Mit dem Quantencomputer Krebs besiegen
Die Zahl der Krebsneuerkrankungen belief sich im Jahr 2020 laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung weltweit auf 19,3 Millionen. Tendenz steigend. In vielen Fällen stehen die Heilungschancen gut, doch nicht alle Patient*innen sprechen gleichermaßen auf Standardtherapien an. Große Hoffnungsträger sind daher personalisierte Behandlungen.
Bei deren Entwicklung stellt aber unter anderem die enorme Menge an Patient*innendaten ein Problem dar. Bis zu 100 Terabyte an individuellen Informationen wie Blut-, Therapie- oder Tumorwerte fallen laut der Fraunhofer Gesellschaft im Laufe ihrer Krankheitsgeschichte an.
Quantenrechner spielen große Rolle
Bis heute kann diese Fülle an Information für eine maßgeschneiderte Krebstherapie kaum effizient aufbereitet und genutzt werden – es fehlt an geeigneten Verarbeitungsapparaturen. So bleibt die Standardtherapie oft die einzige Option. Eine große Rolle spielt in diesem Feld Quantencomputing – Forschungen dazu laufen weltweit.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) etwa setzt gemeinsam mit dem Fraunhofer-Kompetenznetzwerk Quantencomputing in Ehningen seit Kurzem den Rechner „Quantum System One“ von IBM zur Entwicklung individuell wirksamer Therapiemethoden gegen Krebs ein. Konkret will das Forschungsteam rund um Niels Halama herausfinden, welche Behandlung sich auf welche Weise, für welchen Patient*innen am besten eignet. Um das anhand der jeweiligen Patient*innen-Daten zu entschlüsseln, braucht es aber eine außerordentliche Rechenkapazität.
Verarbeitung geschieht parallel
Die bieten Quantenprozessoren. Ihr Vorteil ist, dass sie Daten und Rechenkombinationen nicht wie herkömmliche Computer nacheinander verarbeiten, sondern gleichzeitig. Gewöhnliche Rechner arbeiten mit Bits – also mit Einsen und Nullen. Ein Bit kann nur die Werte „0“ und „1“ annehmen. Quantencomputer arbeiten mit Quantenbits (kurz: „Qubits“) und können unendlich viele Zustände zeitgleich annehmen – Rechenoperationen finden also parallel und somit wesentlich schneller statt.
Quantum System One ist mit 27 Qubits das aktuell leistungsstärkste Quantensystem in Europa. Damit lassen sich komplexe Aufgaben ultraschnell lösen, was bei größeren Datenmengen eine enorme Zeitersparnis bedeutet. Für Krebspatienten ist das wesentlich, denn sie sind von schnellen Entscheidungen abhängig.
Aktuell untersucht das Team, welche Algorithmen zur Informationsverarbeitung zur Anwendung kommen könnten, um die Vielzahl an Patient*innen-Daten systematisch aufbereiten und für gezieltere Therapien nutzen zu können.
„Unter anderem könnten komplexe molekulare Wirkmechanismen simuliert werden"
Effiziente Simulationen
Der Forscher Horst Hahn vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS begrüßt Projekte wie jenes vom DKFZ. Ihm zufolge könne Quantencomputing neben der Verarbeitung riesiger Datenmengen auch generell dort, wo komplexe Simulationen durchzuführen sind, eine Rolle spielen und die Wirkstoffentwicklung deutlich vorantreiben. „Unter anderem könnten komplexe molekulare Wirkmechanismen simuliert werden", sagt er der futurezone. Die können dabei helfen, zu verstehen, wie Moleküle miteinander interagieren und wie ein Wirkstoff funktionieren könnte.
Das untermauert auch Clemens Rössler, Experte für Quantenprozessoren beim Halbleiterhersteller Infineon Austria: „Quantenbits können kleinste Vorgänge auf Molekül- oder Atomebene simulieren. Für die personalisierte Medizin könnten individuelle Krankheitszustände und -anfälligkeiten oder Einflussfaktoren wie Alter, Lebensstil und genetischer Hintergrund berücksichtigt werden“, sagt er.
„Nutzbar sind Quantencomputer auch für die Verschlüsselung sensibler medizinischer Informationen“
In der Strahlentherapie könne der Quantencomputer Simulationen des optimalen Bestrahlungsplans ermöglichen, um Schäden an umgebenden Geweben zu minimieren. „Nutzbar sind Quantencomputer aber auch für die Verschlüsselung sensibler medizinischer Informationen,“ ergänzt Rössler.
Austro-Prozessor
Auch Infineon Austria forscht seit März 2020 an einem superschnellen Quantencomputer. „Im Forschungsprojekt ,OptoQuant’ geht es darum, die Quantentechnologie basierend auf Ionenfallen anwendungstauglich zu machen“, sagt Projektkoordinator Rössler. Bisher bestünden Ionenfallen-Quantencomputer aus einem Raum voller Spiegel und Laser. „Das ist allerdings nicht stabil genug für den zuverlässigen produktiven Einsatz“, erklärt er. Um diese Technologie weiterzuentwickeln und industriell nutzbar zu machen, hat sich der Halbleiterhersteller mit der Uni Innsbruck und Joanneum Research zusammengetan.
Aktuell laufen erste Forschungsarbeiten im Bereich der Zweiphotonen-Laserlithografie für diverse Prototypen. „Diese wollen wir dann bei Infineon in Villach in unserem Quantenlabor testen, wonach sie in Innsbruck für quantenoptische Experimente genutzt werden“, sagt der Fachmann. Dazu werde gerade ein Test-Set-up eingerichtet. Ein Konzept für die erste Ionenfalle wurde in den ersten sechs Monaten des Projekts bereits erstellt.
Mit mRNA Krebszellen zerstören
Die Firma Biontech ist seit Corona jedem ein Begriff. Gemeinsam mit dem Impfstoffhersteller Pfizer hat es den ersten mRNA-Impfstoff (zu Deutsch: „Boten-RNA“) gegen SARS-CoV-2 entwickelt und zur Zulassung gebracht. Für diese Leistung wurde Biontech vor Kurzem mit dem Deutschen Zukunftspreis geehrt.
Ursprünglich stammt die mRNA-Technologie aber aus der Entwicklung maßgeschneiderter Krebstherapien, mit denen Biontech zuvor Jahre an Erfahrung gesammelt hatte. Seit 20 Jahren ist sie schon Bestand der Krebsforschung – seit mehreren Jahren werden Impfstoffe auf mRNA-Basis zur Behandlung von Krebs auch getestet.
Bei der Krebsimmuntherapie ist es das Ziel, die Technologie mit der Boten-RNA zur Anwendung zu bringen, um bösartige Zellen zu erkennen. Denn: Das menschliche Immunsystem ist bei manchen „getarnten“ Krebszellen selbst nicht in der Lage dazu, wodurch sie sich überhaupt ausbreiten können.
Eiweiße suchen
Um künftig für alle Patient*innen eine personalisierte mRNA-Therapie zu entwickeln, müssen zunächst die unterschiedlichen Krebszellen analysiert und identifiziert werden. Erkennbar machen sie bestimmte Eiweiße. Sind die Krebszellen entschlüsselt, können die Zellinformationen auf die mRNA übertragen werden.
Um diese Zellen zu vernichten, werden daraus im Anschluss Eiweißstücke produziert und können den Patient*innen injiziert werden. Auf diese Weise erkennt der Körper die Zellen als fremd und kämpft etwa mithilfe von Antikörpern automatisch gegen sie an.