Klimaproteste: Wie man mit Kleber die Mitte verschiebt
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Aktivist*innen von Organisationen wie der Letzten Generation, Extinction Rebellion oder Just Stop Oil, die friedlichen Protestformen wie Großdemos und Schildaktionen mit ihren Taktiken wie gewaltfreien Straßenblockaden eins drauf setzen, legen es nicht darauf an, als strahlende Vorbilder eine breite Bewegung hinter sich zu versammeln.
Sie wollen sich nicht beliebt machen, sondern setzen bewusst auf Polarisierung. Von der Aufmerksamkeit, die sie mit ihren unpopulären Aktionen generieren, können gemäßigte Fraktionen innerhalb derselben Bewegung profitieren, indem sie im direkten Vergleich als professioneller oder zumindest sympathischer wahrgenommen werden.
Radikale Flanken
Dadurch kann das gemeinsame Anliegen der Bewegung, nämlich die klimapolitische Kehrtwende, mehr Unterstützung und Legitimität erfahren. Radikale Flanken erzeugen Ränder und Extreme, um die öffentliche Wahrnehmung und den Diskurs über die Mitte zu verschieben, mit der man sich identifizieren oder eine Verhandlungsbasis finden kann.
Neben Klebeblockaden und Schütt-Aktionen erscheint Schulschwänzen plötzlich geradezu brav. Schnell wird vergessen, dass vor gar nicht so langer Zeit freitägliches Streiken statt die Schulbank zu drücken als radikaler Aufreger schlechthin diskutiert und von der politischen Konservativen aufs Schärfste verurteilt wurde, obligatorische Androhung härterer Strafen inklusive.
Das Schema ist nicht neu, es gilt für viele historische Bewegungen. Ohne den zivilen Ungehorsam der sehr diversen Gruppen der Anti-Atom-Bewegung wäre das AKW Zwentendorf heute in Betrieb und das Nein zu Atomkraft nicht breiter Konsens durch alle politischen Lager. Die radikale Flanke der Atomprotestbewegung setzte der damalige Kanzler Bruno Kreisky mit der Bezeichnung als „Baader-Meinhoff-Sympathisanten“ ebenso mit Terrorist*innen gleich, wie es heute die FPÖ mit Klima-Aktivist*innen der Letzten Generation tut.
Unterstützend oder kontraproduktiv?
Die Frage, ob polarisierende Proteste tatsächlich die öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen erhöhen können und welche Aktionstaktiken am effektivsten zum Handeln motivieren, untersuchte der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Dylan Budgen genauer. Er testete die Auswirkungen von drei Protestformen, nämlich friedlichen Märschen, zivilem Ungehorsam und gewalttätigen Aktionen. Im Experiment beantworteten die Studienteilnehmer*innen einen Fragebogen zu ihren Klimaüberzeugungen, jeweils bevor und nachdem sie eine kurze fiktive Nachricht über eine Klimaprotestaktion zu lesen bekamen. So sollte überprüft werden, ob und wie ihre Meinung dadurch beeinflusst wird.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sowohl ziviler Ungehorsam als auch friedliche Märsche die Unterstützung der Öffentlichkeit für die Klimabewegung erhöhen - allerdings beschränkt auf Gruppen, deren politische Einstellung zu den Demokraten oder Unabhängigen zählt und die an den menschgemachten Klimawandel glauben.
Republikaner*innen wurden von keiner Art von Protest beeinflusst. Vor allem spannend ist das Ergebnis, dass bei keiner der drei Parteigruppen ein nennenswerter Backfire-Effekt festzustellen war, egal durch welche Protestformen. Die häufig geäußerte Kritik an den „Klimakleber*innen“, ihr Protest sei kontraproduktiv und würde die Menschen eher vom Klimaschutz abstoßen als zum Mitmachen bewegen, wäre demnach unbegründet.
Extremste Form der Zerstörung
Gewaltfreier ziviler Ungehorsam und friedlicher Protest sind kein Widerspruch innerhalb sozialer Bewegungen, sondern ergänzen einander. Letztendlich sind es nicht die Protestformen, die der Klimabewegung schaden, sondern ausschließlich diejenigen, die weiterhin die Klimawende blockieren – denn die extremste Form der Zerstörung erleben wir nicht dadurch, dass Menschen sich an Rahmen von Kunstwerken oder Straßen festkleben, sondern durch die Folgen der Klimakrise.
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