Ein Millionstel Tod
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Um wie viel Geld würden wir uns unser Leben abkaufen lassen? Das ist eine dumme Frage. Keine Summe wäre hoch genug, denn wenn ich tot bin, habe ich nichts mehr von meinem Reichtum. Man kann die Frage aber etwas komplizierter stellen: Wie viel würden wir für ein Millionstel Tod verlangen? Angenommen ich soll eine einfache Aufgabe erledigen, die ein Sterberisiko von eins zu einer Million mit sich bringt. Für wie viel Geld wäre ich bereit dazu?
Ein Todesrisiko von eins zu einer Million bezeichnet man als „Mikromort“. Eigentlich klingt das recht harmlos. Es ist etwa das Risiko, das man auf sich nimmt, wenn man 200km mit dem Auto fährt. Wie viel Gefahrenzulage würde ich verlangen, um 200 km mit dem Auto zurückzulegen? Nicht viel. Zehn Euro? Statistisch gesehen habe ich somit ein Millionstel meines Lebens für zehn Euro verkauft. Hochgerechnet würde das bedeuten: Mir ist mein Leben zehn Millionen Euro wert.
Das ist natürlich so nicht ganz richtig. Man kann das nicht einfach so hochrechnen. So wäre ich etwa wohl nicht bereit, für die Hälfte dieser zehn Millionen ein Sterberisiko von 50 Prozent in Kauf zu nehmen.
Explodierende Zigaretten
Außerdem spielen psychologische Effekte eine wichtige Rolle. Ein Mikromort ist auch das Maß, mit dem man seine Sterbewahrscheinlichkeit durch das Rauchen von 1,4 Zigaretten erhöht. Das heißt: Statistisch gesehen ist ungefähr eine von 714.000 Zigaretten tödlich. Was wäre aber, wenn Zigarettenrauch völlig ungefährlich wäre, aber dafür eine von 714.000 Zigaretten eine tödliche Explosion verursachen würde? Die Zahl der Menschen, die am Rauchen sterben, wäre genauso hoch wie jetzt. Aber Zigarettenexplosionen würden sich irgendwie gefährlicher und tragischer anfühlen. Vermutlich würde kaum noch jemand rauchen wollen.
Das zeigt uns: Mein Leben, meine Gesundheit und mein Sterberisiko kann man nicht so einfach in Zahlen fassen. Für die eine ist es rational, mit Fallschirm von Felsklippen zu springen, weil sie das glücklich macht. Für den anderen ist es rational, Flugzeuge zu meiden, weil ihn beim Fliegen trotz des geringen Risikos das Angstbauchweh quält. Wir Menschen sind nun mal irrational. Und es wäre irrational, diese Irrationalität nicht anzuerkennen.
Statistik rettet Menschenleben
Das Komplizierte daran ist: Für politische Entscheidungen müssen wir trotzdem manchmal solche Risiken ganz kühl und trocken beziffern. Wir haben eine bestimmte Geldsumme zur Verfügung und wollen damit die Zahl der Verkehrstoten senken. Wie viele Mikromort sparen wir durch bessere Leitplanken? Oder größere Kurvenradien? Oder ein neues Ampelsystem?
Wenn es nicht um mein persönliches Leben geht, sondern um das Wohl einer großen Zahl, dann kommen wir an Statistik nicht vorbei: Ein Kohlekraftwerk kostet Jahr für Jahr Menschenleben. Sollen wir es schließen? Ein selbstfahrendes Auto verursacht einen tödlichen Unfall pro Milliarde gefahrener Kilometer. Ist das akzeptabel? Soll man eine Impfung empfehlen, die in Einzelfällen vielleicht schädliche Nebenwirkungen hat, aber insgesamt Menschenleben rettet?
Oft heißt es dann: Es ist doch zynisch, solche Fragen technokratisch in Zahlen zu verpacken! Tote sind doch keine Statistik! Hinter jedem einzelnen Fall steckt ein Schicksal! Und das ist natürlich völlig richtig. Aber wenn wir unsere Überlebenswahrscheinlichkeit maximieren wollen, brauchen wir manchmal einfach einen kühlen Blick auf nackte Zahlen.
Beides zu kombinieren fällt uns schwer – aber es ist notwendig. Ein Krankheits- oder Todesfall ist beides: Eine persönliche Tragödie und ein Datenpunkt in der Statistik. Beides müssen wir im Kopf behalten, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
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