Warum in Wien Dutzenden Axolotl die Arme abgeschnitten werden
1.500 erwachsene und einige Tausend Axolotl-Jungtiere bewohnen die Aquarien des Vienna Biocenters. Mit ihnen – oder besser gesagt an ihnen – wird geforscht.
Obwohl Axolotl in der Natur nur in 2 Seen in Mexiko beheimatet sind, sind sie weltweit bekannt. Das liegt wohl am niedlichen Aussehen der Schwanzlurche, die quasi im Kaulquappenstadium stecken geblieben sind und sich nie in ausgewachsene Lurche entwickeln.
Axolotl sind noch aus einem anderen Grund interessant: Sie können fast jeden beliebigen Teil ihres Körpers nachwachsen lassen. Verlieren sie ein Bein, wächst das samt Gelenken und Fingern nach.
Auch Organe zu erneuern, ist für das Tier kein Problem. Sogar Teile des Rückenmarks und Gehirns kann der Axolotl regenerieren. Wie sie das machen, ist nicht vollständig geklärt. Aber Forscher*innen glauben, dass ihr Geheimnis auch Menschen helfen könnte – etwa jenen mit Rückenmarksverletzungen.
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Die Wiener Axolotl
Die Axolotlpopulation in Wien steht unter der Aufsicht von Elly Tanaka. Die gebürtige US-Amerikanerin forscht seit Jahren an den Tieren. Hinter den Selbstheilungskräften der Tiere vermutet sie evolutionäre Gründe: Axolotl sind nämlich Kannibalen und „fressen sich wirklich gern gegenseitig“, sagt die Forscherin im Gespräch mit der futurezone. Wem da das Bein wieder nachwächst, der ist klar im Vorteil.
Tanaka und ihr Team wollen verstehen, wie dieser Vorgang genau funktioniert. Es gibt schier unzählige Gewebearten, Proteine und Botenstoffe, die auf komplizierte Art und Weise miteinander agieren müssen, damit etwa eine Axolotl-Hand mit der richtigen Anzahl an Fingern – nämlich 4 – wieder nachwächst.
Im Zentrum des Prozesses stehen die sogenannten Fibroblasten. Diese Bindegewebszelle bildet bei Menschen etwa Narbengewebe, wenn man sich verletzt hat. Beim Axolotl können sie sich wieder in Stammzellen zurückbilden, aus denen sich verschiedene Zelltypen wie Muskel- und Knochenzellen bilden können, die für das Nachwachsen einer neuen Hand gebraucht werden.
Axolotl-Fakten
Geduldsspiel
Ein bis 2 Monate dauert es, bis ein Bein eines Axolotl-Jungtiers nachgewachsen ist. Bei älteren Tieren dauert es bis zu 6 Monate. Bei der Forschung mit den Tieren ist daher Geduld nötig.
Färbung
In der freien Wildbahn haben Axolotl meist eine braune Färbung, um besser mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Im Vienna Biocenter gibt es allerdings fast nur weiße bzw. leicht rosa Lurche, die in der Natur nur selten zu finden sind. Sie eigenen sich für Forschungszwecke besser, weil man mit Mikroskopen ihre inneren Organe durch die Haut erkennen kann, ohne sie aufschneiden zu müssen.
500 Eier
können Axolotl-Weibchen beim Ablaichen legen – und das mehrmals im Jahr. 2 bis 3 Wochen später schlüpfen die Larven, die etwa 7 Millimeter groß sind. Ausgewachsene Tiere sind bis zu 25 Zentimeter lang. Axolotl können bis zu 20 Jahre alt werden, für die Forschung eignen sie sich allerdings nur 5 bis 6 Jahre lang. Danach nimmt nämlich die Reproduktion der Tiere stark ab.
Gefährdung
Mittlerweile leben mehr Axolotl in Gefangenschaft als in der freien Natur. In ihrem ursprünglichen Lebensraum in Mexiko gelten die dämmerungs- und nachtaktiven Lurche als vom Aussterben bedroht.
