Science

ESA forscht daran, Nahrung aus Luft zu gewinnen

Am Anfang des „Space Age“ in den 1960er Jahren mussten sich Astronauten mit Tuben oder Würfeln pürierter Lebensmittel zufriedengeben. Später kam gefriergetrockneter Proviant dazu – und auch mal ein geschmuggeltes Corned Beef Sandwich. Österreich lieferte ebenfalls einen kulinarischen Beitrag zur Weltraumerkundung: 1991 wurden auf der sowjetischen Raumstation MIR u.a. Mirabell-Mozartkugeln und PEZ-Zuckerl verspeist.

Eines haben alle diese Snacks und Mahlzeiten gemeinsam: Sie stammen von der Erde. Für zukünftige Langzeitmissionen, etwa zum Mars, ist das ein Problem – denn Nachschub rückt dabei wortwörtlich in zunehmende Ferne. 

Die Europäische Raumfahrtagentur ESA hat daher unter dem Namen HOBI-WAN (Hydrogen Oxidizing Bacteria In Weightlessness as a source of Nutrition) ein Pilotprojekt gestartet, wie in einer Aussendung bekanntgegeben wurde. Die ESA will gemeinsam mit Industriepartnern erforschen, wie man im Weltall sogenanntes Solein, d.h. Proteine aus der Luft gewinnen könnte.

Proteine aus CO2, Wasser und Mineralien

Das finnische Unternehmen Solar Foods hat Solein bereits vor einigen Jahren vorgestellt. Das Pulver besteht zu 78 Prozent aus Eiweiß, 6 Prozent Fett, 10 Prozent Balaststoffen sowie 4 Prozent mineralischen Nährstoffen und enthält alle für den Menschen nötigen Aminosäuren.

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Es basiert auf einem Bakterium der Gattung Xanthobacter, das mit Kohlenstoffdioxid, Wasserstoff, Sauerstoff, sowie Mineralien wie Ammoniak, Phosphor und Kalzium „gefüttert“ wird. Das CO2 wird dafür mittels Direct Air Capture aus der Luft gewonnen, genauso das Wasser, das mittels Elektrizität in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird.

In einem Bioreaktor wachsen und vermehren sich die einzelligen Bakterien in der Nährstofflösung. Zur „Ernte“ wird die Lösung dann getrocknet. Übrig bleibt ein goldgelbes Proteinpulver.

Solein in Singapur und NYC

Seit 2024 ist Solein in Singapur zugelassen, dort kann man etwa Eiscreme daraus kaufen. In den USA wurde das neuartige Protein ebenfalls „grundsätzlich als sicher anerkannt“ und in einem 4-Gänge-Menü im mittlerweile geschlossenen Restaurant Olmsted in New York präsentiert. Es ersetzte in Spätzle, Crêpes und Schokoladenmousse das Protein, das sonst aus Milchprodukten oder Eiern stammen würde.

In Singapur kann man Eis kaufen, das mit Solein hergestellt wurde.

Anders als im vielprämierten Restaurant sind kulinarische Höhenflüge nicht das Kerninteresse der ESA. Vielmehr geht es im HOBI-WAN-Projekt um die Adaption des Solein-Herstellungsprozesses für das Weltall.

„Damit Menschen Langzeitmissionen auf dem Mond durchführen oder eines Tages sogar zum Mars fliegen können, sind innovative und nachhaltige Lösungen erforderlich, um mit begrenzten Vorräten überleben zu können. Mit diesem Projekt entwickelt die Europäische Weltraumorganisation eine Schlüsselkompetenz für die Zukunft der Weltraumforschung“, sagt Angelique Van Ombergen, Chefwissenschaftlerin für Exploration bei der ESA in der Aussendung.

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Mikrogravitation als Herausforderung

Die Bioprozess-Technologie von Solar Foods funktioniert zwar auf der Erde schon im industriellen Maßstab. Doch damit sie zukünftig womöglich Astronautinnen und Astronauten versorgen kann, muss sie an die Bedingungen der Mikrogravitation angepasst werden und zuverlässig autonom funktionieren. Eine Herausforderung ist dabei das Explosionspotenzial von Wasserstoff-Sauerstoff-Gemischen. 

Statt Ammoniak soll Harnstoff als Stickstoffquelle für die Mikroorganismen herhalten. CO2 und Wasser sollen außerdem nicht wie auf der Erde aus der Luft sondern aus Speichertanks zugeführt werden. Diese sollen sich aus dem Lebenserhaltungssystem einer Raumstation speisen.

Entwicklung durch deutsches Unternehmen

Der experimentelle Bioreaktor für den Weltraum soll in Zusammenarbeit mit der OHB System AG aus Bremen gebaut werden. Das Unternehmen hat bereits 20 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Wartung von Nutzlasten für die Internationale Raumstation ISS.

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„Unser tiefgreifendes Verständnis der ISS-Umgebung in Verbindung mit unserer Erfahrung mit Lebenserhaltungssystemen und wissenschaftlichen Experimentierplattformen macht uns zum idealen Partner, um die Technologie von Solar Foods in den Orbit zu bringen – und wir freuen uns sehr auf diese Zusammenarbeit“, sagt Jürgen Kempf, HOBI-WAN-Projektleiter bei OHB in Bremen in der Aussendung.

Nach einer 8-monatigen Entwicklungsphase eines bodengestützten Modells soll die eigentliche Flugausrüstung produziert und erprobt werden. Es wird also noch etwas dauern, bis tatsächlich Protein aus Luft im Weltraum entsteht.

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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