
Stoffe im Schweiß können vor anbahnenden Krankheiten warnen.
Schweißsensoren und KI-Assistenten: Die Zukunft der Gesundheitsvorsorge
Der US-Amerikaner Bryan Johnson ist der wohl bestuntersuchte Mensch der Welt. Nicht etwa, weil er schwer krank ist. Der Multimillionär will vielmehr nie mehr krank werden. Sein Ziel ist nämlich, so lange wie möglich zu leben. Um das zu erreichen, zeichnet er so viele Körperdaten wie möglich auf. Ein sogenanntes Whoop-Band um sein Handgelenk misst Herz- und Atemfrequenz sowie die Sauerstoffsättigung seines Blutes. Ein Sensorring am Finger analysiert die Schlafqualität, ein Ring am Penis erkennt, wie viele Erektionen der 47-Jährige in der Nacht hat. Regelmäßig lässt sich der Unternehmer Blut, Urin, Stuhl und Speichel untersuchen, um sich anbahnende Krankheiten möglichst schnell zu entdecken und der natürlichen Alterung entgegenzuwirken. Körperfettmessungen und regelmäßige Ganzkörper-MRTs gehören für Johnson zur Routine. Alle 2 Wochen lässt er in der Röhre sein gesamtes Inneres auf Krebs und andere Krankheiten scannen.
So extrem wie Johnson muss man bei der eigenen Gesundheitsvorsorge nicht vorgehen. Er zeigt allerdings, wohin die Reise geht. Durch Smartwatches, Sportarmbänder oder allein mit dem Smartphone werden heute bereits massenhaft Gesundheitsdaten aufgezeichnet. Durch Künstliche Intelligenz kann man diesen Datenberg auswerten und so die Vorzeichen einer Erkrankung erkennen.
Mehr Daten notwendig
Dafür braucht es aber immer mehr Sensoren und immer mehr Datenmaterial. Während die meisten Smartwatches heute zwar bereits Puls und Sauerstoffsättigung aufzeichnen können, gibt es mittlerweile auch solche, die den Blutdruck erfassen können. Die Hersteller sind allerdings noch vorsichtig und warnen davor, herkömmliche Diagnosemethoden durch diese Messgeräte zu ersetzen. Die Daten würden lediglich als Referenz dienen.
Auf lange Sicht dürfte sich die Technik aber so weit weiterentwickeln, dass Blutdruckmessen über die Smartwatch ohne Probleme möglich ist. Seit Jahren wird daran geforscht, wie man mit den Geräten am Handgelenk den Blutzuckerwert bestimmen könnte. Die Hoffnung vieler Diabetes-Patienten: Endlich messen ohne Stich – weder in den Finger, um dort einen Tropfen Blut zu entnehmen, noch in den Oberarm, wo ein CGM-Sensor den kontinuierlichen Glukosewert in der zwischenzellulären Flüssigkeit misst.
Den Datenschatz heben
Im Frühjahr oder Sommer 2026 soll es so weit sein: Dann plant Apple, eine neue, KI-gestützte Gesundheits-App namens Health+ auf den Markt zu bringen. Die Anwendung soll Nutzern dabei helfen, gesünder zu leben – mit Empfehlungen, die sich aus Gesundheitsdaten speisen. Diese stammen nicht nur von der Apple Watch, sondern können auch direkt in die App eingegeben werden. Ein besonderes Feature: Über die Kamera des iPhones soll Health+ künftig sogar Trainingseinheiten analysieren und dazu passende Tipps liefern.
Digitale Helfer mit Risiken
Jama Nateqi, Gründer des KI-Symptomcheckers Symptoma, sieht in solchen digitalen Gesundheitsassistenten großes Potenzial. Sie könnten nicht nur bestehende Symptome analysieren, sondern auch auf Risiken hinweisen und präventive Maßnahmen vorschlagen. „Es wird nicht darum gehen, reaktiv zu sein, sondern in Richtung Prävention zu denken“, sagt er. Gleichzeitig warnt Nateqi vor Datenschutzrisiken. Gesundheitsdaten seien besonders sensibel – sie könnten im schlimmsten Fall zu Missbrauch oder Stigmatisierung führen. Ein bekanntes Beispiel: 2019 wurde öffentlich, dass die App Ada Health offenbar ohne Zustimmung Nutzerdaten an Facebook und Trackingdienste weitergegeben hatte.
Europa vs. Silicon Valley?
