Wie Straßen lebenswerter werden können
Wie kann sichergestellt werden, dass jede Straße in Schweden im Jahr 2030 nachhaltig, gesund und voller Leben ist? Diese Frage steht im Zentrum eines Forschungsprojekts der schwedischen Innovationsagentur Vinnova, das mit einem neuen Ansatz versucht, gesellschaftliche Probleme unter Einbeziehung unterschiedlichster Perspektiven zielgerichtet zu lösen.
Der Umfang des Projekts ist enorm: Insgesamt umfasst das Straßennetz des skandinavischen Landes mehr als 40.000 Kilometer. Im städtischen Raum nehmen Straßen rund 25 Prozent der Fläche ein. Bestimmt werden sie vor allem vom Autoverkehr. Welche Änderungen und Anpassungen notwendig und möglich sind, um die schwedischen Straßen mit Leben und nicht nur mit Autos zu füllen, soll im Rahmen des Projekts „Street“ erforscht werden.
Wir haben uns gefragt, was auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene getan werden kann, um das Ziel zu erreichen, hieß es bei einer Diskussion zu dem Projekt bei einem Besuch einer Delegation des österreichischen Rats für Forschung und Technologieentwicklung im März bei der Forschungsagentur in Stockholm.
Umfangreicher Prozess
Seit 2019 wurden mit mehr als 500 Organisationen Workshops und Diskussionen durchgeführt. Schulkinder kamen im Rahmen der Konzeption des Forschungsprojekts ebenso zu Wort wie der schwedische Premierminister, Gemeindevertreter*innen, Bürger*innen sowie Forscher*innen aus unterschiedlichen Disziplinen.
Neben der Nutzung des öffentlichen Raums durch Anwohner*innen sind auch Lademöglichkeiten und Abstellplätze für Elektroautos und -Räder oder Anpassungen logistischer Prozesse, die Bepflanzung von Flächen aber auch gesetzliche Änderungen Thema bei dem Projekt.
Erste Feldversuche unter Einbeziehung der Bewohner wurden in ausgesuchten Straßen in den Städten Stockholm, Göteborg und Helsingborg bereits durchgeführt. Dabei wurden Stadtmöbel in der Größe eines Standardparkplatzes in die Straßen eingepasst. Je nach Bedarf können sie mit Sitzgelegenheiten, Kinderspielplätzen, Pflanzen, aber auch Fahrrad- oder Rollerhaltern oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge bestückt und auch miteinander verbunden werden.
Vor allem aber sollten die bewusst provisorisch gehaltenen Bausätze aus Kiefernholz einen Raum für die Stadtbewohner schaffen, um sich untereinander auszutauschen, nicht zuletzt auch über die Zukunft ihrer Straße.
"Konkrete Ansatzpunkte"
„Wir müssen globale Herausforderungen viel präziser angehen“, sagt Daniel Johansson, Analyst in der Abteilung für Innovationsmanagement bei Vinnova. Auf die Mobilität als Ganzes zu schauen, bringe wenig. Es brauche konkrete Ansatzpunkte. Dadurch würden Möglichkeiten für den Austausch unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure und das Einbringen verschiedener Perspektiven geschaffen. Wichtig sei es, sich auf ein gemeinsames Ziel zu verständigen.
Von diesem missionsorientierten Forschungsansatz, der auf die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato zurückgeht und der auch bereits bei zahlreichen Projekten in der EU zum Einsatz kommt, versprechen sich die Initiatoren des schwedischen „Straßen“-Projekts jedenfalls viel.
Hebelwirkung
Man verweist darauf, dass die Straße zum Hebel für gesellschaftliche Veränderungen werden könne. Denn mehr Grün auf den Straßen trage zum Wohlbefinden der Bewohner bei, auch die Biodiversität steige, der Handel werde belebt, die Instandhaltungskosten für die Infrastruktur würden hingegen sinken.
Auch das Entstehen neuer Mobilitätsformen und ein Umdenken in der Logistik werde gefördert. Straßen seien nicht nur mit jedem einzelnen Teil des Mobilitätssystems verbunden, sondern auch ein Ort, an dem viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse zusammenkommen.
Handbuch: Designing Missions
Vor kurzem wurde von Vinnova ein Handbuch veröffentlicht, das die Erfahrungen mit der missionsorientierten Herangehensweise ausführlich dokumentiert. „Designing Missions“, so der Titel des Kompendiums, steht auf der Webseite der Forschungsagentur zum Download bereit.
In Schweden knüpft man mit dem missionsorientierten Ansatz an eine langjährige Tradition an. Auch bereits beim Millionenprogramm der schwedischen Regierung, bei dem zwischen 1965 und 1975 eine Million Wohnungen gebaut wurden, und der Vision Zero, mit der die Anzahl der Verkehrstoten auf Null gebracht werden sollte, wurden Akteure aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen auf ein gemeinsames Ziel verpflichtet.
Erste Ergebnisse vielversprechend
Die ersten Feldversuche für das Straßenprojekt in Göteborg brachten jedenfalls vielversprechende Ergebnisse. Die Aktivität auf den Straßen nahm um 400 Prozent zu, 74 Prozent der Befragten zeigten sich zufrieden, obwohl der Initiative zahlreiche Parkplätze zum Opfer fielen, wie es aus der Forschungsagentur heißt.
Solche Projekte seien nicht einfach, heißt es in einem ersten Resümee. Es brauche viel Überzeugungsarbeit, vor allem aber brauche es eine gemeinsame Richtung, die eine systemübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht.
Disclaimer: Die Kosten für die Reise nach Stockholm wurden vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung übernommen.