Netflix, Amazon, Google und Co. sollen beim Netzausbau mit zahlen. 

Netflix, Amazon, Google und Co. sollen beim Netzausbau in der EU mit zahlen. 

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Netzpolitik

Netflix soll für Internetausbau zahlen: Wer wirklich was davon hat

Man stelle sich vor, die Stadt Wien müsste der ASFINAG viel Geld zahlen. Und zwar weil Pendler*innen tagtäglich die Autobahn benützen. Ohne Wien gäbe es schließlich keine Pendler*innen, die durch ihre Wege die Fahrbahn abnutzen. Wien soll deshalb für den Straßenbau aufkommen, obwohl dafür ohnehin Pendler*innen mit dem Kauf einer Vignette bezahlen. 

Auf diesem Prinzip fußt auch das Argument hinter der sogenannten „Datenmaut“, ein Vorschlag der Netzbetreiber. Wer seine Lieblingsserie auf Netflix schauen möchte, bezahlt derzeit einen Telekomanbieter wie A1, Magenta oder Drei für eine funktionierende Internetverbindung. Netflix selbst zahlt nichts. Der europäische Telekomverband ETNO bittet Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft und Netflix daher zur Kasse.

Die Techriesen sollen Abgaben an Telekomkonzerne leisten und ihren „gerechten Anteil“ für den Netzausbau zahlen, so das Argument. Die Europäische Kommission zeigt sich dem Vorhaben gegenüber nicht abgeneigt. Konsument*innen könnten am Ende draufzahlen, warnen Expert*innen.

Telekom fordert Zahlung von „gerechtem Anteil“

Glasfaserkabel und 5G-Mobilfunk sollen das Internet künftig noch schneller machen. Das sei kostspielig, argumentiert die Telekom. Hinzu kommt, dass die Internetnutzung der EU-Bürger*innen in den vergangenen Jahren und im Zuge der Pandemie drastisch angezogen habe. Seit 2001 habe sie sich versiebzigfacht.

Die Kommission findet Gefallen an den Argumenten der Netzanbieter. Denn sie hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 alle EU-Haushalte mit Gigabit-Netz zu versorgen. Das kostet. Binnenmarktkommissar Thierry Breton, ehemals Geschäftsführer der französischen Telekom Orange, sagte im Mai, die EU müsse „die gerechte Vergütung der Netze neu organisieren“.

Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager schlägt mit ihrer Meinung in dieselbe Kerbe: Große Player würden zwar viel Datenverkehr verursachen und so Gewinne erzielen, „aber nicht wirklich dazu beitragen, den Verkehr zu ermöglichen“.

"Zahlen, bitte!": Margrethe Vestager und Thierry Breton liebäugeln mit einer Datenmaut.

Gegenwind von Techriesen

Das Vorhaben ist allerdings heikel, warnen unterschiedliche Lager, darunter naturgemäß betroffene Internetgiganten wie Google. Die Techunternehmen sagen, sie seien keine Trittbrettfahrer in der Netzinfrastruktur. Sie würden bereits einen Beitrag zum Ausbau leisten, zum Beispiel mit dem Bau von Rechenzentren.

Auch Christian Timmerer, Professor für Informationstechnik an der Universität Klagenfurt, unterstreicht diesen Aspekt: „Große Streaminganbieter wie Netflix haben in allen größeren Ballungszentren eigene CDN-Knoten, also Servernetzwerke in unmittelbarer Nähe der Nutzer*innen“. Diese würden bereits dafür sorgen, dass der Datentransit für den Netzanbieter möglichst gering ist, so der Streaming-Experte gegenüber der futurezone.

Netzaktivist*innen: „Verursacher zahlen bereits“

Auch Netzaktivist*innen, die für gewöhnlich den Techriesen Zügel anlegen wollen, sträuben sich gegen den Datenmautvorstoß von Telekom und EU. „Das Verursacherprinzip ist fehlerhaft“, sagt Thomas Lohninger von der NGO epicenter.works im Gespräch mit der futurezone. „Nutzer*innen schauen Videos bei Netflix an. Sie selbst sind die Verursacher und zahlen bereits für das Internet“, erklärt Lohninger. 

Vor allem in ihrer Umsetzung hinke die Datenmaut, da oft unklar sei, wem eine Datenabfrage genau zuzurechnen ist. Und letztlich seien es die Bürger*innen, die durch die Finger schauen, weil die Internetriesen dann mehr für Streaming verrechnen würden, um nicht auf den Kosten für die Datenmaut sitzenzubleiben. „In Österreich gibt es zum Beispiel viele E-Learning-Angebote, die auf der Azure-Cloud gehostet werden“, so Lohninger. Die Azure-Cloud ist ein Produkt von Microsoft. „Sollen jetzt die Angebote für die Schulen teurer werden, weil Microsoft hier zum Beispiel A1 für den Datenverkehr zahlen muss?“, stellt Lohninger in den Raum.

