Ein Fairtrade-Gütesiegel für vernetzte Dinge
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Beim folgenden Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch "Hilfe, ich habe meine Privatsphäre aufgegeben! Wie uns Spielzeug, Apps, Sprachassistenten und Smart Homes überwachen und unsere Sicherheit gefährden" (Mit freundlicher Genehmigung des mitp Verlags).
"Vernetzung wird überall dort entstehen, wo sie einen wirklichen Nutzen für die Kunden mit sich bringt. Das wird man auch nicht aufhalten können", sagte ein CEO eines Mobilfunkunternehmens auf meine Frage, ob es wirklich gut ist, dass alles mit dem Internet und miteinander verbunden wird. Beim ersten Teil seiner Antwort wünschte ich mir, dass er recht behalten wird und die Dinge wieder vom Markt verschwinden werden, die die Menschheit nicht braucht. Dazu zähle ich etwa Baby-Windeln, die mit Sensoren ausgestattet sind, um festzustellen, ob eine Windel gewechselt werden muss. Für ältere Menschen, die etwa mit einer fortgeschrittenen Alzheimer-Erkrankung im Pflegeheim liegen, mag diese Erfindung allerdings durchaus nützlich sein.
Der zweite Part der Aussage, dieses "Das wird man nicht aufhalten können", stimmt mich nachdenklich. Natürlich will der Geschäftsführer eines Netzbetreibers, dass alles vernetzt wird. Aber was wollen wir eigentlich? Niemand will die Digitalisierung und die zunehmende Vernetzung von Dingen als Ganzes aufhalten. Aber wir müssen sie regulieren. Ohne Gesetze wird es nicht gehen. Und wir müssen wegkommen von dem Gedanken, "alles muss vernetzt werden, einfach deshalb, weil es geht und technisch möglich ist". Wir müssen uns dafür interessieren, was rund um uns geschieht, wir müssen Technologie gestalten, aktiv mitbestimmen und wir müssen sie, wie bereits erwähnt, regulieren. Das ist viel verlangt, aber keiner von Ihnen muss das alles allein tun.
Trustable Technology Mark
Einer, der versucht hat, neue Technologien zu regulieren und transparenter zu machen, ist Peter Bihr. Der Berliner hat etwa vor fünf Jahren things.com gegründet und ein "IoT-Gütesiegel" entwickelt, eine Art Nachhaltigkeitssiegel für IoT-Produkte. Das "Trustable Technology Mark" sollte so eine Art Fairtrade-Marker für vernetzte Konsumprodukte werden. Die Mozilla Foundation hatte die Entwicklung finanziell und inhaltlich unterstützt. Dazu wurden fünf Indikatoren für faire IoT-Produkte entwickelt: Privatsphäre, Transparenz, Sicherheit, Offenheit und Stabilität. "Läuft das Produkt stabil, wie privatsphärefreundlich ist es, was passiert, wenn die Firma pleite geht, und wie viel Lebenserwartung kann man sich von dem Gerät erwarten, waren die Grundfragen", sagte Bihr.
Das "IoT-Gütesiegel" basierte im Wesentlichen auf der Selbstauskunft der Firmen. Tests, ob die Angaben der Anbieter wirklich stimmen, wurden keine vorgenommen. "Das ist schwer und teuer, wenn man keine gesetzliche Verpflichtung hat. Warentests dieser Art klappen bei vernetzten Produkten nicht so gut, weil alles programmiert ist und wir das nicht nachprüfen können", erklärt Bihr. Aber man habe auch bei den Angaben der Unternehmen rasch erkennen können, wenn jemand nur das Siegel mitnehmen wollte, ohne den Kriterien zu entsprechen. "Die Selbstauskunft der Firmen haben wir veröffentlicht. Damit war es im Prinzip möglich, diese zu verklagen, wenn sich später herausstellt, dass ihre Angaben so nicht stimmen. Das ist es, was wir als Non-Profit-Organisation zu der Sache beitragen können. Wir mussten uns aber auf die Firmen verlassen. So betrachtet war es ein Zuckerbrot- Siegel, dass alles gut gemacht ist, mit der Peitsche, die im Raum steht, wenn es nicht so ist. Natürlich haben wir aber Plausibilitätschecks gemacht", erklärt Bihr mir im Gespräch.
