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Die Stadt der Zukunft: Wie wir 2050 leben werden

Neue Stadtprojekte rühmen sich damit, besonders nachhaltig zu sein. Die futuristische Stadt „The Line“ verspricht etwa erneuerbare Energieerzeugung, nachhaltige Wasserversorgung aus Meerwasser und ökologische Lebensmittel, die innerhalb der Anlage angebaut werden.  

MIT-Professor John E. Fernandez forscht daran, wie man Städte umweltfreundlicher machen kann. Er hält nicht viel von Projekten wie „The Line“ und ist überzeugt, dass sich auch bestehende Städte in den nächsten Jahrzehnten stark verändern werden. Wie sieht eine Stadt also in 20 oder 30 Jahren aus?

MIT-Professor John E. Fernandez.

futurezone: Sie forschen seit 15 Jahren daran, wie Städte nachhaltiger werden können. Was haben Sie seitdem herausgefunden?
John E. Fernandez: Als ich die Forschungsgruppe für Urban Metabolism gegründet habe, wollten wir herausfinden, wie eine Stadt wirklich nachhaltig werden kann. Vor 15 Jahren startete eine Art Bewegung in diese Richtung, es gab z.B. Preise für “Grüne Städte” – aber niemand wusste wirklich, was eine nachhaltige Stadt ist. In den vergangenen Jahren wurden Städte aber auch achtsamer, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Da spielte die Klimaerwärmung eine große Rolle.

Gibt es heutzutage schon nachhaltige Städte oder existieren sie nur in unserer Vorstellung?
Es gibt schon viele Städte, die Nachhaltigkeit ernst nehmen. Städte wie Hamburg und Berlin haben große Fernwärmenetze, die deutlich effizienter sind als einzelne Heizungen in den Gebäuden. Ein anderes Beispiel ist Singapur: Dort gibt es ausgeklügelte Systeme, um den Verkehr, Energie- oder Wasserverbrauch zu überwachen und dort einzusparen. Andere Beispiele wären Curitiba in Brasilien oder Bogota in Kolumbien: Curitiba setzte etwa als eine der ersten Städte überhaupt ein Netzwerk aus Schnellbussen ein, in Kolumbien wurde eine Fahrradkultur quasi von null auf aufgebaut. Aber eine wirklich nachhaltige Stadt gibt es weltweit nicht. Die Vorstellung, dass eine Stadt sich innerhalb ihrer Grenzen selbst versorgen kann, ist ein Missverständnis. Es hat noch nie eine solche Stadt gegeben, nicht einmal Dörfer können das.

Gibt es Sektoren, die man besonders leicht klimafreundlich gestalten kann?
In Energie, Wasser, Nahrung, Transport und Müllverarbeitung kann man relativ gut eingreifen. In der US-Stadt Alexandria, Virginia, gibt es quasi mitten in der Stadt eine Müllverbrennungsanlage, die Energie erzeugt. Natürlich will man so viel Müll wie möglich recyceln, aber was nicht wiederverwertet werden kann, wird so zumindest in Energie umgewandelt. Auch in Shenzhen in China mit 18 Millionen Einwohner*innen geht der Großteil des Mülls in Anlagen, wo Energie daraus gewonnen wird. Aber all diese Stellschrauben müssen von Städten gemeinsam angegangen werden. Genauso wichtig wie Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung ist die Steigerung der Biodiversität in Städten. 

Was meinen Sie damit? Mehr Parks?
Zum Beispiel. Die biologische Vielfalt in Städten ist zwar begrenzt, aber wichtig. Mehr Bäume, mehr Parks, aber auch mehr Feuchtgebiete oder Bäche, die zuvor entwässert oder versiegelt wurden. Bienenstöcke in Städten aufzustellen kann etwa dabei helfen, biologische Vielfalt zu fördern. 

Unterschiedliche Städte auf der Welt haben unterschiedliche Herausforderungen. Wie entwickelt man da Lösungen für jede einzelne Stadt?
Man kann Städte in Gruppen einteilen. Die Probleme von Städten in ähnlichen Ländern oder ähnlichen Klimazonen überlappen sich sehr, aber auch andere Städte auf der ganzen Welt stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Dabei kommt es sehr darauf an, wie entwickelt und wie stark die Ungleichheit in einer Stadt ausgeprägt ist. Städte, die Ungleichheit reduzieren und Lebensstandards erhöhen, können sich auch besser an die Klimaerwärmung anpassen. Dazu gehören die meisten europäischen Städte, einige Küstenstädte der USA, oder einige in Südamerika. Afrikanische Städte haben mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, wie etwa ihr enormes Bevölkerungswachstum. In Lagos in Nigeria sollen bis Ende des Jahrhunderts fast 90 Millionen Menschen leben. Das ist das Doppelte von Tokio.

