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Titan und 2 Reaktoren: K-222 ist seit 55 Jahren das schnellste U-Boot aller Zeiten

Railguns, Laserwaffen, Jagd-Satelliten: Was sich aktuell in der Rüstungsindustrie tut, hätte vor 20 Jahren noch nach Science-Fiction geklungen.

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Umso beachtlicher ist, dass ein Rekord mit Kriegsgerät seit 55 Jahren steht. K-222 war das schnellste bemannte U-Boot der Welt. Der Rekord konnte bis heute nicht offiziell geschlagen werden.

K-222

Ein Flugzeugträger-Jäger mit vielen Namen

Das U-Boot ist unter etlichen Namen bekannt. Zuletzt war sie die K-222, davor die K-162. Ursprünglich wurde sie K-18 genannt. Die NATO hat ihr den Namen Papa Class gegeben.

In der Sowjetunion hieß die Klasse Projekt 661 Anchar. Anchar bedeutet Antiaris, hierzulande besser bekannt als Upasbaum. Der giftige Milchsaft der Rinde wurde vor allem in Südostasien als Pfeilgift verwendet. Diese Anspielung war natürlich gewollt: Denn 661 sollte ein Giftpfeil werden: Schnell und tödlich unbemerkt zuschlagen.

Die Dayak nutzten für ihre Blasrohre Pfeile, die vor dem Verschießen in Gift des Upasbaums getaucht wurden. Links der Köcher, rechts der Becher für das Gift

Die Sowjetunion erkannte schon früh, dass ihre Antischiffsrakete P-5 Pityorka suboptimal war. Zwar hatte sie mit bis zu 300 km eine gute Reichweite, allerdings mussten U-Boote zum Abfeuern auftauchen. Weil das Zielerfassungssystem kompliziert war, mussten die U-Boote danach bis zu 25 Minuten an der Oberfläche bleiben, um Kurskorrekturen zur Rakete zu senden. Dabei wären die U-Boote leichte Beute für die US-Flugzeugträger (bzw. deren patrouillierenden Hubschrauber und Kampfflugzeuge) gewesen, die mit der Shaddock bekämpft werden sollten.

Ein U-Boot der Klasse Projekt 675 startet eine P-5-Rakete

Also wurde 1958 eine ambitionierte Anforderung für ein neues U-Boot erstellt. Um die amerikanischen Flugzeugträger zu jagen, sollte es doppelt so schnell wie bisherige U-Boote sein, 50 Prozent tiefer tauchen können und Antischiffsraketen getaucht abfeuern können.

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Erstes großes U-Boot mit Titanhülle

Beim Designprozess wurde klar, dass man nicht Aluminium für die Hülle nutzen konnte. Es ist nicht stabil genug für die gewünschte Geschwindigkeit und Tauchtiefe. Stahl war wiederum zu schwer. Also fiel die Wahl auf Titan. Damit wurde K-222 das erste große U-Boot mit einer Titanhülle.

Das war wegweisend für spätere sowjetische Atom-U-Boote, wie etwa die Alfa-Klasse und Projekt 945 Barrakuda. Gerade die Alfa-Klasse prägte weitere U-Boot-Designs im Kalten Krieg, da sie weit schneller als die amerikanischen U-Boote war und tiefer tauchen konnte.

2 Atomreaktoren

Die K-222 hatte eine getauchte Verdrängung von 7.000 Tonnen. Sie war 107 Meter lang und 11,5 Meter breit. Die Crew bestand auf 82 Männern. Sie hatte genug Vorräte an Bord, um 70 Tage im Einsatz bleiben zu können.

Um die gewünschte Geschwindigkeit zu erreichen, hatte die K-222 2 Atomreaktoren und dementsprechend 2 Schiffsschrauben. Jeder Reaktor hatte eine Leistung von 177,4 Megawatt. Zusammen ergab das eine Wellenleistung von 80.000 PS.

K-222

Das schnellste U-Boot aller Zeiten

Damit sollte die K-222 eine Höchstgeschwindigkeit von 25 Knoten an der Wasseroberfläche (46 km/h) und 38 Knoten (70 km/h) getaucht erreichen. So war es aber nicht.

Bei den Probefahrten 1969 erreichte sie 42 Knoten (78 km/h) mit 90 Prozent der Reaktorleistung. K-222 war damit also deutlich schneller als angenommen. 1970 erfolgte ein Test mit 100 Prozent Reaktorleistung. Der dabei erreichte Rekord von 44,7 Knoten (82,8 km/h) steht bis heute und macht K-222 zum schnellsten bemannten U-Boot der Welt.

