„Meldet Fake News zu COVID-19 auf Social Media-Plattformen!“
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Philip N. Howard beschäftigt sich beruflich seit Jahren mit Desinformation. Er leitet am Oxford Internet Institute in Großbritannien das Projekt „Computational Propaganda“ und hat mit „Lie Machines“ ein Buch darüber geschrieben, wie sich politische Meinungsbildung in Europa in den vergangenen Jahren verändert hat.
Staatliche Propaganda habe im Laufe der Zeit stark zugenommen, auch in Demokratien, sagt Howard bei einem virtuellen Gespräch mit Journalisten aus Wien. „Nicht nur Russland versucht, mit Desinformation die Welt durcheinander zu bringen, sondern auch China, oder die USA.“ Auch in der aktuellen Pandemie würden staatliche Akteur*innen versuchen, das weltpolitische Meinungsklima zu beeinflussen, so der Experte. Und Desinformation passiere niemals zufällig, sondern finde immer sehr organisiert statt.
Merchandise von Impf-Gegner*innen
Die Treiber hinter der Desinformation hätten immer gewisse Interessen, seien es politische oder finanzielle. „Bei den Impf-Gegner*innen profitieren einige, wenige Unternehmen, die passenden Merchandise anbieten mit bestimmten Sprüchen auf T-Shirts“, sagt Howard als Beispiel.
Eine große Rolle bei der Verbreitung von Desinformation spielen Social-Media-Plattformen wie Facebook, TikTok oder Twitter. Zwar würden die Plattformen Fake News rund um COVID-19 mittlerweile recht gut erkennen und nach erfolgten Meldungen rasch löschen, so Howard, doch die Plattformen profitieren dennoch davon, ebenso wie die Impf-Gegner*innen. „Das Thema erzeugt Wut und generiert meist eine große Aufregung mit Diskussion. Dadurch landet es in kurzer Zeit bei viel mehr Menschen im News Feed als manch anderes Thema“, so der Oxford-Forscher.
Sputnik V wurde von RT beworben
Bei der Verbreitung von Desinformation rund um Corona seien die Impf-Gegner*innen die Gruppe, die am besten organisiert sei, so der Forscher. Doch auch staatliche Akteur*innen würden das Impf-Thema massiv besetzen, um etwa bestimmte COVID-19-Impfstoffe zu pushen und andere schlecht zu machen. Die englisch- und deutschsprachige Versionen von Russia Today (RT) würden den russischen Impfstoff Sputnik V enorm promoten, so der Oxford-Professor.
„Damit erreichen sie aber nicht nur Nutzer*innen in Russland, sondern quer verteilt über die ganze Welt. RT hat viele Follower*innen und zählt zu den größten Medien-Seiten, die Inhalte auf Englisch produzieren“, sagt Howard. Ob es auch Kampagnen von Impfstoff-Herstellern gegen andere Hersteller gegeben habe, wisse er jedoch nicht. "Das ist von außen schwer festzustellen", sagte er: "Möglich wäre so etwas aber."
COVID-19-Fake-News melden
„Meldet COVID-19-Fake-News auf Social-Media-Plattformen sofort. Das macht Sinn“, sagt Howard. Je mehr Menschen diese melden, desto früher würden diese gelöscht und desto weniger sichtbar werden die Inhalte. Bei Corona-Themen würden die Plattformen zudem bereits recht gut reagieren. „Das ist nicht bei allen Themen so. Bei Wahlen oder beim Klimawandel kriegen die Plattformen das weniger gut hin“, sagt Howard.
Für Desinformation genutzt würden übrigens alle Plattformen, die zur Verfügung stehen. Howard erzählt etwa von einem britischen Politiker, dessen Kampagnen-Manager*innen etwa Tinder dazu genutzt haben, um in Anbahnungsgesprächen immer wieder Themen und den Namen eines bestimmten Politikers einzustreuen, damit dieser vermehrt gewählt werde. „Wenn es um knappe Entscheidungen geht, kann das plötzlich relevant und wahlentscheidend werden“, sagt Howard.
Daten als entscheidendes Mittel
In Europa seien zwar viele Praktiken verboten, die in den USA möglich wären, aber dennoch gäbe es für Akteur*innen genügend Möglichkeiten, Meinungen im Netz zu beeinflussen. „Auch in Europa gibt es immer mehr Daten, die für intelligente Analysen zur Verfügung stehen. Es ist daher wichtig, den Menschen zu zeigen und zu erklären, wie ihre Daten verwendet werden, um sie damit zu manipulieren“, sagt Howard. Denn er sei grundsätzlich Optimist.
„Einen Kampf haben wir allerdings bereits verloren, und zwar den rund um unsere digitale Privatsphäre im Netz“, sagt der Oxford-Professor. „Ich glaube nicht, dass wir da den Status zurückerobern können, den wir einmal hatten. Wir können aber dafür sorgen, dass unsere Daten in Projekte fließen, die für die Zivilgesellschaft und das Gemeinwohl gut sind. Wir können die Zukunft beeinflussen,“ sagt Howard.
Nutzer*innen empfiehlt er, regelmäßig Falschmeldungen auf Social-Media-Diensten zu melden und Nachrichten erst dann weiterzuschicken, wenn man die Fakten überprüft habe. „Jeder sollte außerdem diverse Medien vom anderen Spektrum lesen“, so der Oxford-Professor. Damit bekomme man einen anderen Blickwinkel auf Dinge.
Veranstaltungs-Tipp
Philip N. Howard wird am Montag, 10. Mai 2021, die dreitätige Online-Konferenz „Digital, direkt, demokratisch? Technikfolgenabschätzung und die Zukunft der Demokratie“, organisiert vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit einer Keynote eröffnen. Die Teilnahme erfordert eine Anmeldung, ist kostenfrei möglich.
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