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5 Gründe, warum The Line gescheitert ist

Mitten in der Wüste Saudi-Arabiens, zwischen dem Golf von Akaba und den Bergen des Hedschas, sollte eine 170 Kilometer lange Stadt namens “The Line” entstehen. Sie ist das Herzstück des Projekts “Neom”, das den Wüstenstaat von seiner Abhängigkeit von Öl befreien soll. Das Projekt wurde von Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman 2017 höchstpersönlich ins Leben gerufen.

Bisher wurden für die Umsetzung von “The Line” Menschen aus Dörfern vertrieben und Bauarbeiten gestartet, die bereits aus dem Weltraum sichtbar sind.  Doch nun steht die futuristische Megastadt vor dem Aus, wie die Financial Times (FT) auf Basis von 20 Interviews mit Insidern berichtet. Hier sind 5 Gründe, die für das Scheitern des Projekts sorgten.

1 - Ambitionierte Pläne und ihre Änderungen 

The Line sollte eine linienartige, konstant 500 Meter hohe und 200 Meter breite Stadt aus Stahl und Glas sein, die in Saudi-Arabien entstehen hätte sollen. 9 Millionen Menschen hätten hier eines Tages einziehen sollen. Die Stadt soll nicht nur hochtechnologisiert, sondern auch komplett klimaneutral sein. Autos sind nicht vorgesehen, alles Lebensnotwendige soll in nur 5 Minuten erreichbar sein. 

Im ursprünglichen Entwurf von The Line, der vom US-amerikanischen Architekturbüro “Morphosis” stammt, war die Stadt 2 Kilometer lang und durch eine Zugverbindung verbunden - und damit umsetzbar. Der Prinz wollte aber größer denken und alleine in der ersten Phase von The Line 20 800 Meter lange "Module" aufstellen lassen. Stress schien schon damals vorprogrammiert, denn die ersten Bewohner wurden für 2025 erwartet. 

Nicht nur der ursprüngliche Plan sollte geändert werden. Auch die Änderungen wurden verändert. Beispielsweise die Abwasserentsorgung, die Müllabfuhr oder die Postzustellung mussten in der vertikalen Stadt neu gedacht werden. Genauso wie der Brandschutz: Statt nach draußen müsste man in The Line bei einem Feuer seitwärts in andere Gebäude flüchten. Schon zu Beginn des Projekts hegten Beteiligte Zweifel. Als eine der Fantasien, über die man nicht sprechen durfte, bezeichnete ein Insider gegenüber der FT den geplanten Hochgeschwindigkeitszug. 

20 Minuten sollte eine Fahrt vom Flughafen bis zur Küste dauern, versprach man dem Prinzen. Was nicht erwähnt wurde, ist, dass diese Zeit nur einzuhalten ist, wenn der Zug nicht anhält. Dann sei ein Hochgeschwindigkeitszug aber wenig brauchbar, da er nur funktioniert, wenn er eine lange zusammenhängende Strecke zurücklegt. Darüber hinaus war kein Platz für Gepäck - dieses hätte man 8 Stunden vor einem Flug separat losschicken müssen.

2 - Finanzielle Hürden 

Ein “Modul”  soll laut den Verantwortlichen des Projekts das “größte bewohnte Bauwerk” der Welt sein. 2021 war ein Budget von 1,6 Billionen Dollar für The Line vorgesehen. Später musste man allerdings anerkennen, dass das Projekt wohl teurer kommen würde als geplant. Insgesamt 4,5 Billionen Dollar sollte The Line laut einer aktuelleren Schätzung kosten. 

Berater des Prinzen haben schon zuvor Möglichkeiten vorgeschlagen, um die Kosten zu senken. Beispielsweise hätte man die Stadt nur 100 Meter hoch bauen können. Der Vorschlag wurde jedoch ignoriert. So gab der Public Investment Fonds als Eigentümer von Neom im Laufe der Zeit viel zu viel Geld aus. Die ausufernden Kosten waren aber nicht das einzige Problem. 

Denn auch die Einnahmen fehlten, um das Projekt zu realisieren. Deshalb wurden schon während des bisherigen Baus die Pläne für The Line geändert. Statt 20 Module sollte The Line zuerst nur mehr 12 und schlussendlich 3 umfassen. Für externe Investoren verlor das Projekt so an Attraktivität. „Als die Zahl unter 7 sank, wurde es immer schwieriger, das Projekt als Investition zu verkaufen“, sagte ein leitender Bauleiter gegenüber der FT. Laut ihm sei das der Grund, warum das Projekt gescheitert ist. 