Zum Vergleich: Die meisten amerikanischen U-Boote mit Raketenstartern dieser Zeit waren etwa 22 Knoten (40,7 km/h) schnell. Die ab 1977 mit Vertikalstartern ausgerüstete Los-Angeles-Klasse kommt immerhin auf 33 Knoten (61,1 km/h).

Selbstzerstörerische Geschwindigkeit

Es geht aber noch schneller. Bei einem dritten Versuch der K-222 im Jahr 1971 wurden 44,85 Knoten (83,06 km/h) erreicht. Das ist zwar dokumentiert und bestätigt, wurde aber von der sowjetischen Marine nicht als Rekord für die Höchstgeschwindigkeit anerkannt, weil die Reaktoren nicht mit 100 Prozent Leistung liefen.

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Dass kein erneuter Rekordversuch mit voller Reaktorleistung unternommen wurde, hat einen triftigen Grund. Die hohe Geschwindigkeit war zerstörerisch für K-222. Bei der Testfahrt verbogen sich die Funkantennen und das Periskop am Turm und konnten danach nicht mehr vollständig eingezogen werden. Bei früheren Tests wurden Elemente der Außenhülle abgerissen. Teile der Schutzgitter für die Wassereinlässe brachen und wurden von den Wasserkreislaufpumpen eingesaugt.

Turm der K-222

Außerdem war die K-222 laut. Nicht nur außen, wodurch sie für das Sonar des Gegners leicht aufzuspüren war: auch innen. Die Besatzung verglich den Lärm mit dem eines Düsenfliegers. Im Kontrollraum soll das Donnern so laut gewesen sein, als würde man neben dem Motor eines Diesellokomotive stehen. Es gibt keine dokumentierten Schallmessungen während den Hochgeschwindigkeitsfahrten. Anhand der Beschreibungen der Crew geht man aber davon aus, dass 100 Dezibel weit überschritten wurden.

Das einzige Schiff seiner Klasse

Den ersten Einsatz hatte K-222 im Nordatlantik von September bis Dezember 1971. Während der Patrouille wurde eine Gruppe amerikanischer Schiffe, rund um den Flugzeugträger USS Saratoga, mit hoher Geschwindigkeit verfolgt, die vom Mittelmeer aus zurück Richtung USA unterwegs war.

Die Kampfgruppe der USS Saratoga (1985)

Dabei machte sich ein Problem bemerkbar. Der Lärm war so laut, dass das Sonar der K-222 nicht richtig funktionierte. Also hieß es im Oktober 1972 ab in die Werft zum Umbau. Dabei wurde auch eine große Anzahl von Rissen entdeckt, die wegen der Titanhülle aufwändig repariert werden mussten. Als die Arbeiten im Jänner 1975 abgeschlossen waren, bekam das U-Boot seine finale Bezeichnung K-222. Davor war es noch als K-162 unterwegs.

In dieser Wartungs- und Umbauphase wurde beschlossen, dass K-222 das einzige U-Boot von Projekt 661 bleiben wird. Die Kosten waren zu hoch, die Bauzeit zu lange. Zudem müsste das Design geändert werden, um die Lautstärke zu reduzieren, was noch zusätzlich Zeit und Geld für die Entwicklung kosten würde.

Außerdem wurde die Kampfkraft als zu niedrig eingestuft. Weitere Umbauten bzw. neue Entwürfe für moderne Raketen und mehr Torpedos an Bord, hat es zwar gegeben, wurden aber ebenfalls gestrichen. Dazu gehörte Projekt 661A mit der Antischiffsrakete P-120 Malakhit und 661B mit ballistischen Atomraketen des Typs R-29 Vysota.

Bewaffnung

Also blieb es bei der Bewaffnung, die die K-222 von Anfang an hatte. Zum Selbstschutz hatte sie 4 Torpedorohre im Kaliber 533 mm. Die Torpedos konnten in einer Tiefe bis zu 200 Meter abgefeuert werden.

Zur Bekämpfung von Flugzeugträgern und anderen Schiffen, wofür die K-222 gebaut wurde, gab es 10 Startrohre für die Antischiffsrakete P-70 Ametist. Die Rohre sind vor dem Turm positioniert und nach oben ausgerichtet, in einem Winkel von 32,5 Grad.

