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Science

Wiener Forscher messen, wie ein Marienkäfer die Raumzeit krümmt

Wiener Physiker haben die kleinste jemals bestimmte Gravitationskraft gemessen. Es handelt sich um die Anziehungskraft eines 90 Milligramm schweren Goldkügelchens. Es ist etwa so schwer wie ein Marienkäfer und zieht andere Objekte mit einer Beschleunigung an, die 30 Milliarden Mal kleiner ist als jene der Erde, berichten die Forscher im Fachjournal „Nature“. Sie wollen sich mit solchen Experimenten der noch unklaren Verbindung zwischen Gravitation und Quantenphysik annähern.

Die Gravitationskraft ist die schwächste aller bekannten Kräfte in der Natur, doch ihre Wirkung ist im Alltag omnipräsent: wenn ein Glas auf den Boden fällt ebenso wie beim Schritt auf die Badezimmerwaage, bei jeder Bergtour oder jedem Raketenstart. Objekte werden von der Schwerkraft der Erde angezogen und im Vakuum mit etwa 9,8 Meter pro Sekundenquadrat beschleunigt. Abhängig ist die Gravitationskraft von der Masse und der Entfernung der zwei Körper.

Die verwendete Goldkugel im Größenvergleich mit einer 1-Cent-Münze. 

Quantenphysik und Gravitation

Markus Aspelmeyer von der Fakultät für Physik der Universität Wien und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und seine Kollegen diskutieren schon lange das noch unklare Verhältnis zwischen Quantenphysik und Gravitation. „Wenn man in Zukunft einmal diese Schnittstelle untersuchen will, dann darf man nicht nur gut in Quanten sein, sondern muss auch gut in Gravitation sein“, erklärte der Quantenphysiker im Gespräch mit der APA seinen Zugang zu der aktuellen Arbeit.

Das Problem auf ganz kleinen Skalen ist, „dass die Allgemeine Relativitätstheorie zwar gut die Phänomene der Gravitation beschreibt, doch Quantenphänomene damit unvereinbar sind“, so Aspelmeyer. So kann man laut Quantenphysik eine Masse so präparieren, dass sie sich so verhält, als ob sie an zwei Orten gleichzeitig ist - die Physiker nennen das „Superposition“. „Ungeklärt ist allerdings, ob das Gravitationsfeld einer solchen Masse auch in einer Superposition ist“, erklärte der Physiker, für den die Frage, ob die Gravitation eine Quantenbeschreibung braucht, rein experimentell zu klären ist.

Der Weg dorthin sei noch weit, schließlich braucht man dafür eine Masse, die groß genug ist, dass man ihr Gravitationsfeld messen kann, und gleichzeitig klein genug ist, um sie in Superposition bringen zu können. „Ich glaube aber, dass es prinzipiell möglich ist“, so Aspelmeyer, der gemeinsam mit Tobias Westphal mit dem aktuellen Experiment einen Schritt in diese Richtung unternommen hat.

Das winzige Pendel ist an einer dünnen Glasfaser aufgehängt und spürt die Gravitationskraft der Millimeter großen Goldkugel

90 Milligramm

Die Forscher recherchierten zunächst die kleinste bisher gemessene Gravitationskraft und fanden heraus, dass die meisten Experimente mit mehreren Kilo schweren Kugeln durchgeführt wurden. US-Kollegen versuchen Gravitation auf sehr kleinen Distanzen zu messen, aber auch sie verwenden dafür Objekte im Gramm-Bereich. Die Wiener Forscher unterbieten dies mit ihren rund zwei Millimeter großen, nur rund 90 Milligramm schweren Goldkugeln um den Faktor zehn.

Und sie griffen beim Aufbau ihres Experiments auf den berühmten Versuch des britischen Naturforschers Henry Cavendish (1731-1810) zurück. Der konnte 1797 mit Hilfe einer sogenannten Drehwaage die Gravitationskraft messen, die von einer 30 Zentimeter großen und 160 Kilo schweren Bleikugel erzeugt wird und auf eine viel kleinere Kugel wirkt. Cavendish konnte so mit Hilfe von Newtons Gravitationsgesetz erstmals die Masse der Erde und damit auch ihre mittlere Dichte bestimmen.

Aspelmeyer und Westphal haben nun eine Miniaturvariante dieses Experiments aufgebaut. Als gravitative Masse („Quellmasse“) dient das 90 Milligramm schwere Goldkügelchen. Seine Wirkung wurde so wie bei Cavendish mit Hilfe eines sogenannten Torsionspendels bestimmt. Dazu wurden an den Enden eines vier Zentimeter langen, dünnen Glasstabs zwei ähnlich große Goldkugeln wie die Quellmasse befestigt und diese „Hantel“ an einer hauchdünnen Glasfaser aufgehängt. Gold verwenden die Forscher, „weil seine Dichte groß und homogen verteilt ist und damit der Schwerpunkt nahe der Mitte der Kugel liegt“, so Aspelmeyer. Damit lassen sich Distanzen zwischen den Massenschwerpunkten sehr präzise messen.

Wird nun die Quellmasse in der Nähe einer Kugel auf dem Torsionspendel vor und zurück bewegt, ändert sich auch die Anziehungskraft auf diese Kugel und das Torsionspendel beginnt entsprechend zu schwingen. Diese Bewegung von nur einigen Millionstel Millimeter lässt sich mit Hilfe eines Lasers messen und daraus kann man auf die Gravitationskraft der Goldkugel schließen.

Zwei Forscher aus dem Team arbeiten im Labor an der Aufhängung des Pendels in einer Vakuumkammer

Seismische Schwingungen durch Fußgänger

Für die Physiker war es nicht einfach, andere Einflüsse auf das Torsionspendel möglichst klein zu halten, etwa seismische Schwingungen, die durch Fußgänger und den Verkehr rund um das Labor in Wien-Alsergrund erzeugt werden. Auch das Gravitationsfeld der Straßenbahn, die in rund 70 Meter Entfernung am Labor vorbei fährt, musste berücksichtigt werden: „Die Gravitationskraft der Straßenbahn ist immerhin ungefähr so groß wie jene unserer Quellmasse“, sagte Aspelmeyer.

Aus diesem Grund haben die Wissenschafter ein Torsionspendel verwendet und vor allem nachts und während der Weihnachtsfeiertage gemessen, als es nur wenig Verkehr gab. Auch andere Effekte wie elektrostatische Anziehungskräfte mussten abgeschirmt werden.

Dadurch wurde es erstmals möglich, das Schwerefeld eines so kleinen Objekts zu bestimmen. „Was wir hier eigentlich messen ist also, wie ein Marienkäfer die Raumzeit krümmt“, so Westphal.

Auch wenn man von der Schnittstelle Quantenphysik und Gravitation noch weit weg sei, eröffne die Möglichkeit, Gravitationsfelder von kleinen Massen und bei kleinen Abständen zu vermessen, neue Möglichkeiten zur Erforschung der Gravitationsphysik. „Dort gibt es überall wo man hinschaut offene Fragen“, so Aspelmeyer. Als nächsten Schritt wollen die Physiker ihr Experiment weiter Miniaturisieren und „in Richtung der Planck-Masse gehen und schauen, ob wir das Gravitationsfeld eines Objekts im Mikrogramm-Bereich messen können. Das wäre noch einmal um einen Faktor 1.000 kleiner als die Masse unseres Goldkügelchens“.

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