiben nur noch die Atomkerne.
Ferlaino und ihr Team gehen allerdings in die andere Richtung: Anstatt Materie zu erhitzen, kühlen sie sie auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius) ab. Selbst am kältesten Ort des Universums, dem Bumerangnebel, misst man noch -272 Grad Celsius. Das wäre allerdings viel zu „heiß“ für Ferlainos Forschung.
Wie man ultratiefe Temperaturen erreicht
Für Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt reicht herkömmliche Kühlung nicht aus. Stattdessen nutzt man die sogenannte Laserkühlung. Das mag kontraintuitiv klingen: Heizen Laser Stoffe nicht eher auf? Dazu muss man wissen, dass ein Stoff heißer wird, je schneller sich die Atome und Moleküle darin bewegen. Umgekehrt wird er kälter, wenn diese Bewegung abgebremst wird.
Bei der Laserkühlung werden freischwebende Atome von allen Seiten mit Lichtpartikeln (Photonen) bestrahlt. Bewegt sich das Atom in eine bestimmte Richtung, kollidiert es dabei verstärkt mit entgegenkommenden Photonen.
Das ist in etwa so, als ob man gegen den Regen rennen würde und man hauptsächlich auf der Vorderseite nass wird. Jede Kollision mit einem Lichtpartikel bremst das Atom ein wenig ab, es wird also kälter.
Gas wird zu Quantenflüssigkeit
Bei so niedrigen Temperaturen scheinen die Gesetze der normalen Physik außer Kraft zu treten. Kühlt man eine Gaswolke auf wenige milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab, passiert etwas Besonderes: Die Atome im Gas verhalten sich wie eine Flüssigkeit.
„Normalerweise interagieren die Luftmoleküle, die uns umgeben, nicht miteinander. Sie schwirren einfach umher“, gibt Ferlaino als Beispiel: „Das stark abgekühlte Gas verhält sich aber wie eine Flüssigkeit – es ist eine sogenannte Quantenflüssigkeit.“
Beeindruckende Eigenschaften
Diese Quantenflüssigkeit hat mehrere einzigartige Eigenschaften, von denen einige dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheinen. Würde man etwa eine Badewanne mit so einer Flüssigkeit auffüllen und den Stöpsel ziehen, würde nicht nur ein Strudel entstehen.
Stattdessen entstehen mehrere Strudel nebeneinander, alle mit denselben Eigenschaften, wie Rotationsgeschwindigkeit und -richtung. Das Beispiel ist natürlich überspitzt dargestellt: Im Labor arbeitet Ferlaino mit deutlich geringeren Mengen.
Aus supraflüssig wird suprafest
Die Atome in dem „supraflüssigen“ Gas sind allerdings noch ungeordnet. Sie haben, wie man es sich bei einem Gas vorstellt, keine Struktur. Verwendet man aber eine Wolke aus Erbium- oder Dysprosiumatomen, 2 Elemente mit einem sehr starken Magnetfeld, richten sich die Atome aufgrund ihres Magnetfeldes selbst aufeinander aus.
Es entsteht eine Struktur, die sich zwar wie das Gitter eines Kristalls im Raum anordnet, andererseits aber auch supraflüssige Eigenschaften hat. Der sogenannte Suprafeststoff ist geboren.
„Das ist ein komplett neues Feld in der Quantenphysik“, sagt Ferlaino. Und eines, das die Forscherin besonders interessiert. „Es ist wie Musik. Man nimmt einzelne Atome, fügt sie harmonisch zusammen und am Ende werden sie zu einer Symphonie“, schwärmt die Forscherin.
Vom Kleinen ins Große
Zurück zu den Neutronensternen. Manche davon, sogenannte Pulsare, rotieren Hunderte Male pro Sekunde um die eigene Achse und strahlen dabei, wie eine sich drehende Lampe in einem Leuchtturm, Energie in Richtung Erde. Diese kann man messen. Der Stern verliert jedoch – wie ein Kreisel – im Laufe der Zeit an Rotationsenergie und wird wie erwartet langsamer. Doch manchmal, für einen kurzen Augenblick, beschleunigt er sich wieder, was Astrophysiker bis heute nicht erklären können.
Ferlaino und ihr Team arbeiteten mit Astrophysikern aus Gran Sasso in Italien zusammen und entwickelten ein neues Modell, das dieses außergewöhnliche Verhalten erklären kann. Ihre Theorie: Unter der festen Kruste des Neutronensterns befindet sich ein suprafester Mantel, der sowohl feste als auch flüssige Eigenschaften hat.
Durch die Drehung des Sterns entstehen in diesem Mantel Wirbel. Und weil es sich um eine Quantenflüssigkeit handelt, bildet sich nicht nur einer, sondern unzählige Wirbel gleichzeitig, die in der kristallinen Struktur des Suprafestkörpers gefangen sind. Wird die äußere Kruste des Neutronensterns langsamer als der innere Mantel, entsteht ein Energieungleichgewicht. Die Wirbel entweichen aus dem Mantel und erreichen die Kruste des Sterns. Sie schubsen ihn dadurch sozusagen an – er wird wieder schneller.
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„Das ist das Schöne an der Physik – sie ist universell“, sagt Ferlaino. Was im Labor in Innsbruck gilt, gilt auch in Neutronensternen. In einer Computersimulation zeigte sich das Modell vielversprechend. Nun sollen auch Hinweise darauf in der realen Welt gefunden werden.
Physik ist (noch) eine Männerdomäne
Francesca Ferlaino (46) ist in der österreichischen Quantenforschung eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur, weil sie eine führende Expertin ist, sondern auch, weil sie eine Frau ist. Anfang des Jahres startete sie daher das Projekt „Atom*Innen“ – ein Netzwerk für Quantenphysikerinnen, unterstützt durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften.
„In Österreich liegt der Frauenanteil in der Physik bei 29 Prozent“, sagt Ferlaino. „Das hat auch kulturelle Gründe – in Polen liegt der Anteil bei 50 Prozent“, so die Wahl-Tirolerin. Während in Österreich noch relativ viele Studentinnen das Studium beginnen, werden es immer weniger, je höher sie die akademische Leiter aufsteigen.
Eine Karriere in der Forschung ist auch nicht unbedingt mit der Familienplanung vereinbar, weiß die zweifache Mutter aus Erfahrung: „Wissenschaft erfordert viel Zeit und Hingabe.“
Zudem mache es „einfach keinen Spaß, immer in der Minderheit zu sein“, so Ferlaino. Die Forscherin ist sich bewusst, dass ihre Plattform keine Universallösung für diese Probleme ist. Aber es sei ein erster Schritt in Richtung Ausgewogenheit.
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