Wann ist ein Asteroid "potenziell gefährlich"?
Asteroiden und Kometen, die potenziell enormen Schaden auf der Erde ausrichten könnten, ziehen regelmäßig an uns vorbei. Einige von ihnen können einen Durchmesser von weit über 100 Metern und damit katastrophale Folgen für das Leben hier haben. Solche Near Earth Objects (NEOs) werden daher von Astronom*innen beobachtet, katalogisiert und klassifiziert. Wir erklären, wann ein Asteroid als "potenziell gefährlich" gilt.
Bevor Asteroiden und Kometen klassifiziert werden können, müssen sie gefunden und ihre Eigenschaften so weit wie möglich bestimmt werden. Dafür suchen viele internationale Survey-Stationen, unter anderem von der NASA und ESA, täglich den Himmel ab. Bei diesen automatischen Asteroiden-Scans wird geprüft, wie sich ein Objekt fortbewegt hat und ob es sehr wahrscheinlich ein Asteroid ist. Mit geeigneten Beobachtungen kann das in einigen Stunden herausgefunden werden. Die Daten werden dann ans Minor Planet Center weitergegeben und international verteilt.
Für jede Entdeckung wird, ebenfalls automatisch, die ungefähre Flugbahn berechnet. Sie wird unter anderem von der Strahlung der Sonne oder anderen Himmelskörpern beeinflusst und kann abgelenkt werden, weshalb es immer einen Spielraum gibt. Desto häufiger man ein Objekt beobachtet, desto genauer kann man seine Flugbahn aber abschätzen.
Wahrscheinlichkeit bestimmen
Um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der ein NEO die Erde trifft, wird anhand der berechneten Flugbahn eine Fläche definiert, durch die es möglicherweise fliegt. Wie viel dieser Fläche von der Erde eingenommen wird, bestimmt die Wahrscheinlichkeit des Aufschlags. "Bei manchen Asteroiden wächst die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags nach dem Beginn der Beobachtungen", erklärt Richard Moissl aus dem Planetary Defence Office der ESA.
Beispielsweise schrumpft häufig das berechnete Areal, das von einem Asteroiden durchflogen wird, sobald mehr Daten gesammelt wurden. Dadurch wird aber der Anteil der Erde innerhalb dieser Fläche größer = die Wahrscheinlichkeit für einen Aufprall wächst. Erst nach weiteren Beobachtungen rutscht die Erde aus dem Areal hinaus und die Wahrscheinlichkeit sinkt wieder. In den meisten Fällen verringert sich die Gefahr bereits nach kurzer Zeit.
Schwierige Größenbestimmung
Die Größe eines Asteroiden abzuschätzen ist sehr schwierig. Herangezogen wird seine Helligkeit im Verhältnis zur Entfernung. Dann werden Standardwerte verwendet, um eine ungefähre Masse und Dichte zu ermitteln. Desto mehr Licht der Körper reflektiert, desto größer wird er geschätzt. So könnte der aktuelle Platz 2 auf der ESA-Risikoliste, 1979 XB, zwischen 500 und 1.000 Meter groß sein. Aus der ungefähren Masse wird dann, zusammen mit seiner Geschwindigkeit, seine kinetische Energie berechnet. Dadurch weiß man, wie zerstörerisch sein Aufschlag auf der Erde sein könnte.
Um diese beiden Parameter – also die Einschlagswahrscheinlichkeit und die kinetische Energie – in Verbindung zu setzen, gibt es 2 Systeme: die Turiner Skala und die Palermo Skala. Während die Turiner Skala eher für die öffentliche Kommunikation verwendet wird, nutzen Wissenschaftler*innen eher die Palermo-Skala für ihre Beobachtungen.
Turiner Skala
Für die Turiner Skala werden die Asteroiden von 0 (kein Risiko) bis 10 (sichere Kollision) eingestuft. Klasse 1 liegt im grünen Bereich und gilt für gewöhnliche Asteroiden. 2 bis 4 (gelb) erfordert die Aufmerksamkeit der Astronomen, da sie der Erde etwas näherkommen, aber in der Regel harmlos sind.
Die Klassen 5 bis 7 (orange) werden für bedrohliche Asteroiden verwendet. Sie kommen der Erde sehr nah und könnten regionale oder globale Verwüstung anrichten. Sie erfordern einen Notfallplan und genaue Beobachtung. Hier ist eine Kollision aber ungewiss.
Anders ist das bei Asteroiden der Klassen 8 bis 10 (rot). Sie treffen sicher die Erde und könnten eine regionale oder globale Zerstörung anrichten, Tsunamis auslösen oder im schlimmsten Fall die Zivilisation auslöschen.
Palermo Skala
Für die Palermo Skala wird neben der Wahrscheinlichkeit des Einschlags und der kinetischen Energie auch die geschätzte Zeit bis zum Impact herangezogen. "Sie ist unser Handwerkszeug, um Objekte zu vergleichen", sagt Moissl. Dabei werden alle Objekte, die auf der Skala über -2 liegen, genauer beobachtet. Gefährlich sind jene Objekte mit einem positiven Wert, laut Moissl kommt das aber äußerst selten vor.
Wie schnell sich diese Werte ändern können, zeigt das Beispiel des neu entdeckten Asteroiden 2021NQ5 mit einem geschätzten Durchmesser von 180 Metern. Er belegte am 15. Juli 2021 mit einem Wert von -2,79 den Platz 1 der ESA-Risikoliste. Durch einen neue Datensatz rutschte er schon am 16. Juli auf Platz 3 mit einem neuen Wert von -3,31.
Schwierige Suche nach Objekten
Derzeit sind ca. 26.000 NEOs bekannt, davon sind etwa 1.200 auf der ESA Risiko-Liste. Das bedeutet aber nicht, dass sie wirklich eine Gefahr darstellen: "Auf der Liste sind alle Objekte, bei denen die Wahrscheinlichkeit die Erde zu treffen nicht 0 ist", erklärt Moissl. Und durch die vielen Herausforderungen und Ungenauigkeiten bei den Flugbahn-Berechnungen sind das viele.
Derzeit können aber noch nicht alle NEOs erfasst werden. "Wir schätzen, dass wir über 90 Prozent der Objekte, die größer als einen Kilometer sind, bereits kennen. Bei jenen zwischen 300 und 1.000 Metern Größe sind es etwas mehr als die Hälfte. Bei Objekten unter 100 Metern ist es nur ein sehr geringer Prozentsatz“, sagt Moissl.
Das liege hauptsächlich an der geringen Helligkeit der kleineren Asteroiden, aber auch zum Teil daran, dass es einen "Toten Winkel" gibt, nämlich für Objekte die aus der Nähe der Sonne zur Erde kommen. In Zukunft sollen Projekte wie der NEO Surveyor im All auf Asteroiden-Jagd gehen, und diesen blinden Fleck auszugleichen.
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