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Zoom-Fatigue: Warum uns Videokonferenzen so müde machen

Wir schreiben das Jahr 2020. Das Coronavirus grassiert. Schulen und Unis schließen. Kinder und Studierende werden online zu Hause unterrichtet. Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter ins Homeoffice. Besprechungen finden online statt. Unter Freunden trifft man sich abends im Videochat. Onlinemeetings sind plötzlich Dreh- und Angelpunkt zwischenmenschlicher Kommunikation.

Die Pandemie ist inzwischen abgeflaut. Videokonferenzen sind – vor allem im beruflichen Kontext – geblieben. Was auch geblieben ist: Das Gefühl, dass Onlinemeetings anstrengender sind als das persönliche Gespräch. Zoom-Fatigue wird dieses Phänomen in Anlehnung an den Marktführer im Geschäftsbereich oft genannt. International wird seit Pandemie-Beginn intensiv dazu geforscht. Auch in Österreich.

Anstrengung zeigt sich in Gehirn- und Herzmessungen

"Die bisherigen Studien zum Thema basieren fast ausschließlich auf Befragungen – etwa von Studierenden oder Arbeitnehmern", sagt René Riedl von der FH OÖ, der zusammen mit Gernot Müller-Putz von der TU Graz eine neue Studie dazu vorgestellt hat. Das Besondere: "Wir konnten die Ermattung erstmals auch durch neurophysiologische, also objektive, Messungen nachweisen", erzählt Riedl, der die Wirkungen digitaler Technologien auf Menschen erforscht. Er erklärt, wie sein Team die Anstrengungen während Onlinekonferenzen gemessen hat.

Man warf einen Blick ins Hirn – und aufs Herz: Für Ersteres wurde die Elektroenzephalografie genutzt, um Hirnströme aufzuzeichnen. "An den Mustern, die sich dabei zeigen, lassen sich Erschöpfungszustände ablesen." Daten zur Herztätigkeit lieferte die Elektrokardiografie. "Wenn wir uns durch den Tag bewegen, verändern sich bei gesunden Menschen die zeitlichen Abstände zwischen den Herzschlägen, um die unterschiedlichen Versorgungsanforderungen des Körpers abzudecken – die Herzratenvariabilität steigt an." Ermüden Gehirn und Körper, verändert sich die Herzratenvariabilität.

Zur Datengewinnung stattete man Studierende mit Sensoren an Kopf und Brustkorb aus – und ließ sie einer 50-minütigen Vorlesung lauschen. Einerseits via Videocall, andererseits im Präsenz-Unterricht. "Wir haben eindeutig gesehen, dass die Menschen in der Videovorlesung schneller ermüdeten." Diese Daten deckten sich mit den Selbstauskünften der Probanden zu ihrem Energielevel. "In Summe ist das ein starker Beleg für die Videokonferenz-Fatigue – schon nach 50 Minuten."

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Fakten zu Anbietern

Zoom
Das Unternehmen Zoom Communications sieht sich als globaler Marktführer für Videokonferenzen. Alleine von Dezember 2019 bis März 2020 stiegen die Nutzerzahlen von 10 Millionen auf 200 Millionen monatliche Nutzer. Seither hat der Run wieder etwas abgenommen.

Microsoft Teams
Auch Microsoft Teams ist einer der Gewinner der Pandemie: So hat sich die Zahl der täglich aktiven Nutzer im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr fast vervierfacht. Auch in den Folgejahren setzte sich der Anstieg der täglich aktiven Nutzer fort. Im Jahr 2022 belief sich die Zahl der täglich weltweit aktiven Nutzer von Microsoft Teams auf etwa 270 Millionen.

Trend zu Videokonferenzen hält an

Die Befunde haben angesichts der weltweit explodierenden Nutzerzahlen von Zoom, Microsoft Teams, Skype und Co. enorme Relevanz, betont Riedl. "Global gesehen nutzen Milliarden Menschen Videokonferenzen zur Kommunikation, da ist es wichtig, die Folgen zu kennen." Doch was genau zehrt derart an den Kräften, wenn man sich via Video austauscht? Auch das hat Riedl ergründet. Zum einen würden Videocalls immer eine gewisse Verzögerung in der Kommunikation mit sich bringen. Auch wenn die technische Übertragung des Gesagten nur den Bruchteil einer Sekunde ausmacht, reicht das aus, um automatisierte Hirnprozesse zu stören.

"Wir denken mehr darüber nach, was gerade passiert, betreiben einen höheren kognitiven Aufwand." Nonverbale Signale – Gestik und Mimik – werden über Bildschirme nicht vollumfänglich übertragen. Auch hier muss sich das Hirn bemühen, um fehlende Informationen aus anderen Signalen zu destillieren. "Wir sind einfach nicht für Videocalls gemacht“, bringt es Riedl auf den Punkt. Dass meist auch permanent das eigene Gesicht am Bildschirm prangt, strengt ebenso an. „Es ist unmöglich, nicht über sich nachzudenken, wenn man sich selbst gerade sieht."

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Videocalls – mehr Fluch als Segen? "Wir sagen nicht, dass man darauf verzichten sollte", stellt Riedl klar. Er plädiert für eine achtsame Nutzung: "Das Wichtigste ist, dass man die Sitzungen so kurz wie möglich hält." Auch regelmäßige Pausen – nach 30 Minuten – sind ratsam. Um die Ablenkung durchs eigene Gesicht einzudämmen, empfiehlt Riedl "die Videofunktion zu Beginn einzuschalten, keinesfalls die ganze Zeit".

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Marlene Patsalidis

Gebürtige Linzerin, 2007 fürs Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft nach Wien gekommen – und geblieben. Nach Stationen bei der Tageszeitung Heute und dem Frauenmagazin miss seit 2016 beim KURIER tätig. Schwerpunktmäßig mit Gesundheits- und Wissenschaftsthemen befasst. Ausgeprägtes Interesse für den Menschen und was die Wissenschaft über ihn zutage fördert.

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