M2 Bradley in der Ukraine

M2 Bradley in der Ukraine

© REUTERS / RFE/RL/SERHII NUZHNENKO

Militärtechnik

Ukrainischer Bradley gegen T-90: Videospiele halfen bei "unmöglichem" Sieg

Vorige Woche machte ein virales Video die Runde. Ein M2A2 Bradley lieferte sich in der Ukraine ein Duell mit einem T-90M – und gewann.

Ukrainische Medien feierten den Sieg als ein Beispiel für das Können und den Mut der ukrainische Soldat*innen. Nur so sei dieser „unmögliche“ Sieg zustande gekommen. Russische Militär-Blogger*innen sprachen zuerst von einem Fake, schossen sich dann aber auf die „Unfähigkeit“ der russischen Panzerbesatzung ein. Wie sonst könnte der modernste Kampfpanzer Russlands dieses Duell verloren haben?

Ungleiches Duell

Die Ukraine hat den M2 Bradley von den USA bekommen. Er ist ein Schützenpanzer, im englischen IFV genannt (Infantry Fighting Vehicle). Ein Schützenpanzer ist eine Mischung aus gepanzertem Truppentransporter und Kampffahrzeug. Er bringt die Truppen ins Gefecht und kann dann durch seine Bewaffnung Feuerunterstützung leisten.

Der M2A2 ODS Bradley, den die Ukraine bekommen hat, bietet 7 Soldat*innen Platz. Die Besatzung besteht aus bis zu weiteren 3 Soldat*innen. Die Hauptbewaffnung ist die M242 Bushmaster. Die 25mm-Kanone hat eine Standard-Feuerrate von 200 Schuss pro Minute, die effektive Reichweite wird mit 2.000 Metern angegeben.

Ihm gegenüber stand Russlands T-90M. Der Kampfpanzer ist dem Bradley sowohl bei der Panzerung als auch dem Geschütz haushoch überlegen. Er hat eine 125mm-Kanone, die mit modernen BK-27 panzerbrechenden Geschossen bis zu 800mm Panzerstahl durchschlagen kann. Selbst weniger potente 125mm-Geschosse würden einen Bradley ziemlich einfach knacken. Seine Panzerung kann lediglich 30mm-Geschossen standhalten.

Im Gegensatz dazu hat der T-90M, der für den Kampf mit anderen Panzern ausgelegt ist, eine kombinierte Schutzwirkung (Panzerung und reaktive Panzerung Kontakt-5) gegen panzerbrechende Geschosse von bis zu 1.550mm. Die modernen panzerbrechenden Geschosse des M2 Bradleys mit der Bezeichnung M919 haben aber nur eine Durchschlagskraft von etwa 70mm Panzerstahl.

Kommandant des M2 Bradley berichtet vom Kampf

Rüstungsexpert*innen haben zuvor spekuliert, wie der M2 Bradley dennoch gewinnen konnte. In einem Interview hat jetzt der Kommandant, der gleichzeitig Richtschütze des M2A2 war, diese Vermutungen bestätigt:

In dem Video wird der Soldat lediglich Serhiy genannt. Er ist erst im Dezember in die Ukraine zurückgekehrt, nachdem er sein Bradley-Training auf einem US-Stützpunkt in Deutschland absolviert hat. Er und sein Fahrer waren erst auf der zweiten gemeinsamen Mission, als sie dem T-90M begegnet sind. Ihre Aufgabe war, Infanteristen zu beschützen, die in einem Graben unter Beschuss von russischen Panzern gekommen sind.

„Ich kann gar nicht beschreiben, wie es ist, einen Kampfpanzer im Visier zu sehen“, sagt Serhiy: „Im Training dachte ich mir immer: Hoffentlich werde ich das nie erleben. Und dann passierte es. Und dann auch noch ziemlich nahe.“

Zweiter Bradley war am Kampf beteiligt

Er sagt, dass ein zweiter M2 Bradley zuerst den Kampf mit dem T-90M aufgenommen hat. „Aber das hat nicht funktioniert. Also haben wir unseren Mut gefasst und sind in den Kampf gegangen.“

Der zweite Bradley kann kurz in einem zweiten Video des Kampfes gesehen werden. Das Video ist zweigeteilt. Nach der kurzen Konfrontation wird gezeigt, wie sich der Turm des T-90M unkontrolliert dreht, er gegen einen Baum fährt und liegen bleibt. Eine Kamikaze-Drohne trifft den T-90M, danach flüchtet die Besatzung.

