Spiele-Streaming: Die Zukunft oder der nächste Gaming-Flop?
Sony und Microsoft bringen 2020 ihre neuen Konsolen heraus. Noch mehr Leistung wird versprochen, Auflösungen bis zu 8K werden möglich sein. Die eigentliche Videospiele-Revolution kommt aber schleichend – ironischerweise aber nur, wenn man ein schnelles Internet hat.
Gemeint ist Spiele-Streaming. Wenn es so klappt, wie es sich die Anbieter vorstellen, könnten die PS5 und Xbox Series X obsolet werden, noch bevor sie überhaupt erschienen sind. Doch was bedeutet das für die Gamer und die gesamte Spielebranche?
Was ist Spiele-Streaming?
Das Spiele-Streaming funktioniert technisch ähnlich wie das Streaming von Videos bei Netflix oder Amazon Prime. Der Inhalt liegt in der Cloud und wird über das Internet bereitgestellt. Der Unterschied: Beim Spiele-Streaming werden die Eingaben am Controller des Spielers ständig in die Cloud geschickt. Dort bewegt sich etwa die Spielfigur entsprechend und das passende Video- und Audiosignal wird wieder auf den TV-Bildschirm des Spielers zurückgeschickt.
Die gesamten Berechnungen dafür passieren in der Cloud. Wenn alles rund läuft, sollte der Gamer davon nichts mitbekommen: Es ist so, als würde er ein Spiel spielen, dass auf der Konsole oder dem PC installiert ist.
Die Vorteile
Bei Spiele-Streaming passieren die Berechnungen in der Cloud. Das heißt man benötigt nicht die neueste Spielekonsole und keinen leistungsstarken Spielecomputer. Theoretisch benötigt man nicht mal eine alte Konsole oder überhaupt einen Laptop. Smart-TVs oder Streaming-Sticks, wie sie etwa von Google (Chromecast) und Amazon (Fire TV Stick) angeboten werden, reichen.
Auch das lästige Herunterladen, Installieren und Aktualisieren von Spielen entfällt, das bei der aktuellen Konsolengeneration einige Stunden in Anspruch nehmen kann. Die Games starten nahezu sofort – so wie eine TV-Serie bei Netflix. Zudem steht eine umfangreiche Spielebibliothek zur Verfügung. Anstatt jedes einzeln zu kaufen, bezahlt man, wie bei Netflix, monatlich. Wenn man bedenkt, dass neue Konsolenspiele um die 60 Euro pro Stück kosten, sind 10 Euro pro Monat für hunderte Spiele ein guter Deal.
Die Nachteile
Spiele-Streaming benötigt eine schnelle Internetverbindung. Empfohlen sind 12 Mbit/s für Streaming in HD-Ready-Qualität (720p). Einige aktuelle und Next-Gen-Games werden aber auf die deutlich höhere Auflösung 4K setzen. Wichtig ist auch, dass die Latenz (Verzögerungszeit) der Verbindung gering ist. Ansonsten könnten die Eingaben des Spielers verzögert umgesetzt werden, die Spielfigur würde also etwa langsamer auf die Controller-Eingaben reagieren. Der Vertrag sollte außerdem unlimitiertes Datenvolumen haben. Je nach Game kann eine Stunde Spiele-Streaming mit 720p-Auflösung 2 bis 5 GB Daten verursachen.
Das Angebot des Spiele-Streaming-Dienste wird keine kürzlich erschienenen Spiele enthalten – so wie es auf Netflix keine Filme gibt, die gerade erst im Kino waren (Eigenproduktionen ausgenommen).
Spiele-Streaming ist für die Anbieter technisch aufwändiger als das Streamen von Musik und Video. Entsprechend gut muss also die Infrastruktur sein, sprich vorhandene Rechenzentren. Ist das nicht der Fall, wird dem Gamer ein stark komprimiertes Signal zur Verfügung gestellt, wodurch Bild- und Tonqualität deutlich schlechter sein können, als bei einem installierten Videospiel auf Konsole oder PC.