Ich traf den Berliner im Videochat, denn das Projekt hat sich vielversprechend angehört. Ein Gütesiegel für Produkte wie vernetzte Einhörner: faires Spielzeug, bei dem man weiß, wo die Daten gespeichert werden, oder noch besser: dass sie nur lokal gespeichert und vom Besitzer jederzeit wieder gelöscht werden können. Oder: eine smarte Lampe, die auch dann noch funktioniert, wenn die Firma, die sie hergestellt hat, vielleicht schon in Konkurs gegangen ist.
Leider wenig erfolgreich
Das Projekt hörte sich absolut vielversprechend an und es war aus meiner Sicht genau das, was die Welt brauchte. Doch in der Praxis hat es sich leider nicht durchgesetzt. Es gab ein paar wenige Vorzeige-Firmen, die ihre Projekte einreichten, doch die meisten davon sind jetzt, Jahre später, entweder pleite, am Markt gescheitert oder an große Firmen verkauft. In Berlin war das etwa die vernetzte Puppe Wayca, die das Siegel bekam. Snips, ein Start-up aus Frankreich, wurde beispielsweise an Sonos verkauft.
"Einige der Firmen haben es nie geschafft, eine kritische Masse zu erreichen. Von unserer Seite aus war es außerdem schwer, auf Dauer Zeit reinzustecken, um genügend Produkte anzulocken. Das Projekt bräuchte bessere Prozesse, mehr Reichweite und Governance- Strukturen", sagt Bihr, der trotzdem erstaunt war über das fehlende Interesse bei Herstellern von Verbraucherprodukten. Auch andere Organisationen, die derartige Projekte in Angriff genommen hatten, hätten ähnliche Erfahrungen gemacht und viele seien deshalb umgeschwenkt. So gebe es nun etwa Design-Guidelines für offene IoT-Projekte anstatt Gütesiegel.
"IoT-Projekte sind nicht wie Bananen. Es ist zu kompliziert und offenbar können Hersteller mit Guidelines eher etwas anfangen", meint Bihr. Aus seiner Sicht gibt es nämlich viele Firmen, die "etwas richtig machen und digitale Rechte unterstützen möchten". "Auch wenn es härter ist und ein Produkt dadurch teurer wird. Das Problem ist, dass das Produkt dann im gleichen Regal steht wie die Mist-Produkte und Verbraucher das nicht unterscheiden können. Es ist dann schwer zu rechtfertigen, warum das eine Produkt teurer ist als das andere", so Bihr.
Das ist für viele Experten aus der IoT-Security-Branche auch das größte Problem. Nicht alle teilen den Optimismus von Bihr, sondern sehen eher schwarz. Markus Robin, Geschäftsführer von SEC Consult, spricht sich zwar auch für Sicherheitssiegel, also ein Gütesiegel für die IT-Sicherheit von smarten Geräten, aus, aber er warnt auch davor, dass Konsumenten häufig nicht bereit seien, einen höheren Preis dafür zu zahlen. Hersteller würden die Produkte heutzutage möglichst günstig und rasch auf den Markt bringen. Robin sieht daher eine Verpflichtung von Labels und Security-Standards als bessere Option gegenüber der freiwilligen Einführung.
Bihr hat aus dem "Trustable Technology Mark"-Projekt dennoch etwas gelernt: "Aus der Ecke von Smart-City-Projekten kam ein wahnsinnig großes Interesse. Zwar ist ein Gütesiegel in diesem Bereich schwer durchsetzbar, aber die Projekte sind mit ähnlichen Fragestellungen konfrontiert. Smart- City-Projekte haben Innovationsdruck und oft gibt es hier ein hohes Problembewusstsein, weil sie digitale Bürgerrechte schützen müssen", erklärt Bihr.
Das Buch "Hilfe, ich habe meine Privatsphäre aufgegeben" von futurezone-Redakteurin Barbara Wimmer erschien Mitte Dezember 2020 im mitp-Verlag. Es hat 272 Seiten und ist als E-Pub sowie als Print-Buch (klimaneutral gedruckt) mit der ISBN-Nummer 9783747501641 im gut sortierten Buchhandel erhältlich. Weitere Leseproben findet ihr hier (PDF).
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