Wettrennen zum Mond: "Was ist mit Europa los?"
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Mitläufer oder Vorläufer sein, das ist eine der großen Fragen, die sich Europa immer wieder in Bezug auf die Raumfahrt stellen muss. Während China und die USA bereits mitten im Wettrennen um den Mond sind, ist Europa nur Unterstützer. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Forscherdrang, sondern um Geld.
Expert*innen schätzen die globale Weltraumwirtschaft auf bis zu 450 Milliarden Dollar, bis 2040 könnte diese Summe die Billionen-Dollar-Marke erreichen. Die Spitzen-Beratergruppe HLAG (High-Level Advisory Group) der europäischen Raumfahrtagentur ESA mit Vertreter*innen aus der Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft, schlägt in ihrem Bericht vor, dass Europa ein Drittel dieser Weltraumwirtschaft einnehmen soll.
Wie das erreicht werden kann, diskutierten am Freitag ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher und Vertreter*innen aus allen Sektoren der Raumfahrt im Palais Ferstel Wien. Bei der "Ready for the Moon"-Konferenz ("Bereit für den Mond"), fragte Aschbacher in seinem Eröffnungsvortrag: Wird Europa einen Teil vom Weltraumwirtschafts-Kuchen abbekommen oder nur die Krümel auflesen?
Unabhängigkeit im All
Zwar ist Europa weltweit führend bei der Erdbeobachtung und Satelliten-Navigation. Die USA, China, Russland und bald auch Indien sind aber die einzigen Nationen, die Menschen ins All schicken können. Das kommentierte der Generaldirektor mit: "Was läuft falsch mit Europa?"
Ohne internationale Partner ist Europa derzeit machtlos. Der ESA fehlt nicht nur eine Rakete für die bemannte Raumfahrt. Die Verzögerung beim Jungfernflug der neuen Ariane 6 sorgt dafür, dass Europa in Kürze gar keine Schwerlastrakete mehr hat. Die Ariane 5 wird nur noch einmal starten, bevor sie in den Ruhestand geht. "Europa steckt in einer Launcher-Krise", fasste Leonore Gewessler (Grüne), die Situation in ihrem Eröffnungsstatement zusammen. Sie ist als Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität und Technologie auch für Österreichs Rolle im Weltraum zuständig.
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Nachdem wegen des Krieges in der Ukraine die Verbindung zu Russland gekappt wurde, ist Europa auf die USA angewiesen. Zwar arbeiten ESA und NASA gemeinsam an der Erkundung des Mondes, doch den Löwenanteil stemmt die US-amerikanische Weltraumagentur. So liefert die ESA zwar das Antriebs- und Steuermodul ESM (European Service Module) für das Mondraumschiff der NASA – ob im Gegenzug ein Europäer einen Platz auf dem Flug zum Mond bekommt ist aber immer noch offen.
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Wettbewerb oder Kooperation
In den USA beanspruchen immer mehr private Firmen wie SpaceX und Blue Origin den Weltraumsektor für sich. Anstatt dass Europa die eigene Space-Industrie fördert, würde man zunehmend von den amerikanischen Unternehmen abhängig werden. "Wir sehen eine Entwicklung weg von Kooperationen zwischen Nationen, hin zu Konzernen und Wettbewerb", sagte Nationalratsabgeordnete und HLAG-Mitglied Theresa Niss (ÖVP) während der Konferenz.
Europa ist zwar schon immer sehr stark bei Kooperationen. Doch im internationalen Wettbewerb schwächelt es. Sollte der Anschluss an die USA und China endgültig verloren werden, wird Europa keine signifikante Rolle mehr in der Raumfahrt spielen, sind sich die Konferenz-Teilnehmer*innen einig. Die nötigen Investitionen, um relevant zu bleiben, dürfen Länder aber nicht einfach über die Köpfe der Bürger hinweg tätigen: "Wir müssen ihnen erklären, was für sie rausspringt und was passiert, wenn Europa weiter zurückbleibt", sagt Niss.
Auch Bundeskanzler Karl Nehammer sieht es als essenziell, die europäische Raumfahrt zu stärken: "Das ist eine Win-Win-Situation, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken". Österreichische Firmen und Forschungseinrichtungen seien exzellent. Budgetressourcen für die Investition seien ausreichend vorhanden, sie müssten nur entsprechend eingesetzt werden, sagte er in einer Pressekonferenz am Freitagabend.
Talente und Firmen wandern ab
Europa muss daher schnell investieren, sonst droht ein Wissens- und Technologie-Exodus. Junge Talente und Start-ups wandern zu größeren Märkten ab, etwa in die USA. Die Kosten für höhere Investition in die Raumfahrt seien dabei weitaus geringer als die für Europa entstehenden Verluste. Schließlich hängen an den Weltraum-Technologien zahlreiche andere Fortschritte – auch solche, die bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe dienen. "Der Weltraum ist ein Faktor, der die wirtschaftliche Zukunft von Unternehmen beeinflussen wird", sagt Aschbacher.
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Deshalb sei es unbedingt notwendig, Menschen schon früh für den Weltraum zu begeistern: "Die Ingenieure von Morgen müssen im Kindergarten und nicht an der Universität gebildet werden", sagte HLAG-Mitglied und Journalist Tomas Rozek. Das sei auch entscheidend, um mehr Frauen für den Weltraum zu begeistern. Kleine Kinder seien noch viel offener und begeisterungsfähiger als Jugendliche, die bereits gefestigte Ansichten hätten.
ESA muss attraktiver werden
Zudem sei es wichtig, die ESA stärker ins gesellschaftliche Interesse zu rücken: "Unsere Kinder sollten ESA- und nicht NASA-Kappen tragen", sagte Dieter Grebner, Präsident von Austrospace, auf der Konferenz. Die europäische Raumfahrt müsse attraktiver werden, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Dabei wächst das Interesse der Europäer*innen an der Raumfahrt rasant. Allein die Bewerbungen für die neue Generation an Astronaut*innen verdreifachten sich 2021 im Vergleich zur letzten Ausschreibung 2008.
Die weiterhin ungeklärte Frage ist, ob Europa diese Begeisterung rechtzeitig für die eigene Wirtschaft nutzen kann. Dafür arbeitet Aschbacher jetzt zusammen mit Expert*innen an der Bezifferung dieser Investitionen. Konkrete Zahlen, wie viel Europa zusätzlich in den Sektor "Human and Robotic Space Exploration" investieren muss, nennt er allerdings (noch) nicht.
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