Die Ausprägungen
Von Spiele-Streaming bzw. Cloud-Gaming gibt es mehrere Varianten. Die für den User am komfortabelste Version ist die, bei der man sich um nichts kümmern muss, solange die Mindest-Anforderungen (Streaming-Stick/Konsole/PC, Spiele-Controller, schnelle Internetverbindung) erfüllt sind. Ähnlich wie bei Netflix startet man einfach die App, wählt das gewünschte Game aus der Bibliothek und zockt los. So ist es bei Sonys PlayStation Now und Googles Stadia.
Bei einer Variante von Cloud-Gaming mietet man nur die Rechenleistung, muss aber die Games selbst besitzen. Bei Services wie Geforce Now und Vortex geht das nur für ausgewählte Games, die man über andere Spiele-Plattformen, wie Steam oder Origin, gekauft hat.
Bei einer weiteren Version von Cloud-Gaming mietet man einen virtuellen Computer. Je mehr man bezahlt, desto höher die Leistung. Hier kann der User beliebige Spiele auf dem virtuellen Computer installieren und streamen. Anbieter davon sind etwa Shadow (monatliche Abrechnung) und Parsec (stündliche Abrechnung).
Die Anbieter
Spiele-Streaming im Stil von Netflix hat das größte Potenzial, Massenpublikum anzusprechen und die Gaming-Welt nachhaltig zu verändern. Mit Stand 31.12.2019 gibt es in Österreich nur einen relevanten Anbieter im Regelbetrieb: PlayStation Now. Sonys Angebot funktioniert auf der PS4 und am PC (hier im Test). Es enthält über 700 Spiele und kostet 10 Euro im Monat oder 60 Euro im Jahr. Der Stream ist derzeit nur in 720p möglich. Dafür lassen sich PS4-Spiele aus der Bibliothek herunterladen und in der vollen Qualität auf der PS4 nutzen.
Mit Google Stadia (PC, Chromecast, ausgewählte Android-Geräte) steht ein weiterer Dienst in den Startlöchern. Google hat überall auf der Welt reichlich Rechenzentren und kann deshalb auch Spiele-Streams mit 4K und HDR anbieten. In Österreich soll er 2020 starten. In den USA sind erste Tester begeistert von der Qualität. Allerdings gibt es derzeit nur 25 Games zur Auswahl. Außerdem wird laut Google das Geschäftsmodell zukünftig eher dem von Amazon als von Netflix entsprechen. So zahlt man bei Stadia zwar 10 US-Dollar pro Monat, soll künftig aber nur wenige, ältere Games kostenlos nutzen können. Stattdessen soll man Spiele zum Vollpreis kaufen, die man dann streamt.
Project xCloud ist Microsofts Streaming-Angebot. Derzeit ist es in einigen Ländern in der Beta-Phase und nur für Android-Smartphones und -Tablets verfügbar. In der Beta-Phase stehen 50 Games zur Auswahl. Zukünftig soll man Xbox-Spiele streamen können, die man gekauft hat, bzw. die in Microsofts Game Pass (10 Euro pro Monat, kein Streaming) enthalten sind. 2020 soll xCloud regulär erscheinen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Microsoft den Dienst dann auch für seine Spielkonsolen und Windows-PCs anbieten wird.
In Deutschland läuft derzeit die kostenlose Testphase für Magenta Gaming, für Festnetz-Internetkunden der Deutschen Telekom. Angesichts der Bestrebungen anderer Big Player, wie Google, Microsoft und Sony, ist fraglich, ob die Deutsche Telekom aus diesem Beta-Test einen vollwertigen Dienst machen wird.
Zudem wird gemunkelt, dass Amazon Spiele-Streaming vorbereitet – ein weiterer großer Player, der bereits international Musik- und Videostreaming-Dienste anbietet. Amazon hat mit seinen Fire TVs bereits geeignete Hardware – inklusive einem eigenen Gaming-Controller. Auch die nötige Infrastruktur ist mit AWS (Amazon Web Services) vorhanden. In den USA nutzen einige kleinere Cloud-Gaming-Provider die AWS-Rechenzentren für ihre Services.