Schematische Darstellung der K-222

Die P-70 hat einen Gefechtskopf mit 1.000 kg Gewicht. Sie kann alternativ mit einem nuklearen Gefechtskopf mit 200 kT Zerstörungskraft ausgestattet werden. Zum Vergleich: die Hiroshima-Bombe hatte 13 Kilotonnen.

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Die P-70 hat zwar nur eine Reichweite von 65 km, dafür konnte sie getaucht, aus einer Tiefe von bis zu 30 Metern, abgefeuert werden. Aufgrund der Bauweise konnte die K-222 aber nicht alle Raketen gleichzeitig starten. Nach den ersten 5 Schuss musste sie 3 Minuten Pause einlegen, bevor die nächsten 5 gestartet werden konnten.

P-70 Ametist im Museum von Vladivostok

Reaktorunglück in der Mittagspause

Im November 1980 war die K-222 in der Werft von Sewerodwinsk, um die Reaktoren mit neuen Brennstäben zu bestücken. Weil die Besatzung vorher das spezielle Werkzeug verloren hatte, das nur bei den Reaktoren der K-222 genutzt wird, mit dem diese Arbeit eigentlich verrichtet wird, mussten die Werftarbeiter die Brennstäbe per Hand austauschen.

Entgegen der Protokolle, entschied sich die gesamte Crew während dieser Arbeit gemeinsam an Land Mittagessen zu gehen. Weil das automatische Sicherheitssystem ausgeschaltet war und sich die Brennstäbe eines Reaktors anhoben, produzierte dieser Hitze, ohne die nötige Wasserkühlung des Reaktorkerns. Das hätte man im Kontrollraum bemerkt und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten können – nur dort war niemand, weil ja alle Essen waren.

K-222

Die Werftarbeiter bemerkten das Problem erst, als ein Alarm losging, weil ein Kondensator gerissen ist. Da breitete sich bereits radioaktives Wasser und Dampf im Reaktorbereich aus. Die Werftarbeiter konnten die Ausbreitung stoppen und die Wasserpumpen zur Kühlung des Reaktorkerns aktivieren.

Eine Untersuchungskommission empfahl später, dass die Reaktoren durch modernere Varianten ausgetauscht werden sollen. Außerdem soll ein Dieselgenerator für Notfälle installiert werden. Die Marine entschied sich dagegen. Nachdem die Schäden repariert und K-222 dekontaminiert wurde, absolvierte sie laut russischer Informationen 1981 ihre letzte Patrouille in Gefechtsbereitschaft. In den folgenden Jahren wurde sie aber mehrmals von der US Navy gesichtet und auch fotografiert.

K-222

Das Ende der K-222

1988 wurde sie in der Marinebasis Belomorsk in den Reservezustand versetzt, 1989 wurde sie außer Dienst gestellt. Weil die Werkzeuge zur Handhabung der Brennstäbe immer noch fehlten, blieb das nukleare Material an Bord. 2008 wurden Risse in der Hülle festgestellt und die Ballasttanks liefen langsam mit Wasser voll.

K-222 im Trockendock, bevor sie zerlegt wurde

Im März 2010 begann das Verschrotten von K-222, immer noch mit den Reaktoren und den Brennstäben an Bord. Dazu wurden neue Werkzeuge gebaut. Ab Mai 2013 wurde damit begonnen, die über 700 Brennstäbe auszubauen und in spezielle Transportbehälter umzuladen.

2015 wurde der Reaktorraum versiegelt. Während das restliche U-Boot zerlegt und die Materialien teilweise recycelt wurden, wurde der Reaktorraum in die Sajda-Bucht geschleppt. Dort befindet sich an Land ein Lager für ausgediente Atomreaktoren von U-Booten.

Das Lager in der Sajda-Bucht: In den roten Containern befinden sich Atomreaktoren von U-Booten

Die schnellsten aktiven U-Boote

Als derzeit schnellstes, aktives U-Boot gelten die Schiffe der Seawolf-Klasse. Die USA geben die Geschwindigkeit offiziell aus Gründen der Geheimhaltung nur mit 25+ Knoten an. Sie soll getaucht jedoch auf 35 Knoten (65 km/h) kommen.

Danach folgen die britische Astute-Klasse und Chinas Typ 093A/B. Beide sollen eine Geschwindigkeit von 30 Knoten (56 km/h) erreichen.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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