Warum Abwasser eine wertvolle Ressource ist
Eine braune, stinkende Brühe - was in der Kanalisation dahinschwimmt, wirkt wahrscheinlich für wenige Menschen wie etwas, aus dem sich noch irgendein Nutzen ziehen lässt. Im Gegenteil: man betreibt auch noch viel Aufwand, damit das Zeug in Kläranlagen soweit von Schadstoffen befreit wird, dass man es guten Gewissens wieder in die Natur entlassen kann. Dabei kann Abwasser eine wertvolle Ressource darstellen, wenn man es richtig anstellt. Laut dem World Water Assessment Programme der UNESCO sollte Abwasser künftig einen wichtigen Teil der Kreislaufwirtschaft darstellen und einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Klimaziele zu erreichen.
Mehrere Ansatzpunkte
Welches Potenzial steckt in Abwasser? Beginnen wir mit dem Einfachsten: Kanalsysteme sind oft so angelegt, dass sie auf dem Weg zu einer Kläranlage ein natürliches Gefälle ausnutzen. Genau wie bei Flusskraftwerken kann man Turbinen und Wasserräder einbauen, die aus der Strömung Strom erzeugen. Das Wasser im Kanal hat dazu üblicherweise eine relativ konstante Temperatur. Oft ist es bis zu 20 Grad warm. Mit Hilfe von Wärmepumpen kann man sich diesen Umstand für die Heizung oder Kühlung von Gebäuden zunutze machen.
Auch wenn Abwasser viele Schadstoffe enthält, sind auch viele nützliche Stoffe darin. Menschliche Ausscheidungen enthalten etwa Stickstoff, Kalium und Phosphor. Letzteres ist vor allem als Düngemittel wichtig. Üblicherweise wird es importiert. Wenn das Abwasser in der Kläranlage behandelt wird, bleibt dabei zudem so genannter Klärschlamm zurück. Aus diesem lässt sich Methan gewinnen und daraus wiederum Strom erzeugen.
Großprojekt in Wien
Genau das wird etwa künftig in der Hauptkläranlage Wien passieren. Seit Jahren wird dort das Projekt E_OS vorangetrieben. Das Kürzel steht für Energie-Optimierung Schlammbehandlung. Das Prinzip: Dem Schlamm aus den Klärbecken wird zu einem gewissen Grad Wasser entzogen und er wird in 30 Meter hohe Faulbehälter gefüllt. Die Temperatur im Inneren wird auf 38 Grad erhöht, wodurch Bakterien ideale Bedingungen vorfinden, um den Schlamm zu zersetzen. Dabei wird Methan frei, das in Gasbehältern gesammelt wird. In einem eigenen Kraftwerk wird das Methan in Gasmotoren verbrannt, die Generatoren antreiben. Mit dem so erzeugten Strom wird der gesamte Energiebedarf der Kläranlage gedeckt und es wird sogar Überschüsse geben.
"Die Technik, um Klärschlamm verfaulen zu lassen, ist nicht neu. Kläranlagen machen das seit 50 Jahren", meint Unternehmenssprecher Karl Wögerer. "Bisher ging es dabei jedoch um die Verringerung der Schlammmengen und die Einsparung von Entsorgungskosten." Beim Projekt E_OS habe man den Prozess gemeinsam mit dem Institut für Gewässergüte der TU Wien für die größtmögliche Energieausbeute zu optimieren. Mitte 2020 soll die neue Schlammbehandlungsanlage ihren Betrieb aufnehmen.
Bisher floss ein Prozent des gesamten Wiener Strombedarfs in die Kläranlage, und dass obwohl bereits bisher am Gelände Wasser-, Wind- und Solarkraft genutzt wurde. In Zukunft sinkt der Ausstoß von Treibhausgasemissionen um 40.000 Tonnen pro Jahr.
Unterschiedlicher Umgang
International sind Projekte wie jenes in Wien immer noch eine Rarität. Laut der Unesco gelangt 80 Prozent des weltweiten Abwassers ungeklärt in die Umwelt. Dadurch entsteht enormer Schaden, auch für die Gesundheit von Menschen. Welche Dimensionen das Problem hat, veranschaulicht eine aktuelle Studie von Manzoor Qadir. "Weltweit fallen derzeit 380 Milliarden Kubikmeter Abwasser pro Jahr an", meint der Umweltwissenschaftler der UNO gegenüber Deutschlandfunk. Das entspreche dem gesamten jährlichen Abfluss des Flusses Ganges.
Wegen der steigenden Weltbevölkerung, der zunehmenden Urbanisierung und höheren Lebensstandards werde das Abwasservolumen künftig weiter steigen. "Wir werden nicht umhinkommen, es weitestmöglich zu klären und die enthaltenen Nährstoffe stärker zu nutzen", erklärt Qadir. "Denn Abwasser verursacht zunehmend Umweltprobleme, weil es Gewässer, in denen es landet, verschmutzt und überdüngt."
Die weltweiten Gegensätze beim Recycling von Abwasser sind enorm. Im wohlhabenden Singapur wird das Wasser aus der Kanalisation etwa so intensiv behandelt, dass es am Ende wieder in die Trinkwasserspeicher des Landes eingespeist wird. In der nigerianischen 18-Millionen-Einwohner-Metropole Lagos landen nur zwei Prozent des Abwassers in Kläranlagen. Der Rest fließt ungefiltert ins Meer.