Ziviler Ungehorsam soll die Öffentlichkeit erreichen.

Ziviler Ungehorsam soll die Öffentlichkeit erreichen.

© EPA / JUST STOP OIL HANDOUT

Science

Was bringt ziviler Ungehorsam von Klimaaktivisten?

Frust und Verzweiflung sind es, was (radikale) Klimaaktivist*innen antreibt. Besonders junge Menschen fühlen sich von Politik und Gesellschaft ungehört und wenden sich zivilem Ungehorsam zu. Das Beschmieren von Kunstwerken, genauer gesagt deren Verglasung, oder das Ankleben an Straßen sorgt zwar für einen medialen Aufschrei. Über die Effekte auf die Gesellschaft wird allerdings gestritten.

Laut dem Soziologen Simon Schaupp dürften sich solche Störaktionen in Zukunft häufen. Er untersuchte im vergangenen Jahr die Motive der Klimabewegung in der Schweiz. “Viele haben den Eindruck, dass der Klimastreik zu wenig bringt”, meint Schaupp.

Ziviler Ungehorsam hat sich bewährt

Ziviler Ungehorsam scheint die nächste logische Stufe zu sein. Immerhin zeigt die Geschichte, dass der Status Quo damit erfolgreich verändert werden kann. Von der Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland bis hin zu Ghandi in Indien oder Martin Luther King in den USA. Sit-Ins, Die-Ins (hier legen sich Demonstrant*innen in der Öffentlichkeit wie tot zu Boden) oder das Festketten an Bäumen oder Gebäuden erregt mehr Aufmerksamkeit als Demonstrationen. Doch sind sie dadurch auch zielführender?

Environmental activists hold a die-in in Boston

Bei einem "Die-in" stellt man sich tot.

“Lange vertrat die Wissenschaft die Position, dass sich die Mehrheitsgesellschaft durch solche Aktionen entfremdet. Dabei handelte es sich aber meistens um gefühlte Diagnosen”, sagt Schaupp. Neuere Studien und statistische Auswertungen gehen aber davon aus, dass es keinen messbar negativen Einfluss auf die Gesellschaft gebe. Sogar ein geringer positiver Effekt sei möglich, da eine Differenzierung zwischen einem radikalen und einem gemäßigten Flügel stattfindet. Dadurch, dass man den radikalen Flügel ablehnt, fühlt man sich dem moderaten Teil näher.

Das Dilemma der Aktivist*innen

Doch auch in Wissenschaftskreisen gibt es widersprüchliche Ergebnisse. In einer Serie an Experimenten zeigten Forscher*innen Versuchspersonen Beschreibungen von Protesten und befragten sie dann zu ihrer Zustimmung mit der Sache. Extremere Aktionen wurden dabei als unmoralischer wahrgenommen und auch weniger unterstützt. 

Laut den Forschenden zeigt sich hier eine Art Dilemma: Aktivist*innen müssen zwischen Protestformen wählen, die weitestgehend ignoriert werden, und extremeren Aktionen, die zwar Aufmerksamkeit erregen, aber von der Gesellschaft womöglich negativ aufgenommen werden.

FRANCE-ENVIRONMENT-TRANSPORT-DEMO

Auch Straßensperren zählen zu zivilem Ungehorsam.

Geht es nach Harvard-Professorin Erica Chenoweth führt ziviler Ungehorsam nur dann zu Erfolg, wenn er genügend Anhänger*innen hat. Bei ihrer Untersuchung von 300 Protestbewegungen der vergangenen 100 Jahre kommt sie zum Schluss, dass sich mindestens 3,5 Prozent der Bevölkerung aktiv daran beteiligen müssen, um 100-prozentig erfolgreich zu sein. Das mag sich nach nicht viel anhören, auf Österreich gerechnet wären das aber immerhin mehr als 300.000 Menschen.

Radikalismus ist nicht Extremismus

“Wichtig ist, hier nicht Radikalismus und Extremismus zu vertauschen”, sagt die politische Philosophin Anna Wieder. Der Begriff des Extremismus bezeichnet äußerste Positionen, Extrempositionen im politischen Spektrum. Der Begriff des Radikalismus bezieht sich dagegen auf eine politische Position oder Bewegung, der es um umfassenden und tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel geht. “Diese Position ist aber heute keineswegs mehr eine, die von Gruppen am äußeren Rand des politischen Spektrums vertreten wird. Sie lässt sich im politischen Zentrum/Mainstream verorten”, sagt Wieder.

