Meinung

Genetik, die ewig überschätzte Wissenschaft

Zwei Eltern wünschen sich ein Kind. Weil aber eine schwerwiegende Erbkrankheit in der Familie liegt, besteht eine gewisse Chance, dass diese Krankheit auch an das Kind weitergegeben wird. Daher entscheidet man sich für künstliche Befruchtung: Man erzeugt mehrere Embryos, testet sie genetisch und verwendet dann einen, der die Erbkrankheit nicht trägt. Ganz rational betrachtet ist das eine tolle Sache: Anstatt sich auf ein genetisches Glücksspiel zu verlassen, minimiert man das Risiko einer schweren Krankheit.

Menschen à la carte?

Gefährlich wird die Sache aber, wenn man diese Methode radikal überschätzt und ins Extreme übertreibt – wenn man glaubt, damit die großen Menschheitsprobleme lösen zu können. Leider scheinen sich solche gentechnologischen Allmachtsphantasien derzeit zu verbreiten: Wenn man mit Gen-Screenings Krankheiten loswerden kann, kann man dann vielleicht auch gezielt hyperintelligente Kinder erzeugen? Kinder mit angeborenem Geschäftssinn, die nächste Generation der Silicon-Valley-Milliardäre?

Das Silicon-Valley-Startup „Orchid“, unterstützt von Peter Thiel, bietet Screenings an, um „gesunde Babys“ zu bekommen. Aber was heißt „gesund“? Nicht als „gesund“ gilt man bei Orchid etwa, wenn man im Autismus-Spektrum ist – was aber auch auf viele Leute zutrifft, die ein höchst lebenswertes Leben führen und Wichtiges für die Gesellschaft leisten. US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. dürfte das anders sehen: Er bezeichnet Autisten als „Menschen, die niemals Steuern zahlen werden, niemals einen Job haben werden“ – was inhaltlich einfach falsch ist, und darüber hinaus auch ein befremdliches Bild vom Nutzen eines Menschen zeichnet. Ist unser Hauptzweck tatsächlich, Steuern zu bezahlen?

Elon Musk scheint seine eigenen Gene als ganz besonderen Segen für die Menschheit zu betrachten – mindestens 14 Kinder mit mehreren Frauen soll er inzwischen haben. Viel Zeit scheint er mit ihnen nicht zu verbringen, was darauf hindeutet, dass er Blutsverwandtschaft wichtiger einschätzt als die persönliche Weitergabe von Ideen, Werten und Gedanken. Dazu passen auch Donald Trumps Aussagen über Einwanderer, die angeblich „das Blut“ des Volkes „vergiften“, oder die zu Mörder werden, weil es „in ihren Genen ist“. Das ist nichts anderes als Rassismus mit einer pseudowissenschaftlichen Scheinlegitimation.

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Eugenik funktioniert nicht

In Wirklichkeit ist Genetik viel komplizierter. Ja, bestimmte Krankheiten können durch einen einzigen Gen-Defekt ausgelöst werden. Doch solche Krankheiten sind die Ausnahme, nicht die Regel. Alle Eigenschaften, die für uns als Menschen charakteristisch sind, entstehen durch ein unüberblickbar komplexes Zusammenspiel aus vielen Genen und vielen Umwelteinflüssen. Intelligenz zum Beispiel hängt von unzähligen genetischen Faktoren ab, die jeweils nur winzige Effekte haben – und sie wird stark durch soziale Faktoren wie Bildung, Ernährung, Förderung und emotionale Sicherheit mitgeprägt.

Zu behaupten, man könnte ein hyperintelligentes Designerbaby kreieren, ist wissenschaftlich unhaltbar. Zu behaupten, es gebe genetisch inferiore Völker, die in Migrationsbewegungen „schlechte Gene“ mitbringen, ist faktisch falsch.

Wir Menschen sind generell eine Spezies mit recht geringer genetischer Variabilität – wir sind uns untereinander viel ähnlicher als beispielsweise Makaken. Einen Großteil der Variabilität finden wir innerhalb unseres Heimatkontinents Afrika, nicht etwa zwischen verschiedenen Kontinenten. Wären Eigenschaften wie Intelligenz, Kreativität oder Erfindungsreichtum genetisch vorherbestimmt, müsste man erwarten, dass die Spitzenleistungen (wie auch die schlechtesten Leistungen) mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Afrika kommen. Das ist natürlich ein falsches, hoffnungslos übervereinfachtes Bild. Wir wissen längst, dass menschliche Fähigkeiten auf komplexere Weise zustande kommen.

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Die Essentialismus-Falle

Hinter der maßlosen Überschätzung der Genetik liegt ein simpler philosophischer Irrtum: Das Konzept des Essentialismus. Die Vorstellung, es gebe so etwas wie eine „Essenz“, die den Menschen definiert und seine Möglichkeiten festlegt – in diesem Fall seine DNA. Eine solche Essenz gibt es aber nicht. Unsere Gene sind kein Bauplan, der uns auf unverrückbare Weise festlegt. Sie sind eher ein Werkzeugkasten, mit dessen Hilfe man ganz unterschiedliche Dinge erreichen kann.

Wir Menschen sind eine verrückt komplizierte Kombination aus unzähligen Eigenschaften, die biologisch auf unterschiedlichste Weise aktiviert werden können, die mit ihrer Umwelt wechselwirken, die durch Kultur, Training und Lernen verändert werden. Wer behauptet, diese Komplexität auf ein simples Rezept reduziert zu haben, hat Genetik nicht verstanden.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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