Unbemannter Stealth-Fighter Vectis bricht mit der US-Strategie
Lockheed Martin hat Vectis vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein Collaborative Combat Aircraft (CCA).
Im Gegensatz zum CCA-Programm der US Air Force wird damit aber eine andere Strategie verfolgt. Statt „optional verzichtbar“ zu sein, soll Vectis für eine möglichst hohe Überlebensfähigkeit optimiert werden.
CCA-Programm der US Air Force
Streng genommen handelt es sich bei CCAs um Drohnen. Im Gegensatz zu bisherigen Drohnen in Flugzeuggröße der US-Streitkräfte, wie etwa die MQ-9 Reaper, sollen CCAs aber nicht vorrangig ferngesteuert, sondern großteils autonom fliegen.
Die ursprüngliche Idee von CCA war, „Loyal Wingmen“ für die kommenden Kampfjets der 6. Generation zu schaffen. Sie begleiten also die bemannten Kampfjets und bekommen von deren Piloten die Angriffsbefehle auf Luft- oder Bodenziele.
➤ Mehr lesen: US Navy setzt plötzlich auf unbemannte Kampfflugzeuge für Flugzeugträger
Die US Air Force hat bereits 2 CCAs in Auftrag gegeben, die zusammen mit der F-22, F-35 und später der neuen F-47 fliegen sollen. Dabei handelt es sich um die Anduril YFQ-44A und die General Atomics YFQ-42A.
Beide sollen gegen Luft- und Bodenziele eingesetzt werden können. Sie werden als „optional verzichtbar“ eingestuft – das heißt, man rechnet nicht damit, dass sie nach einem Einsatz wieder zurückkehren. Daher sind sie günstiger gebaut und verzichten etwa auf umfangreiche Stealth-Eigenschaften. Wobei günstig relativ ist: Die Air Force rechnet damit, dass die Serienversion von YFQ-44A oder YFQ-42A etwa 20 Millionen US-Dollar pro Stück kosten werden.
YFQ-44A
© US Air Force
„Ich denke, bei der Air Force kommt irgendwann die Erkenntnis, dass es ein Problem ist, 20 Millionen US-Dollar für ein Flugzeug auszugeben, das laut der Einsatzanalyse mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent bei der Mission abgeschossen wird“, sagte John Clark schon im Vorjahr, als er zum CCA-Programm der Air Force gefragt wurde. Clark war der damalige Chef von Skunk Works, der Forschungs- und Entwicklungsabteilung für spezielle Projekte von Lockheed. „Man muss sich dann überlegen, wie viel Flugzeuge ich um diesen Preis opfern möchte, bevor es ein Verlustgeschäft für die Nation wird“, so Clark.
➤ Mehr lesen: Warum der neue US-Superflieger F-47 europäische Kampfjets kopiert
Tarnkappen-CCA Vectis
Vectis ist jetzt die Tat, die Skunk Works den Worten von Clark folgen lässt. Statt nur zu stänkern, wird damit ein unbemanntes Kampfflugzeug präsentiert, dass Lockheeds Vorstellung eines CCAs entspricht.
Vectis ist ein Lambda-Flügler. Es gibt kein hervorstehendes Seitenruder am Heck. Das, zusätzlich zu der speziellen Bauform, reduziert den Radarquerschnitt und erhöht damit die Tarnkappenfähigkeiten der Stealth-Drohne. Ebenso dazu beitragen soll die Schaufel-förmige Nase und die Kante, die mittig am Rumpf von den Flügeln bis zur Nase verläuft.
Der Lufteinlass für das Triebwerk ist an der Oberseite. Dies soll zusätzlich die Radarsignatur gegenüber Radaranlagen am Boden reduzieren. Der S-geformte Luftkanal des Luftschachts zum Triebwerk, der kurz im Video angedeutet ist, und die im Rumpf nach innen versetzte Düse, sollen die Infrarot-Signatur reduzieren.
Der S-förmige Luftkanal der Vectis
© Lockheed Martin
Moderne Kampfjets setzen auf Infrarot-Sensoren, die Flugzeuge und Drohnen anhand ihrer Wärmeabstrahlung erkennen. Auch einige Raketen, die zur Bekämpfung von Luftzielen gedacht sind, setzen auf einen Infrarotkopf. Dazu gehört die AIM-9 Sidewinder.
Kleiner als eine F-16, Reichweite einer F/A-18
Zu den technischen Angaben von Vectis wollte sich Lockheed noch nicht äußern. Sie sei kleiner als eine F-16, aber größer als CMMT (eine Mischung aus Drohne und Marschflugkörper) – beide werden von Lockheed gebaut. Das ist eine sehr vage Angabe, weil die F-16 14,5 Meter lang ist und CMMT, je nach Ausführung, etwa 2,4 Meter.