Nicht klar ist, was aus dem zweiten Bradley wurde. Auch ist fraglich, wieso keiner der beiden M2 die TOW-Raketen abgefeuert hat, die eigentlich zur Bekämpfung von Kampfpanzern gedacht sind. Möglich ist, dass diese bereits zuvor verschossen wurden oder der T-90M zu nahe war. Die TOW kann erst ab einer Entfernung von 65 Metern zum Ziel eingesetzt werden.

Erfahrung mit Videospielen half

Serhiy beschreibt, dass er zuerst die panzerbrechenden Geschosse auf den T-90M abgefeuert hat. Aber dann habe es ein Problem damit gegeben. Das wird nicht näher erläutert. Die M242 Bushmaster hat 2 Munitionszuführungen, um per Knopfdruck zwischen panzerbrechender und hochexplosiver Munition zu wechseln. Möglicherweise war die Zuführung der panzerbrechenden Munition blockiert oder einfach die Munition aufgebraucht.

Also wechselte Serhiy zur hochexplosiven Munition, die eigentlich nicht zur Bekämpfung von gepanzerten Fahrzeugen gedacht ist: „Und hier erinnerte ich mich plötzlich an meine Erfahrung aus Videospielen. Ich erinnerte mich, wie und wo ich den T-90M treffen musste. Ich musste ihn um jeden Preis stoppen.“

Welche Videospiele Serhiy gespielt hat, sagt er nicht. Es gibt aber einige Panzersimulationen, die relativ präzise Panzertypen und deren Schwachstellen darstellen, darunter etwa War Thunder:

Technischer Kill durch Zerstörung von Systemen

„Weil die panzerbrechenden Geschosse nicht zur Verfügung standen, begann ich ihn so blenden, damit er nicht abhauen konnte“, sagte Serhiy. Das bestätigt die Vermutung von Rüstungs-Expert*innen.

Die Hochexplosivgeschosse haben die Sichtinstrumente und Visiere des T-90M beschädigt oder zerstört. Dadurch hat die Besatzung des T-90M die Orientierung verloren, was den außer Kontrolle drehenden Turm und das Rammen des Baumes erklären würde. Das Außergefechtsetzen eines Panzers durch Zerstören von essenziellen Systemen wird als „technischer Kill“ bezeichnet.

Womöglich sind auch Splitter in den Innenraum des T-90M eingedrungen und haben die Crew verletzt oder Instrumente beschädigt. Das könnte Panik und die unkontrollierte Flucht ausgelöst haben, was aber nicht bestätigt werden kann.

25mm-Kanone gegen Kampfpanzer wird nicht trainiert

Rüstungs-Expert*innen betonen, dass es bei der US-Armee kein Szenario gibt, indem trainiert wird, mit der 25mm-Kanone des Bradleys einen Kampfpanzer anzugreifen. Dies würde nicht gemacht, damit die Besatzung sich nicht in falscher Sicherheit wiegt, so einen Kampfpanzer besiegen zu können. Stattdessen wird der Einsatz der TOW gegen Kampfpanzer geübt. Auch die Ukraine hat angeblich die TOW des M2 Bradleys schon erfolgreich gegen T-72 Kampfpanzer eingesetzt.

Den Rüstungs-Expert*innen zufolge sind hier 2 Faktoren für den „unmöglichen“ Sieg zusammenkommen. Die Besatzung des M2 Bradley blieb ruhig und wusste, wie die zur Verfügung stehenden Mittel bestmöglich genutzt werden können. Die Crew des T-90M war anscheinend nicht erfahren genug und geriet in Panik. Hier sei denkbar, dass Russland seine erfahrenen Panzerbesatzungen bereits zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine verloren hat.

Bereits 65 Bradleys verloren

So bemerkenswert dieses Duell ausgegangen ist: Die Ukraine hat bereits hohe Verluste erlitten. Laut der unabhängigen Beobachtergruppe Oryx wurden mindestens 65 M2A2 verloren. Insgesamt wurden der Ukraine die Lieferung von 190 Stück von den USA versprochen.

Im Gegensatz zu den M1A1 Kampfpanzern, die die Ukraine ebenfalls von den USA bekommen hat, sind die gelieferten Bradleys nicht eine allzu veraltete Version. Die M2A2 Bradley wurden ab 1988 produziert. Die erhaltenen M2A2 ODS wurden ab 1995 aufgerüstet, als Folge der Lehren aus Operation Desert Storm. Zu den Upgrades gehören ein elektronisches Freund-Feind-Erkennungssystem, GPS und ein verbessertes Sicht- und Zielsystem.

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Die neueste Version des M2 Bradleys ist der M2A4. Die ersten M2A4 wurden von der US-Armee im April 2022 in Dienst gestellt. Insgesamt wurden über 4.600 M2 Bradley für die US-Armee gebaut.

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