Außerdem zeichneten sich extremistische Gruppen damit aus, tendenziell eine höhere Gewaltbereitschaft zu haben. Anders verhält es sich bei zivilem Ungehorsam, der möglichst gewaltfrei auskommen will. Direkter ziviler Ungehorsam prangert Gesetze an, indem diese direkt gebrochen werden. Als Beispiel gilt die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks, die sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen.

Indirekter ziviler Ungehorsam nutzt den öffentlichen Raum, um auf andere Probleme aufmerksam zu machen. Dazu gehören Klimaaktivist*innen, die sich auf der Straße festkleben oder Kunstwerke beschmieren. So kam es etwa am Donnerstag wieder zu einer Klebeaktion, dieses Mal am Gerüst eines Dinosaurierskeletts in Naturhistorischen Museum in Wien. Die Forderung: Die Abkehr von fossilen Brennstoffen.

“In der Diskussion um die Suppenaktionen wird oft die politische Haltung mit der konkreten Handlungsweise vermischt”, sagt Wieder. Daher spricht man in der Wissenschaft nicht von “extremen” Handlungen, sondern lediglich von “irregulären” politischen Aktionen - im Unterschied zu “regulären” Aktionen wie etwa Versammlungen.

Das Ziel ist aber klar: Die Aktivist*innen wollen mit ihren Aktionen eine breite Öffentlichkeit erreichen. “Was Gruppen wie Extinction Rebellion oder Letzte Generation auszeichnet, ist ein professioneller Umgang mit der Presse”, weiß Wieder. Das bestätigt auch Schaupp. “Radikale Aktionen sind medial stark präsent. Es ist aber nicht klar, ob es an der Aktionsform liegt oder am Neuigkeitswert”, meint er. So könnte es sein, dass sich das Interesse der Medien mit der Zeit abflacht, wie es auch bei den Klimademonstrationen der Fall war. Klassische Medien sollten laut Wieder für die Rolle der Bewegung nicht überschätzt werden. “Die meiste Kommunikation passiert heute mit Sicherheit über soziale Kanäle”, sagt die politische Philosophin.

Verschiebung des Diskurses

Wer sich mit den Aktionen der Klimaaktivist*innen auseinandersetzt, stolpert bald auch über das sogenannte Overton-Fenster. Benannt nach dem US-Wissenschafter Joseph Overton gibt das Fenster an, welche politischen Handlungsrahmen bestimmte Themen zulassen. Setze man extreme Aktionen, könne man das Fenster zugunsten der eigenen Ansichten verschieben.

In einem Land, in dem homosexuelle Paare benachteiligt sind, sollte man daher einen möglichst "extremen" Standpunkt vertreten, wie etwa die gleichgeschlechtliche Ehe. So war Homosexualität in Österreich bis 1971 strafbar, eine gleichgeschlechtliche Ehe unvorstellbar. Wenige Jahre zuvor kam es 1969 zu den sogenannten Stonewall-Unruhen, einer Serie gewalttätiger Konflikte zwischen LGBT-Personen und Polizeibeamten in New York. 

In Anlehnung daran fand in Österreich am 29. Juni 1996 die erste Regenbogenparade statt, in der man die Gleichstellung von LGBT-Personen forderte. 2009 einigte man sich im Nationalrat darauf, eingetragene Partnerschaften zu erlauben und seit 2019 ist die gleichgeschlechtliche Ehe möglich. Das Overton-Fenster hat sich also deutlich in Richtung der Gleichstellung homosexueller Paare verschoben.

Allerdings ist Vorsicht beim Overton-Fenster angebracht. In den USA wird das Modell hauptsächlich von der konservativen und “Far-right”-Szene verwendet. Im deutschsprachigen Raum ist die Theorie kaum bekannt. Dennoch ist es vorstellbar, dass immer wiederkehrende Extremnachrichten die Gesellschaft abstumpfen lassen und moderate Änderungen dadurch eher angenommen werden.

Auf die Klimakrise aufmerksam machen

Die Gruppe “Just Stop Oil”, die zuletzt mit ihrem Suppenangriff auf ein Sonnenblumengemälde von Vincent Van Gogh auf sich aufmerksam gemacht hat, will die Strategie des zivilen Ungehorsams allerdings beibehalten. Am 1. November gab die Gruppe Politiker*innen ein viertägiges Ultimatum, um auf ihre Forderungen zu reagieren, aus neuen Öl- und Gasprojekten auszusteigen. Sollte man keine Reaktion erhalten, drohe man, die Aktionen weiter eskalieren zu lassen - und zwar “dem Ausmaß der Krise angemessen”. Die Reaktionen blieben aus.

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Marcel Strobl

marcel_stro

Ich interessiere mich vor allem für Klima- und Wissenschaftsthemen. Aber auch das ein oder andere Gadget kann mich entzücken.

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