Auch afrikanische Städte machen schlussendlich das, was Städte am besten können – nämlich Wohlstand produzieren und den allgemeinen Lebensstandard erhöhen. Und das wird unweigerlich dazu führen, dass Menschen mehr konsumieren. Das wird den Druck auf das Nahrungsmittel- und Klimasystem noch einmal erhöhen.

Oft kommt das Argument, dass das Leben in der Stadt nachhaltiger sei als am Land. Man braucht nicht unbedingt ein Auto und lebt auf vergleichsweise kleinerem Raum. Stimmt das?
Nun, in der Stadt kann man nachhaltiger leben als am Land - mit Betonung auf “kann”. Aber die Realität ist komplizierter. In solchen Berechnungen wird meist der Konsum der Stadtbewohner nicht berücksichtigt. Und wie wir wissen, steigt dieser mit dem Wohlstand der Menschen immer weiter an. Ich will allerdings betonen, dass man in der Stadt durchaus nachhaltiger leben kann. 

Gehen wir von bereits existierende Städten weg und wenden wir uns neuen Stadtprojekten zu – das berühmteste ist wohl “The Line” in Saudi-Arabien. Wie nachhaltig kann eine solche Stadt sein?
Da muss man zwischen Bau und Betrieb unterscheiden. Für den Bau kommen die meisten Materialien von weit her, der CO2-Fußabdruck ist daher enorm. Für den Betrieb könnte die Stadt hauptsächlich durch Sonnen- und Windenergie versorgt werden. Die Anlagen müssen dabei nicht direkt bei der Stadt gebaut werden, sondern können überall im Land stehen.

Ich bin dennoch besorgt über die Visionen und das Marketing hinter The Line. Wenn man mir sagen würde, dass eine Stadt gebaut werden soll, die auf passive Belüftung, erneuerbare Energie und Geothermie setzt, wäre ich ganz Ohr. Aber für wirklich nachhaltige Städte braucht es auch immer eine Form von reduziertem Verbrauch. Und das kann ich mir bei The Line nicht vorstellen.

Gibt es Positivbeispiele für nachhaltige Städte, die momentan gebaut werden?
Einige der chinesischen “Öko-Städte” setzten sehr stark auf grüne Energie, aber auch auf Kreislaufwirtschaft. Komplett neue Städte sind allerdings die Ausnahme. Es sind hauptsächlich bestehende Städte, die aggressive Regelungen für mehr Nachhaltigkeit festlegen. 

Eine Pflicht zur thermischen Sanierung wäre eine solche aggressive Regelung.
Die grünste Energie ist die, die nicht verbraucht wird. Schon vor 20 Jahren identifizierte der IPCC-Report den Bausektor als jenen Sektor, wo sich am günstigsten Emissionen einsparen lassen. Gebäude sind an sich nämlich recht ineffizient und sie effizienter zu machen, ist nicht gerade teuer. Ein anderer Punkt ist, dass bei Gebäuden oft nicht überwacht wird, wie gut sie funktionieren. Pumpen oder Heizungen arbeiten nicht optimal, die Außenhülle hat thermische Schwachstellen - es sind viele kleine Dinge, die zusammen einen Großteil der verlorenen Energie ausmachen.

Was glauben Sie, wie unsere Städte in 20 oder 30 Jahren aussehen werden? Wird es große Veränderungen geben oder finden die Verbesserungen eher unter der Oberfläche statt?
Ich bin ein Optimist, daher denke ich, dass wir einige große Veränderungen sehen werden. Diese Veränderungen werden nicht problemlos durchgezogen werden und sie werden auch nicht sofort passieren. Zumindest bis 2030 werden die meisten Städte Regelungen durchgesetzt haben, um ihren CO2-Ausstoß zu senken. Auch der Transport wird sich dramatisch in Richtung E-Fahrzeuge verändern – vom E-Scooter bis hin zum E-Auto. Homeoffice wird sich in den nächsten Jahren weiter durchsetzen, was dazu führt, dass sich zentral gelegene Büroviertel verändern. Mieten werden sich verringern und vielleicht werden Innenstädte diverser. Städte werden grüner, mit mehr Bäumen und Parks, all das wird sich bereits in den nächsten Jahren auswirken. 

Wird der persönliche Pkw in so einer modernen Stadt noch Platz haben?
Das kommt auf die Stadt an. In dichten Städten werden die Straßen hauptsächlich einspurig werden und den Fußgängern wird mehr Platz gegeben. Aber das Auto wird nicht komplett verschwinden. Zum einen werden wir in Stadtzentren Flotten autonomer Fahrzeuge sehen – auch wenn es länger dauert, als es uns bestimmte Autobauer weiß machen wollen. Zum anderen werden sich die E-Autos verändern: zu kleineren, leichteren Fahrzeugen, die für die Stadt gemacht sind. 

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Marcel Strobl

marcel_stro

Ich interessiere mich vor allem für Klima- und Wissenschaftsthemen. Aber auch das ein oder andere Gadget kann mich entzücken.

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