Wie Röntgenstrahlung hilft, historische Schätze zu erhalten
Das Röntgenzentrum der TU Wien hat wenig mit gleichnamigen Einrichtungen in Krankenhäusern zu tun. Einerseits geht es nicht um gebrochene Knochen, andererseits wird andere Strahlung genutzt, erklärt Leiterin Klaudia Hradil: „Beim Arzt wird hochenergetische Röntgenstrahlung eingesetzt, die ermöglicht, durch das Material durchzukommen. Wir machen keine Bilder von unseren Objekten, wir schauen uns in der Regel nur die Oberfläche an.“
Hradil und ihr Team können mittels sogenannter Röntgen-Diffraktionsmethoden 30 bis 100 Mikrometer tief messen, letzteres entspricht der Dicke eines menschlichen Haars. „Wir schauen uns an, wie die Strahlung von den regelmäßigen Anordnungen in kristallinen Materialien gebeugt wird. Daraus können wir Rückschlüsse auf die Struktur der Materialien und damit auf chemische und physikalische Eigenschaften ziehen“, sagt die Kristallographin.
Batteriezellen, neuartige synthetische Materialien... und antike Schätze
Üblicherweise untersucht sie etwa spezielle Stahlsorten aus der Industrie, Korrosionsprozesse in Batteriezellen oder neuartige synthetische Materialien, die von Forschungsgruppen an der TU entwickelt werden.
Doch seit gut zehn Jahren landen auch immer wieder kulturhistorische Schätze im Röntgenzentrum. Darunter waren etwa bemalte Gesteine aus dem antiken Carnuntum oder jahrhundertealtes religiöses Kunsthandwerk.
Schatz von Wiener Neustadt
Angefangen hat alles recht zufällig mit dem 2010 bekannt gewordenen spätmittelalterlichen Schatz von Wiener Neustadt, berichtet Hradil: „Im Rahmen eines Sommerpraktikums hatten wir 3 Schülerinnen und Schüler im Labor, die Korrosionsprodukte darauf mikroskopisch untersucht haben.“
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Sie selbst habe die Oberflächen anschließend mittels Röntgenstrahlung charakterisiert. Auf Basis der gemessenen chemischen Verbindungen konnten Restauratorinnen und Restauratoren dann genau passende Reinigungs- und Erhaltungsmaßnahmen treffen.
Heritage Science
„Bei den historischen Legierungen arbeiten die Metalle gegeneinander, das ist einfach Physik und Chemie. Sie können auch mit ihrer Umgebung reagieren, etwa mit Feuchtigkeit oder Luftbestandteilen“, erklärt Valentina Ljubić Tobisch. Sie ist Metallrestauratorin und Chemikerin und arbeitet als Heritage-Science-Forscherin am Röntgenzentrum.
Dieser recht neue Forschungsbereich vernetzt Expertinnen und Experten aus Materialforschung, Restaurierung, Archäologie und weiteren Disziplinen und „verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft“, sagt Ljubić Tobisch.
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800 Jahre alte Ikone
Für sie seien alle Techniken interessant, die keine Probenentnahme erfordern und zerstörungsfrei sind, also auch Röntgen-Diffraktion. „Wir haben momentan eine Ikone aus dem 13. Jahrhundert da, die besteht aus verschiedenen Metallen, Emailresten und Edelsteinen. Da geht es darum, das Stück bestmöglich zu erhalten, und die Besitzer wollen wissen, ob die zeitliche Einordnung korrekt ist“, erklärt Ljubić Tobisch.
Teil einer Ikone aus dem 13. Jahrhundert
© Valentina Ljubić Tobisch
Dabei kommt es immer wieder zu Überraschungen: „Vor ein paar Monaten waren wir in einer österreichischen Sammlung, um Originale aus der Antike und Neuankäufe zu untersuchen. Und wir konnten bestätigen, dass die Neuankäufe nicht aus der Antike stammen!“, berichtet die Heritage-Science-Forscherin.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Fast immer sei bei solchen Fragestellungen interdisziplinäre Zusammenarbeit nötig, betont Hradil: „In der Materialanalytik bleibt man oft stecken. Wenn ich nichts finde, das genau passt, oder eine zu geringe Materialmenge habe, muss ich mit jemandem sprechen, der weiß, mit welchen Materialien in einem bestimmten Zeitraum gearbeitet wurde.“
So auch passiert bei der „Wiener Genesis“, einer fragmentarisch erhaltenen Handschrift aus dem sechsten Jahrhundert, die die Kristallographin vor einigen Jahren untersuchte. Hier zerfraß die gut 1500 Jahre alte Silbertinte das darunterliegende Pergament.
Historische Farben und Schimmel in Datenbanken finden
Wissenschaftliche Datenbanken anorganischer Materialien, auf die Hradil ihre Einschätzungen normalerweise stützt, sind vorrangig für klassische strukturchemische Fragen konzipiert, etwa die Eigenschaften moderner Stahllegierungen. Rezepte für Farben historischer Künstlerinnen und Künstler oder möglicher Schimmelbefall passen nicht in dieses Schema.
Durch Kooperation mit Historikerinnen und Historikern, die mit entsprechenden Archiven arbeiteten, gelang ihr die Bestimmung der Silbertinten dennoch. Daraus entstanden wiederum Empfehlungen für die ideale Lagerung der Dokumente.
Hohe Sicherheitsvorgaben
Wenn gewünscht, fahren Hradil und Ljubić Tobisch auch mit einem mobilen Messgerät in Museen, um Objekte direkt an Ort und Stelle zu untersuchen. Denn wegen komplexer Leihverträge oder Sicherheitsvorgaben für wertvolle Stücke sei es nicht immer möglich, diese ins Röntgenzentrum der TU zu bringen.
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„Ich habe auch schon mal ein Objekt gemessen, und da saß dann sechs oder sieben Stunden lang Sicherheitspersonal neben dem Gerät, um es zu bewachen“, erinnert sich Hradil.
Lagerung verbessern
In vielen Museen und Archiven seien die Depots nicht auf dem neuesten Stand. Historische Schränke und Vitrinen könnten mitunter säurehaltige Gase ausdünsten, was für empfindliche Objekte wie antike Münzen problematisch werden könne:
„In den Münzen war teilweise Blei, das dann zu Bleioxid wurde. Das war ein riesiger Volumensprung, was die Münzen von innen explodieren hat lassen“, berichtet Hradil. Ihr Team könne durch Materialanalysen beitragen, so etwas in Zukunft zu verhindern.