Digitale Sozialarbeit

Hilfe im Internet

© Getty Images / visionchina/iStockphoto/futurezone

Science

So helfen Streetworker jungen Menschen im Internet

Mobbing, Gewalt, Sucht, Armut: Viele junge Menschen werden tagtäglich von unterschiedlichen Ängsten begleitet. Manche fühlen sich vom öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs ausgegrenzt. Sie tauchen dann oft ins Internet ab und flüchten in virtuelle Lebensräume, wie Online-Spieleplattformen, soziale Netzwerke oder Foren. Am öffentlichen gesellschaftlichen Leben nehmen sie kaum noch teil. Die reduzierten sozialen Kontakte führen nicht selten zu Einsamkeit und Isolation. 

Um Betroffene online zu unterstützen und wieder in die analoge Welt einzubinden, wollen Charlotte Sweet und Franz Schiermayr von der Abteilung „Soziale Arbeit“ der Fachhochschule OÖ gemeinsam mit dem Verein „Initiativen für soziale Integration“ (ISI), dem Zentrum für Migrant*innen „migrare“ und der Jugendinfostelle „Akzente“ die klassische Streetwork ins Internet verlagern.

Streetwork ist eine Form der sozialen Arbeit, bei der hilfsbedürftige Menschen aktiv, oft auf der Straße, von Professionist*innen angesprochen und begleitet werden.

Die Mitarbeiter*innen vom Artificial-Eye-Team des ISI-Vereins (v.l.n.r):
Robert Hartmann, Youri Oranje und Jacqueline Pühringer

Handbuch entwickeln

„Lebenswelten erweitern sich. Soziale Unterstützung muss diese Lebenswelten mitdenken und auch dort Unterstützung anbieten können“, sagt Schiermayr im futurezone-Gespräch. Wie das konkret in die Praxis umgesetzt werden kann, ist Gegenstand des Forschungsprojekts „Artificial Eye“. Ziel ist es, eine standardisierte Handlungsanleitung für soziale Arbeit in digitalen Räumen zu entwickeln.

Einsamkeit

Die Pandemie hat besonders junge Menschen aus dem Gleichgewicht gebracht. Durch Schulschließungen konnten Kinder und Jugendliche monatelang keine Gleichaltrigen treffen.

86 Prozent haben laut einer Studie der Uni Innsbruck 2021 unter Einsamkeit und Isolation gelitten. Mehr als 70 Prozent waren erhöhtem Stress ausgesetzt. Eine Studie aus Österreich von März 2021 hat zudem belegt, dass 55 Prozent der österreichischen Schüler*innen unter Depressionen leiden.

Zur Zielgruppe zählen junge Erwachsene mit unterschiedlichen Themen wie Arbeitslosigkeit oder Essstörungen sowie Menschen mit Migrationshintergrund und andere marginalisierte Gruppen. Diese halten sich oftmals auf unterschiedlichen Plattformen im Internet auf.

Franz Schiermayr und Charlotte Sweet vom Department „Soziale Arbeit“ der Fachhochschule Oberösterreich leiten das Projekt „Artificial Eye“

Sukzessiv Mehrkontakt

Die Sozialarbeitenden müssen aktiv in diese Plattformen einsteigen und die Zielgruppe ansprechen. Wie die Kontaktarbeit stattfindet, hänge von dem jeweiligen digitalen Raum ab, sagt Co-Projektleiterin Sweet: „Die Sozialarbeitenden müssen sich an diese Lebensräume anpassen, da sie unterschiedlich genutzt werden.“ Oft seien es Foren, in denen sich Menschen mit bestimmten Fragen bewegen. 

„Es gibt mehrere Möglichkeiten, an die Menschen heranzutreten, etwa über Streaming oder Spiele. Dabei schließt man erste Kontakte und durch diese dann weitere Kontakte. Zum Teil wird man auch eingeladen zu bestimmten Gruppen, etwa zu einer Gaming-Gruppe. So entsteht sukzessiv Mehrkontakt“, ergänzt Schiermayr.

Um Vertrauen in diesen virtuellen Räumen aufzubauen, sei es jedenfalls wesentlich, dass sich die Professionist*innen von Anfang an offen deklarieren und ihren Auftrag nach außen tragen. Neben einem hohen Maß an Transparenz und Offenheit sei zudem Kontinuität wichtig, denn ein einmaliger Kontakt reicht meist nicht aus.

Anschluss finden

Die soziale Arbeit selbst unterscheidet sich kaum von jener auf der Straße, wie Schiermayr erklärt: „Auch die analoge Arbeit findet sehr häufig sehr lange anonym statt, weil man oft keine Namen hat. Prinzipiell geht es darum, Menschen, die ausgegrenzt oder in Schwierigkeiten sind, ein Stück weit zu begleiten, damit sie auch andere digitale Räume aufsuchen, wo sie auf bestehende Angebote zurückgreifen können und so Unterstützung bekommen.“

Symbolbild

Zusätzlich wolle man ihnen helfen, einen Anschluss an analoge Gesellschaften zu finden. Wie gut sich Betroffene wieder in die Gesellschaft integrieren lassen, ist aufgrund der Anonymität statistisch schwierig zu erheben.

„Was sich aber zeigt, ist, dass dieser digitale Kontakt funktioniert und angenommen wird. Für jene, die in Kontakt mit den Sozialarbeitenden stehen, entstehen neue Perspektiven. Sie bekommen Interesse und schlagen plötzlich von sich aus Foren vor, um sich zu treffen“, erklärt der Forscher. 

Das Projekt läuft noch bis September. Mit den bisherigen Erkenntnissen wurde bereits ein Prozesshandbuch entworfen, das laut Sweet laufend überprüft werde: „Den Sozialarbeitenden steht eine Anleitung zur Verfügung, wie sie sich in diesen Räumen bewegen und Vertrauen aufbauen müssen, damit dort soziale Arbeit entstehen kann.“

Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).

Soziale Isolation wirkt sich ähnlich aus wie Hunger

Der Mensch ist ein soziales Wesen und hat das Bedürfnis nach menschlichem Kontakt. Ist er länger isoliert und fühlt sich einsam, kann es zu seelischem und körperlichem Stress kommen. Laut einer aktuellen Studie wirkt sich Einsamkeit ähnlich aus wie Nahrungsentzug: Sie zehrt an der Energie und macht müde.

Das Team rund um Giorgia Silani von der Fakultät für Psychologie an der Uni Wien hat für die Studie Daten vom ersten Corona-Lockdown in Österreich und Italien untersucht. Außerdem wurde ein Experiment mit 30 Teilnehmer*innen durchgeführt, die in 3 Gruppen aufgeteilt waren.

Stresspegel

Sie verbrachten an 3 Tagen jeweils 8 Stunden im Labor. In dieser Zeit konnte Gruppe 1 essen und sozial interagieren. Gruppe 2 konnte nur essen und Gruppe 3 nur sozial interagieren. Die Proband*innen wurden auch laufend zu ihrem Stressempfinden und ihrer Müdigkeit befragt – zudem wurden der Cortisolspiegel und die Herzfrequenz aufgezeichnet. 

Es hat sich herausgestellt, dass soziale Isolation und Nahrungsentzug ähnliche Auswirkungen hatten und zu erhöhter Müdigkeit und reduzierter Energie führen. Die Lockdown-Daten zeigten ähnliche Resultate. Laut den Wissenschafter*innen könnte es zu einem psychologischen Ungleichgewicht kommen, wenn sozialer Kontakt nach einer Phase der Isolation ausbleibt.

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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