
Im Forschungsprojekt SETT wird ein Echtzeit-Feedbacksystem für Trainings vor dem Fernseher nach einer Hüft-OP entwickelt
Training nach der Hüft-OP: Der Fernseher gibt Feedback
Österreich liegt international im Spitzenfeld bei Implantationen von künstlichen Hüft- und Kniegelenken. Menschen, die sich einer solchen Operation unterziehen, etwa wegen Gelenkerkrankungen wie Arthrose, müssen sich anschließend an das Leben mit Implantat gewöhnen. Im Rahmen von Therapien, aber auch im eigenen Haushalt, werden Bewegungsabläufe neu gelernt und optimiert.
Die FH Campus Wien erforscht an den Forschungszentren Gesundheitswissenschaften sowie Digital Health and Care eine neue Möglichkeit, um Patientinnen und Patienten zuhause jene Rückmeldungen zu geben, die für einen optimalen Lernfortschritt benötigt werden und auch die Motivation zum Eigentraining fördern.
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Spielerisches Tele-Reha-Training im Wohnzimmer
Das Forschungsprojekt SETT (Smarte echtzeitfeedbackunterstützte Trainingstherapie) hat ein instrumentell unterstütztes Echtzeitfeedback mit Serious-Gaming-Elementen zum Ziel, erklärt Projektleiter Klaus Widhalm. Eine eigene kleine Set-Top-Box für den Fernseher mit Kamera soll Übungen – nach anfänglicher persönlicher Übungseinweisung durch therapeutische Professionistinnen bzw. Professionisten – anleiten und auch gleich Rückmeldungen zu ihrer Ausführung geben. Im Projekt wird ermittelt, wie man das Eigentraining von Menschen nach einem Hüftgelenksersatz damit verbessern könnte und welche Effekte diese Art des Trainings hat.
"In Österreich gibt es je knapp 20.000 Hüft- und Kniegelenks-OPs pro Jahr. So ein Implantat ist ein hochqualitatives und nicht gerade günstiges Teil. Es soll nachhaltig funktionieren", sagt Widhalm. Oft sei der Umgang mit einem neuen Gelenk für Menschen nicht so einfach. Einige haben durch Schmerzen vor der Operation Bewegungsmuster wie Hinken entwickelt, die sich nicht leicht abgewöhnen lassen.

Im Forschungsprojekt SETT wird ein Echtzeit-Feedbacksystem für Trainings vor dem Fernseher nach einer Hüft-OP entwickelt
© FH Campus Wien/Schedl
Wochenlange Nachbehandlung
Bei der Nachbehandlung nach Hüftgelenksoperationen gibt es keinen einheitlichen Behandlungspfad, was durchaus auch an der Heterogenität der Patientinnen und Patienten liegen könnte. Meist werden Patientinnen und Patienten schon wenige Tage nach dem Eingriff in das häusliche Umfeld entlassen. 4 Wochen dauert es üblicherweise, bis sie wieder annähernd frei, also ohne Krücken, gehen können. Zur Rehabilitation steht die 3-wöchige stationäre Reha oder eine ambulante Begleitung zur Verfügung.
Für Betroffene, welche körperlich in der Lage sind selbständig funktionelle Übungen auszuführen, wäre eine medizinische Trainingstherapie in Kleingruppen ideal, in welcher 2- bis 3-mal wöchentlich Bewegungsübungen durchgeführt werden – zusätzlich zu täglichen Übungen daheim.
Die Anleitungen für Übungen zuhause bekommen Betroffene meist in Papierform mit. Mit Text und Bildern wird beschrieben, was dabei zu tun ist. Eine Rückmeldung, ob die Übungen korrekt ausgeführt werden, gibt es dabei in den seltensten Fällen. 3 Monate nach der Operation sollen sich Patientinnen und Patienten im Alltag wieder völlig selbstständig bewegen können. Danach gilt es, die körperliche Fitness zu steigern.

Im Ganglabor der FH Campus Wien wurden die Bewegungen gesunder Menschen erfasst
© FH Campus Wien/Maul
Moderne Forschungsumgebung
Für SETT wurde in einem Labor der FH Campus Wien auch untersucht, wie sich gesunde Menschen bewegen, u.a. mit Hilfe des GRAIL-Systems, das aus einem Laufband mit Virtual-Reality-Umgebung besteht. Neben dem Gehen in der Ebene führten diese 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch eine ganze Reihe verschiedener Übungen durch, etwa Ausfallschritte, Kniebeugen oder das Gehen auf einer Rampe. Bei der Hälfte der Personen handelte es sich um Bewegungsexpertinnen und -experten, bei der anderen Hälfte um nicht bewegungsgeschulte Personen.
Die dabei ermittelten Daten flossen in eine Referenzdatenbank zum Mustererkennungsabgleich mit den Bewegungsmustern von Menschen nach Hüft-OP ein. Sie bildet die Grundlage für die Software der Set-Top-Box für daheim, die per HDMI-Kabel einfach an den Fernseher angeschlossen werden kann. Sie erkennt auch ohne Internetverbindung anhand der Kamerabilder, wie sich die Person vor dem Fernseher bewegt und gibt visuelle Rückmeldungen während der Ausführung von Übungen. Das Ganze ist aufgebaut wie ein Spiel, aber mit ernsthaftem Trainingshintergrund.
Die Hardware der Box ist ein Mini-PC kombiniert mit einer Tiefenkontrastkamera. "Unser Prototyp liegt in einer ähnlichen Preisliga wie eine Spielkonsole", sagt Widhalm. Zur Steuerung dient eine kleine Fernbedienung. Vor dem Fernseher wird eine etwa 2 mal 2,5 Meter große Trainingsfläche benötigt. Die Anwenderin bzw. der Anwender kann normale Trainingsbekleidung, etwa Jogginghose und T-Shirt, tragen. Die Software erkennt Körperteile und ihre Bewegung auch ohne spezielle Markierungen.
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Von der Forschung zum Produkt
Im Projekt SETT wird auch evaluiert, wie gut das Eigentraining mit der TV-Box funktioniert. Sind die Resultate zufriedenstellend, könnte die Idee zu einem tatsächlichen medizinischen Produkt werden. Etwas derartiges existiert derzeit am Markt noch nicht, wie Widhalm erklärt.
Neben einem konkreten Anwendungsbeispiel bringt SETT aber auch wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse. Bewegungsmusterdaten stehen der Forschung bisher noch nicht in größerem Ausmaß zur Verfügung. Die Referenzdatenbank könnte künftig aber auch dazu dienen, festzustellen, welche Menschen risikogefährdet sind, eine Knie- oder Hüftarthrose zu entwickeln - etwa aufgrund zunehmender körperlicher Inaktivität.
Als klinischer Partner für das Projekt SETT fungiert das Orthopädische Spital Speising. Gefördert wird es von der Wiener Magistratsabteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik (MA 23).
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen FH Campus Wien und der futurezone.
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