Die Reichweite von Vectis sei geeignet für Einsätze in Indopazifik, Europa und den USA. Die Kampfreichweite einer F/A-18 E/F, die im Pazifik von Flugzeugträgern aus startet, liegt je nach Bewaffnung bei 550 bis etwa 1.000 km. Also wird vermutlich eine ähnliche Reichweite für Vectis angestrebt.
Laut Skunk Works sieht man derzeit keine strategische Notwendigkeit, dass die Reisegeschwindigkeit von Vectis im Überschallbereich liegt. Daher sei dies keine Anforderung an die Stealth-Drohne bei deren Entwicklung. Sollten sich die Anforderungen aber auf Kundenwunsch ändern, sei man bereit sich daran anzupassen und Vectis weiterzuentwickeln.
Lockheed Martin Vectis
© Lockheed Martin
Für Luftkämpfe und Bodenangriffe geeignet
Mit Angaben zu Traglast und Bewaffnung ist Lockheed ebenfalls vage. „Flexibel und wiederverwendbar“, wird zur Nutzlast gesagt. Immerhin wurde das Missionsprofil von Vectis genannt: Die Drohne soll für Luftkämpfe, Bodenangriffe und Aufklärung genutzt werden können.
Dementsprechend wird die Nutzlast also, je nach Bedarf, aus Luft-Luft-Raketen, Luft-Boden-Raketen, Gleitbomben, zusätzlichen Sensoren oder kleineren Drohnen bestehen. In folgendem Konzeptvideo ist bei 2:27 zu sehen, wie Vectis eine Luftabwehrstellung mit einer Luft-Boden-Rakete ausschaltet.
Die Nutzlast wird vermutlich in einem internen Waffenschacht untergebracht, wie es für Stealth-Fighter üblich ist, um die Radarsignatur zu reduzieren. Da Lockheed beim Missionsprofil ebenfalls elektronische Kriegsführung nennt, sind als Nutzlast vermutlich auch Kommunikationsabhörgeräte, Jammer oder andere Störeinrichtungen vorgesehen.
Start vom Anhänger aus denkbar
In der aktuellen Form benötigt Vectis eine Landebahn zum Starten, soll aber auch von weniger gut ausgebauten Pisten abheben können. Ob Katapultstarts von Flugzeugträgern möglich sind, wurde nicht genannt.
➤ Mehr lesen: MUGEM: Neue Details zum 60.000 Tonnen Flugzeugträger der Türkei
Da aber der Indopazifik genannt wurde, kann man davon ausgehen, dass Lockheed eine Flugzeugträger-geeignete Variante von Vectis anstrebt. Auch über die Möglichkeit ohne Piste zu starten, etwa mittels Vorrichtungen an Land und mit einem Booster, der nach dem Start abgeworfen wird, wird nachgedacht.
An dieser Möglichkeit, unbemannte Kampfflugzeuge ohne Piste starten zu können, sind mehrere Streitkräfte interessiert. Wenn Vectis das künftig auch könnte, wäre das ein zusätzliches Verkaufsargument. Das experimentelle unbemannte Fluggerät Kratos XQ-58 Valkyrie wurde etwa von Beginn an dafür ausgelegt, von einem Anhänger aus mittels Booster starten zu können.
Selber Preis wie stealth-lose Drohne
Das größte Verkaufsargument von Vectis soll aber ein anderes sein: der Preis. Lockheed verspricht, dass die Kosten auf CCA-Niveau sein werden. Wenn Vectis also mit einer hohen Überlebenschance genauso viel kostet wie ein stealth-loses CCA mit geringerer Überlebenschance, wäre Vectis aus finanzieller Sicht die bessere Wahl.
Lockheed betont, dass Vectis nicht nur als Loyal Wingman für Kampfjets der 5. und 6. Generation eingesetzt werden kann, sondern auch allein oder im Schwarm fliegen kann. Man könne zudem Vectis mit jeder anderen Plattform, jeder Person oder jedem Gerät auf dem Schlachtfeld verbinden, wenn nötig. In der klassischen Rolle als Loyal Wingman würde der Pilot des bemannten Kampfjets der Drohne über einen Touchscreen die Befehle übermitteln.
Internationale F-35-Besitzer als potenzielle Vectis-Käufer
Laut Lockheed wird Vectis derzeit ohne den Auftrag eines Landes entwickelt. Das heißt, es sind auch ausländische Kunden willkommen. Vectis könnte etwa für Länder interessant sein, die die Lockheed F-35 nutzen – für diese wird nämlich eine nahtlose Vectis-Integration versprochen. Die F-35 wird von mehreren europäischen Ländern genutzt, wie etwa Italien, die Niederlande, Großbritannien und Norwegen.
Natürlich ist man auch an einen Auftrag aus den USA interessiert. Laut Lockheed würde sich Vectis gut für die zweite Stufe des CCA-Programms der Air Force eignen. Die erste Stufe sind die YFQ-44A und YFQ-42A. Lockheed geht davon aus, dass der Erstflug von Vectis bereits innerhalb der nächsten 2 Jahre stattfinden wird.