Tamás Petrovics, Mitgründer und CEO des österreichischen Start-ups XUND, sieht die Entwicklungen aus den USA gelassen. „Seit 15 Jahren heißt es, Apple bringt nächstes Jahr eine Gesundheitslösung. Ausgeschlossen ist das nie – aber es bleibt abzuwarten.“
Er bezweifelt, dass US-Unternehmen den komplexen und aufwändigen Weg einer europäischen Medizinprodukt-Zertifizierung gehen werden. „Das passt nicht gut zur Arbeitsweise dieser Unternehmen. Der europäische Markt ist langsam und stark reguliert“, so Petrovics. In Ländern wie den USA sei der Marktzugang für solche Produkte deutlich einfacher. Trotzdem: Die EKG-Funktion der Apple Watch ist inzwischen auch in Europa als Medizinprodukt zugelassen – es geht also durchaus.
Daten für die Forschung
Ein grundsätzliches Problem für den Fortschritt in Europa: Der Zugang zu Gesundheitsdaten für die Forschung. Lorenz Kapral vom Ludwig Boltzmann Institut kennt die Hürden aus eigener Erfahrung. Bei vielen Studien sei es schwierig, genügend Teilnehmer zu finden, die ihre Zustimmung zur Datennutzung geben. „Wir wollen Algorithmen, die mit heimischen Daten trainiert wurden – nicht mit Modellen aus den USA oder China“, betont Kapral. Denn eine KI, die auf Daten aus österreichischen Pflegeheimen basiert, funktioniere auch dort besonders gut. „Gerade bei solchen Forschungsprojekten kann es sinnvoll sein, die eigenen Daten zur Verfügung zu stellen“, so der Forscher.
Schweiß als Gradmesser
Beim Forschungsprojekt EU-TRAINS versucht man, den Blutzucker über einen anderen Weg aufzuzeichnen. Wie der Projektkoordinator Jörg Schotter vom österreichischen Forschungszentrum Silicon Austria Labs erklärt, wird dabei ein Biosensor entwickelt, der in der Kleidung anhand des Schweißes alle möglichen Gesundheitswerte ermittelt. Neben dem Blutzucker kann er dort auch den Laktatwert messen. Dieser gibt an, wie stark der Stoffwechsel gerade belastet ist. Besonders für Sportler ist der Wert interessant, da sie damit ihr Training noch effizienter gestalten können. „In Zukunft könnten Schweißbiosensoren aber auch zur Früherkennung bestimmter Krankheiten eingesetzt werden“, sagt Schotter. Auch Bewegungssensoren in der Kleidung können sowohl beim Sport als auch im Gesundheitsbereich zur Normalität werden. „Eine KI kann erkennen, ob man beim Training zum Beispiel eine Bewegung richtig ausführt“, sagt Projektpartner Lorenz Kapral vom Ludwig Boltzmann Institut. „Gleichzeitig nehmen die Sensoren Stürze wahr, oder dass sich gebrechliche Personen weniger bewegen, was auf ein Problem hindeuten könnte.“
Risikoeinschätzung durch KI
Künstliche Intelligenz ist außerdem ideal dafür, große Mengen an Gesundheitsdaten zu analysieren. Beim österreichischen Gesundheitsstart-up XUND hilft sie etwa, Symptome einzuordnen und Vorschläge für mögliche Krankheiten zu generieren. Ihr neuestes Produkt, der Health Check, setzt einen Schritt früher an. „Der fokussiert sich auch auf andere Daten: Lifestyle, familiäre Vorgeschichte und medizinische Vorgeschichte“, sagt Co-Gründer & CEO Tamás Petrovics. „Dann erhalte ich eine Einschätzung, wie hoch das Risiko ist, dass sich bestimmte Erkrankungen in Zukunft entwickeln.“ Krankenkassen können dadurch bares Geld sparen, indem sie etwa Vorsorgeuntersuchungen empfehlen, bevor das Leiden überhaupt ausbricht. Das ist deutlich günstiger, als eine bestehende Krankheit zu behandeln.
Dass solche KI-Gesundheitsassistenten in Zukunft weitverbreitet sein werden, ist für Petrovics klar. „Das Gesundheitssystem kann ohne digitale Lösungen wie unseren nicht überleben“, sagt der Unternehmer. „Medizinisches Personal, seien es Ärzte oder Pfleger, wird weniger, gleichzeitig steigt die Nachfrage, denn die Gesellschaft wird immer älter.“ Ein Programm, das Patienten zum richtigen Arzt leitet, würde laut Petrovics bereits eine enorme Entlastung bringen: „Ein Drittel der Patienten in der Notaufnahme wäre beim Hausarzt besser aufgehoben.“ Ein KI-gestütztes Medizinprodukt wie das von XUND könnte hier einordnen, ob überhaupt ein Notfall vorliegt oder man einen Tag warten kann. „Der Arzt wird dadurch nicht ersetzt, eine zwischenmenschliche Komponente wird es auch in 30 Jahren noch geben“, sagt Petrovics. Durch die KI-Assistenten hätte man wieder mehr Zeit dafür.
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