Netzneutralität in Gefahr

Paradoxerweise könnten Netzriesen wie Google, Amazon, Netflix und Co. aber auch von einer Datenmaut profitieren. Und zwar indem sie ihre Macht zementieren. Wer sich einen Internetzugang kauft, kann sich darauf verlassen, dass  jede Webseite gleich gut erreichbar ist. Wird eine Datenmaut eingeführt, könnten jene Konzerne, die mehr als andere zahlen, bessere Konditionen bei den Netzanbietern erhalten.

„Das bringt die Netzneutralität in Gefahr“, sagt Lohninger. „Die Kleinen werden in ihrer Fähigkeit zu konkurrieren beschränkt“. Die Kommission hält gegenüber der futurezone fest: „Die EU-Bestimmungen über die Netzneutralität abzuändern, stand nie zur Debatte.“ Eine Bevorzugung bestimmter Internetanbieter wäre nicht möglich.

Auch der Ausbau des Internet würde durch eine Datenmaut nicht beschleunigt werden, meint Lohninger. „Die Flaschenhälse des Netzausbaus sind nicht das Geld, sondern mangelnde Tiefbaukapazitäten und Genehmigungsverfahren.“ Hinzu komme, dass der Ausbau häufig von kleineren und nicht von großen Firmen vorangetrieben werden würde.

Derzeit haben nur 57 Prozent der österreichischen Bevölkerung einen potenziellen Breitbandanschluss. Der Ausbau wird kosten.

Wer davon profitiert

Ende September ist die Diskussion um die Datenmaut neu entflammt. Die EU-Netzregulierungsbehörden (BEREC) stellten dem Vorhaben in einem Bericht ein Armutszeugnis aus. Eine Abgabe könne zum Missbrauch der Marktmacht der Telekomunternehmen führen. Es gäbe zudem keinen Beweis, dass die Kosten für den Netzwerkausbau nicht bereits abgedeckt seien.

Das unterstreicht auch der Geschäftsführer der RTR, Klaus Steinmaurer. Als Vizevorsitzender von BEREC trage er den Bericht der Behörde mit. „Die Lösung, die jetzt auf dem Tisch liegt, können wir nicht unterstützen“, sagt Steinmaurer. Von ihr würden nur die großen EU-Netzbetreiber profitieren.

Und die stehen gut da: 2021 machte die Deutsche Telekom 4,16 Milliarden Euro Gewinn, bei Telefonica waren es sogar 8,1 Milliarden. „Der Worst Case wäre, dass Netflix teurer wird und die Geldbörsen der großen Netzbetreiber voller“, sagt der Telekom-Regulator. Denn Streaming- und Online-Anbieter würden die Kosten für die Datenmaut an ihre Kunden weitergeben.

Telekomanbieter argumentieren, dass sie nicht die einzigen Nutznießer einer solchen Datenmaut sind. Schließlich würde ein ausgebautes Netz ja neue Kund*innen bringen, die vorher ohne Glasfaser nicht Netflix schauen konnten. In erster Linie bringt der Netzausbau aber den Netzbetreibern neue Kund*innen. Zum Vergleich: Das teuerste Netflix-Abo für 4K-Streaming kostet 17,99 Euro monatlich. Der günstigste Glasfaser-Tarif kostet beispielsweise bei A1 39,90 Euro im Monat.

Klaus Steinmaurer (RTR) ist gegen den Vorschlag. Eine Datenmaut, die auch Konsument*innen Vorteile bringt, dürfe aber nicht abgeschrieben werden.

Erste Schritte bereits im Dezember

In den USA gäbe es laut Steinmaurer eine ähnliche Diskussion. Hier sollen alle Serviceprovider, darunter auch große Player, in einen Topf einzahlen, damit das Netz ausgebaut wird. Gegen eine solche Zahlung rege sich seitens der Techriesen wenig Widerstand, da das Geld zweckgebunden wäre – also ohne Umwege in den Ausbau des Internet fließe und nicht etwa in Dividenden und Vorstandsboni.

Trotz aller Einwände, plant die EU bald die übliche „Public Consultation“-Phase zu beginnen und alle beteiligten Parteien an einen Tisch zu holen. „Wir nehmen die verschiedenen Standpunkte und Argumente zur Kenntnis“, sagt ein EU-Kommissionssprecher gegenüber der futurezone. Auf einen konkreten Zeitpunkt wollte sich der Sprecher nicht festlegen.

Das Brüsseler Medium Euractive bestätigte allerdings auf Anfrage der futurezone, dass die Kommission bereits in der Vorweihnachtszeit mit ihren Datenmautkonsultationen beginnen könnte. In diesem Fall wäre ein konkreterer Entwurf Anfang 2023 zu erwarten.

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Lisa Pinggera

lisa_bingernda

Von 2021 bis 2023 bei futurezone. Erzählt am liebsten Geschichten über Kryptowährungen, FinTechs und die Klimakrise. Schreibt aber über alles, was erzählenswert ist.

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