Doch woher wissen die Zellen, welches Körperteil gerade ersetzt werden muss? Ob sie sich in einen Ellenbogen oder einen kleinen Finger verwandeln müssen? „Die Zellen haben eine Art Gedächtnis, wo sie sich befinden“, erklärt Tanaka. Schneidet man einen Axolotl-Arm über dem Ellenbogen ab – die Tiere werden dazu unter Vollnarkose versetzt – wissen die Zellen, dass sie zuerst einen Ellenbogen bilden müssen, bevor es an Unterarm und Hand geht.
Zellen umprogrammieren
Auch bei Zellen von Mäusen und Menschen wurde ein solches Gedächtnis bereits beobachtet, sagt Tanaka. Warum uns nicht einfach ein Arm nachwächst, wenn er uns amputiert wird, liegt eher an den Fibroblasten. Die sind bei Säugetieren komplizierter aufgebaut als bei den Lurchen und können sich daher nicht einfach in Stammzellen verwandeln.
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Die Wissenschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Gebiet allerdings enorme Fortschritte gemacht. So können menschliche Zellen bereits zu Stammzellen „umprogrammiert“ werden. Und zumindest im Labor ist es bereits möglich, menschliches Rückenmark aus embryonalen Stammzellen nachzubilden.
Wann es so weit ist, dass man auch menschliche Organe oder sogar Körperteile nachwachsen lassen kann, darauf will sich Tanaka nicht festlegen: „Es ist zu waghalsig, hier eine Zeitvorhersage zu treffen.“ Es brauche immer noch viel Forschung, bis man so weit sei. Aber der Weg ist eingeschlagen.
Überlebenskünstler in der Tierwelt
In der Tierwelt gibt es einige Beispiele, bei denen ganze Körperteile einfach nachwachsen können. Eines der bekanntesten ist wohl der Haifisch mit seinem „Revolvergebiss“. Verliert das Tier einen Zahn, rückt ein anderer nach – die Zähne werden laufend erneuert. Bis zu 30.000 Zähne kann ein Hai so in seinem Leben verschleißen.
Ein anderes Beispiel ist die männliche Winkerkrabbe. Die kleinen Tierchen mit der großen Schere verlieren im Kampf um ein Weibchen hin und wieder ihr Kneifwerkzeug. Das ist allerdings kein Problem. Die kleine Schere auf der anderen Seite vergrößert sich zur Hauptschere und an der eigentlichen Stelle wächst wieder eine kleine Schere nach. So kann aus einer „rechtsscherigen“ Krabbe eine „linksscherige“ Krabbe werden.
Regeneration eines Regenwurms
Wahre Überlebenskünstler finden sich auch im heimischen Garten. Einem Regenwurm macht es etwa vergleichsweise wenig aus, wenn man ihn in 2 Teile teilt. Allerdings lebt nur der Kopf weiter – und auch nur dann, wenn noch genügend Regenwurm dranhängt. Anders verhält es sich bei Strudelwürmern, die im Meer, Flüssen und feuchten Biotopen vorkommen. Zerteilt man sie in der Mitte, regenerieren sich daraus 2 eigenständige Tiere. Auch manche Seesternarten können sich so vermehren.
Ebenfalls ein Beispiel aus dem Garten ist die Eidechse, die trotz ihres Aussehens nicht sehr eng mit dem Axolotl verwandt ist. Sie kann ihren Schwanz bei Gefahr aktiv abwerfen, um die Aufmerksamkeit eines Räubers von sich abzulenken. Bis ein neuer, kürzerer Schwanz nachwächst, vergehen mindestens 2 Monate. Außerdem kann die Eidechse ihren Schwanz kein zweites Mal abwerfen.
Herzige Zebrafische
Der Zebrafisch, ein beliebter Zierfisch in Aquarien, ist auch unter Wissenschaftler*innen ein beliebtes Versuchsobjekt. Exemplare wurden sogar schon in den Weltraum geschossen, um die Auswirkungen der Schwerelosigkeit und Weltraumstrahlung auf sie zu untersuchen.
Die Süßwasserfische können – ähnlich wie Lurche – Teile von Flossen, Herz und Hirn regenerieren. Die Forschung mit den Tieren soll etwa neue Behandlungsmethoden bei Krankheiten aufzeigen, wo Teile des Herzgewebes absterben.
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