➤ Mehr lesen: So realistisch ist das Mega-Projekt "The Line"

3 - Physikalische Grenzen als Problem

Eine Besonderheit der Wüstenstadt war der Hafen. Riesige Kreuzfahrtschiffe sollten dort Platz haben. Schon zu Beginn des Projekts warnten die Designer, dass die Physik bei diesem Projekt einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Damit riesige Kreuzfahrtschiffe die Wüstenstadt erreichen konnten, musste ein sehr tiefer Graben gegraben werden. In der Praxis fiel dann aber auf, dass eine natürliche Strömung fehlte. So hätte der Graben zu einem Gesundheitsrisiko werden können.

Der Kronleuchter von The Line 

Auf dem Weg in den Hafen sollten die Schiffe ein rund 310 Meter hohes Tor passieren, an dem ein kronleuchterartiges Bürogebäude platziert werden sollte. Diese Idee hatte man ebenfalls nicht ganz zu Ende gedacht. Eine an der Planung beteiligte Person wies darauf hin, dass durch Wind verursachte Schwankungen das kronleuchterartige Gebäude irgendwann abbrechen lassen könnten. Außerdem hätte es ein Problem mit der Klospülung gegeben. Die Exkremente hätten bei dem hängenden Gebilde nicht einfach nach unten durch die Schwerkraft abtransportiert werden können. Abhilfe hätten Hunderte Shuttle-Wagen bringen sollen, die die Exkremente abtransportieren hätten sollen. 

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4 - Knappe Ressourcen 

Je weiter das Projekt voranschritt, desto mehr begannen die Architekten des Projekts zu zweifeln. Für eine Stadt innerhalb einer 500 Meter hohen 170 Kilometer langen Mauer braucht es verständlicherweise einiges an Ressourcen. Stahl und Zement mussten in gewaltigen Mengen beschafft werden. 

Beispielsweise gab eine beteiligte Person an, dass man für die Herstellung der 20 Module eine Betonmenge benötigen würde, die die Jahresproduktion Frankreichs überstieg. Darüber hinaus hätte man 60 Prozent der jährlichen weltweiten Produktion von grünem Stahl benötigt oder die Jahresproduktion des größten Herstellers für Gebäudeverkleidungen. Diese Mengen an Material hätten zu einem massiven Preisanstieg geführt, da man wie weltweiten Kapazitäten massiv ausschöpfen würde. 

Zeit ist bei diesem ambitionierten Projekt ebenfalls eine knappe Ressource, denn bis 2030 wollte man ja Ergebnisse liefern. Damit man den Zeitplan einhalten konnte, hat man auf ein Just-in-time-Liefersystem gesetzt und die Bestandteile von The Line mussten in Schiffscontainer passen. Wenn man bis 2030 12 Module hätte bauen wollen, hätte laut einem Bauleiter alle 8 Sekunden ein Schiffscontainer Material liefern müssen. 

5 - Zu wenig Sonnenlicht

Bisher wurden laut FT für The Line mindestens 50 Milliarden Dollar ausgegeben. Woran man in einer Wüstenstadt nicht gedacht hatte, war, dass es in dem Gebäude zu wenig Sonnenlicht gab. Denn die meisten öffentlichen Räume befinden sich bei The Line in der Mitte des Gebildes.

The Line 

Für viel Aufmerksamkeit sorgte auch das Fußballstadion, das 45.000 Menschen aufnehmen und in einer Höhe von 350 Metern platziert hätte werden sollen. Dieses hätte aber ebenfalls einen riesigen Schatten geworfen, wie ein Beteiligter betonte. 

➤ Mehr lesen: Saudi-Arabien plant irrwitziges Fußballstadion für “The Line”

Das Stadium in The Line 

Damit The Line finanziert werden kann, müssen genug Menschen dort leben. Damit genug Menschen dort leben wollen, braucht es Licht und Sauerstoff. Pflanzen hätten zu einer besseren Atmosphäre beitragen sollen. Diese brauchen aber ebenfalls Sonnenlicht und hätten deshalb nur an einem bestimmten Flügel platziert werden können. Die grüne Wüstenstadt wäre also gar nicht so grün. 

Das Ende? 

Gegenüber der FT haben die Vorsitzenden von Neom erklärt, dass The Line weiterhin strategische Priorität habe - es handle sich aber eher um ein generationenübergreifendes Projekt. Auch der Prinz hat seine Erwartungen in Bezug auf The Line gesenkt. Mit nur 3 Modulen ist The Line nicht mehr das, was einst versprochen wurde

Manche Mitarbeiter von Neom sagen zwar, dass ein Großteil von The Line technisch noch realisierbar sei. Viele Arbeiten seien laut Insidern aber eingestellt worden. Jetzt wolle man sich bei The Line nur mehr auf ein paar Gebäude rund um den Yachthafen konzentrieren. 

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Sandra Czadul

Begeistert von Wissenschaft und stets auf der Suche nach Ideen, die uns voranbringen.

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