Apple zeigt derzeit noch kein großes Interesse an Spiele-Streaming. Mit Apple Arcade wird ein anderer Ansatz gefahren. Für 5 Euro im Monat erhält man Zugriff auf über 100 Games, die primär auf iPhone und iPad ausgelegt sind. Die Spiele werden heruntergeladen und nicht gestreamt.
Aussterbende Konsolen
Spiele-Streaming wird sich durchsetzen, genauso wie sich Spotify für Musik und Netflix für Filme und Serien durchgesetzt haben. Es ist nur eine Frage der Zeit. Es ist einfach zu bequem, um darauf zu verzichten. Zukünftig wird man nur die App am Smart-TV starten, den Controller in die Hand nehmen und Witcher 4 oder GTA 6 spielen.
Werden die Konsolen deshalb aussterben? Derzeit sieht es nicht danach aus. Schließlich gibt es noch immer Kinos und Blu-rays trotz Netflix. Die Spiele-Publisher werden auch tunlichst bemüht sein, dass das so bleibt. Keiner will derzeit, dass das neue Game, nach mehreren Jahren Entwicklungszeit und zweistelligen Millionenbeträgen an Entwicklungskosten, in einem 10-Euro-Abodienst am Smart-TV auftaucht, statt um 60 Euro im Handel.
Der Zeitabstand zwischen Veröffentlichung und Verfügbarkeit auf den Streaming-Diensten wird aber kürzer werden. Sind es derzeit noch meist 3 bis 4 Jahre für Blockbuster-Titel, könnte es bald nur noch ein Jahr sein. Der Grund dafür: Die Streaming-Anbieter werden darum buhlen, als Erster das Hitspiel anbieten zu können. Sie werden Spiele-Publishern dafür Geld oder bessere Konditionen bieten – ähnlich wie derzeit Netflix und Amazon um Streaming-Rechte von Filmen und Serien kämpfen. So sollen mehr Kunden gewonnen werden.
Mehr Chancen für Indies?
Für einige Spiele-Publisher kommt Streaming sehr gelegen. Besonders für die, die jährliche Games herausbringen, wie es etwa bei Sportspielen üblich ist. Wenn etwa die 2020-Version eines Formel-1-Spiels gerade veröffentlicht wurde, wird niemand mehr die 2019-Variante kaufen. Im Streaming-Abo wird sie aber (weil es die 2020er Version dort nicht gibt) gespielt werden und bringt so zumindest noch ein wenig Geld.
Ähnliches gilt für Spiele, deren Qualität nicht besonders hoch ist und die üblicherweise schon beim Erscheinen um 10 bis 30 Euro verkauft werden. Von diesen gibt es auch in PlayStation Now etliche und wird sie wohl auch in zukünftigen Konkurrenzangeboten geben. Denn so können die Streaming-Anbieter mal schnell ihr Angebot mit ein paar 100 Games auffetten.
Theoretisch ist Spiele-Streaming auch eine Chance für Indie-Studios, damit ihre Games entdeckt und gespielt werden. Allerdings wurde das auch von Spotify gedacht. Bei dem Musik-Streaming-Anbieter gibt es aber anhaltende Beschwerden von Indie-Labels und -Artists, weil sie schlechtere Konditionen erhalten als die großen Labels. Es liegt also an den Spiele-Streaming-Anbietern dafür zu sorgen, dass Indie-Game-Entwickler fair behandelt werden – oder zumindest nicht unfairer, als die großen Spiele-Publisher.
Das Land-Stadt-Gefälle
Spiele-Streaming hätte zudem die Chance, viel mehr Menschen zu erreichen. Schließlich braucht man keine teure Spielkonsole. Und man bekommt um 10 Euro im Monat Zugang zu hunderten Games. Das ist speziell für die interessant, die sich selbst mit diszipliniertem Sparen nicht jedes Jahr 3 Spiele zum Vollpreis leisten können.
Allerdings setzt Spiele-Streaming immer voraus, dass man eine gute Internetverbindung hat. Für das 4K-Streaming von Google Stadia wird etwa empfohlen, dass man einen Internettarif haben sollte, der mindestens bis zu 100 Mbit/s Leistung verspricht, um einen störungsfreien Betrieb zu ermöglichen. Bei Magenta würde so ein Tarif 40 Euro pro Monat kosten, bei A1 45 Euro Monat. Auch das muss man sich leisten können.
Außerdem gibt es selbst in Österreich noch Regionen, in denen man froh wäre, schon eine stabile 20-Mbit-Leitung zu bekommen - obwohl Österreich als reiches Land gilt. In Ländern mit schlechterer Abdeckung, zu denen auch die USA gehören, wird hochqualitatives Spiele-Streaming deshalb wohl nur Usern in Großstädten vorbehalten sein. Will man im ruralen Raum die Games in bestmöglicher Qualität spielen, wird man um den Kauf einer Konsole oder eines leistungsstarken Computers, plus der dazugehörigen Spielen, nicht herumkommen. Mit dem weiteren Glasfaser-Ausbau und 5G sollte sich diese Stadt-Land-Kluft langsam schließen und damit auch die Anzahl potenzieller Spiele-Streaming-Kunden erhöhen – mit Betonung auf langsam.
Die Zerklüftung
Ein weiteres potenzielles Problem ist derzeit mit Netflix, Amazon und jetzt Disney zu beobachten. Jeder beansprucht Rechte für Filme und TV-Serien für sich. Will man möglichst alles sehen, benötigt man Abos bei mindestens 3 Diensten. Beim Spiele-Streaming könnte ähnliches passieren.
Bei Games gibt es schon seit langem Exklusiv-Titel und „Time exclusive“-Titel, also solche, die zB. erst nach einem Jahr auf anderen Plattformen erscheinen. Dieses Jahr hat Epic etwa PC-Spieler mit seinem Gaming Store verärgert, weil dort Spiele exklusiv veröffentlicht wurden, anstatt beim Marktführer Steam. Auch Ubisoft und EA haben am PC versucht, ihre eigenen Vertriebskanäle zu etablieren. Die Chance ist also gegeben, dass neben Microsoft, Google, Sony und Amazon auch noch Spiele-Publisher versuchen werden, Streaming anzubieten und dann deren Games bei anderen Angeboten fehlen. Das bringt Frust bei Usern, weil möglicherweise ganze Spieleserien, egal ob mit klassischen oder aktuellen Games, bei den Angeboten der anderen Spiele-Streaming-Anbieter nicht zu finden sind.
Derzeit wäre das noch nicht tragisch: Solange man die Konsole oder einen schnellen Computer besitzt, kann man das Game auch einfach kaufen. In ein paar Jahren könnte das aber anders aussehen. Dann gibt es wahrscheinlich Exklusiv-Titel für Streaming-Angebote, bzw. Eigenproduktionen – ähnlich wie bei Netflix und Amazon. Und wenn man dann 4 verschiedene Dienste abonniert haben muss, zu je 10 Euro, hat man plötzlich ein Jahresbudget für Games von 480 Euro.
Weniger Qualität
Zudem kommt für Spielestudios ein zusätzlicher, finanzieller Druck hinzu. Inhalte, die gezielt für Streaming entwickelt werden, haben tendenziell ein geringeres Budget. Schließlich ist das Game dann nur eines von vielen für ein 10-Euro-Abo, anstatt 60 Euro im Einzelverkauf. Das heißt: Weniger Geld für den selben Arbeitsaufwand. Darunter leiden sowohl die Menschen hinter den Games (unbezahlte Überstunden), als auch das Spiel selbst, wenn etwa Abstriche bei der Qualitätssicherung oder anderen Aspekten gemacht werden, um den strickten Kostenplan einzuhalten.
So könnten Talente und junge Spielestudios verheizt werden, noch bevor sie genügend Erfahrung für ihren großen Durchbruch sammeln konnten. Und wird gespart, leidet darunter oft auch die Kreativität – Einheitsbrei statt innovativer Spieleideen. Hier kann man als leidenschaftlicher Spieler nur hoffen, dass die Verantwortlichen bei den Spiele-Streaming-Diensten selbst genügend Leidenschaft für Games übrighaben, um das zu verhindern. Spiele-Streaming ist Teil der Gaming-Zukunft. Versaut es nicht.