Telegram

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© APA/AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Netzpolitik

Verschwörungsmythen: Warum man Telegram nicht einfach abdrehen kann

Telegram hat sich nicht erst seit dem Ukraine-Krieg zur Drehscheibe für die Verbreitung von Verschwörungsmythen und Fake News entwickelt. Auch bei der Corona-Krise stand die Plattform an erster Stelle, wenn es um Falschinformationen rund ums Impfen, oder Hassbotschaften gegen Politiker*innen ging. Zuletzt wurden Stimmen laut, den Dienst einfach abzudrehen. Doch geht das technisch und rechtlich überhaupt? Das haben wir uns angesehen.

Warum ist Telegram bei Verschwörungserzähler*innen so beliebt?
Der Messenger bietet die Möglichkeit, einzelne Gruppen und Kanäle zu bestimmten Themen zu abonnieren, sowohl öffentliche, als auch private. Durch die praktische Funktion der „Weiterleitung“ werden Interessierte auf diesem Weg auf immer mehr „Informationsquellen“ innerhalb des Messengers aufmerksam. Anders als bei Facebook oder Instagram bestimmen die Nutzer*innen völlig frei von Algorithmen selbst, was sie angezeigt bekommen. Die Nachrichten in den Gruppen werden chronologisch angezeigt, es gibt keine Algorithmen, die diese vorsortieren.

Wie finden Corona-Leugner*innen und Kriegs-Leugner*innen diese Channels?
Immer wieder werden von Freund*innen und Bekannten Bilder mit Sprüchen und Fotos geteilt, die einen Link zu Telegram-Gruppen beinhalten. Werden diese Bilder via WhatsApp oder auf Facebook, Instagram, TikTok oder Twitter geteilt, können Interessierte so die „richtige“ Telegram-Gruppe finden und dieser beitreten. So finden die Gruppen schnell neue Anhänger*innen und es können sich zudem rasch neue Gruppen verbreiten, wenn andere aufgelöst werden.

Was passiert in den Telegram-Gruppen?
Es werden dort etwa hetzerische Inhalte gegen Politiker*innen und Ärzt*innen geteilt, oder, im Fall des Ukraine-Kriegs, Propaganda-Videos von RT, die die Invasion Russlands in die Ukraine leugnen. Oft werden Links geteilt zu YouTube-Videos, die das Coronavirus oder den Krieg verharmlosen, und die „der Wahrheit auf der Spur“ sind.

Was plant die Politik dagegen zu tun?
In Deutschland gab es schon zu Hochzeiten der Pandemie Überlegungen, Telegram abzudrehen und den Messenger-Dienst gänzlich zu sperren. "Wir können das nicht per se ausschließen, ein Abschalten wäre sehr schwerwiegend und ganz klar Ultima Ratio", sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vor einigen Wochen.

In Österreich wurde hingegen von Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) laut überlegt, Telegram „strenger zu kontrollieren“. Sobotka wünscht sich auf EU-Ebene ein „Redaktionsprinzip“, das für den Messenger gelten soll. Dieser soll seiner „medienöffentlichen Verantwortung“ nachkommen und Inhalte von selbst kontrollieren und löschen.

Was tut Telegram gegen Verschwörungsmythen?
In der Hochphase der Pandemie haben die Betreiber*innen von Telegram versucht, sich dem Problem zu entziehen, in dem sie eine Adresse in Dubai angeführt haben, um Konflikten mit deutschen Gerichten zu entgehen. Behördenpost wurde ignoriert. Letztendlich hat Telegram in Deutschland 64 Kanäle von Corona-Leugner*innen gelöscht, darunter auch den des Verschwörungsideologen und Ex-Kochbuchautors Attila Hildmann.

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In Österreich gab es zahlreiche Demonstrationen gegen die Impfpflicht - viele davon wurden in Telegram-Gruppen verbreitet und organisiert

Was für eine Rolle spielt Telegram jetzt im Ukraine-Krieg?
Telegram-Gründer und Eigentümer Pawel Durow ist selbst Russe. Deshalb wurde vielerorts auch befürchtet, dass der Dienst in der Ukraine nicht sicher verwendet werden könne. Viele ukrainische Menschen wechselten deshalb zu Signal.

Durow hat sich vor wenigen Tagen nun in einem persönlichen Statement zu Wort gemeldet. Seine Mutter stamme aus Kiew und er habe viele Verwandte in der Ukraine. Er sei 2014 aus Russland geflohen, weil er vom Staat dazu gezwungen wurde, private Daten seines früheren sozialen Netzwerks zur Verfügung zu stellen, die gegen den prorussischen Präsidenten protestierten. Er hatte sich damals geweigert, diesen Befehl umzusetzen. Durow will Telegram während des Kriegs aufrecht erhalten, und laut eigenen Angaben nicht - oder so wenig wie möglich - eingreifen. Das bedeutet auch, dass Falschinformationen in den Gruppen weiter stehen bleiben.

Ist es wirklich als letzte Konsequenz möglich, Telegram einfach abzudrehen?
Nein. Und das hat rechtliche und technische Gründe. Telegram ist ein ganz normaler Messenger wie WhatsApp oder Signal und die überwiegende Kommunikation, die über Telegram stattfindet, ist rechtlich unbedenklich. Illegale hetzerische Inhalte und Fake News werden nur im geringen Ausmaß geteilt. Damit wäre das Sperren des Dienstes ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht der Meinungsfreiheit und hierzu gibt es eine gültige Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Diese besagt: Websites und andere Dienste können nur gesperrt werden, wenn sie „strukturell rechtswidrig“ seien. Das trifft auf Telegram nicht zu.

Ist es technisch überhaupt möglich, Telegram zu sperren?
Nein, auch das ist nicht möglich. Bei einem Dienst wie Telegram kann - anders als bei einer Website - nicht eine einzelne Domain gesperrt werden, sondern Telekom-Provider müssten die von Telegram verwendeten Server mit IP-Sperren blocken. Das ist technisch zwar möglich, aber dadurch gibt es eine Menge Kollateralschäden. Provider sperren dann nämlich nicht nur Telegram, sondern alle anderen Dienste, die von diesen Servern aus angeboten werden.

Telegram würde außerdem dann auf andere Server ausweichen. Das hat der Dienst ausgerechnet in Russland bereits 2018 gemacht, als dort mit IP-Sperren versucht wurde, gegen Telegram vorzugehen. Außerdem wurden damals auch zahlreiche völlig unbeteiligte Zahlungsdienste mitgesperrt. 2020 wurde die Anordnung der Sperre daher wieder aufgehoben und seither kann Telegram wieder ganz normal genutzt werden. Effektiv wären IP-Sperren außerdem auch nicht, weil Nutzer*innen diese technisch umgehen können.

Was sagen die Internet Service Provider dazu, die eine solche Sperre umsetzen müssten?
Harald Kapper vom Verein Internet Service Provider Austria (ISPA) lehnt im Gespräch mit der futurezone eine solche Blockade von Telegram klar ab: „Eine solche Sperre würde technisch bedeuten, dass auch völlig legale Internetdienste blockiert werden, soweit diese die gleiche Infrastruktur nutzen. Sinnvoller und wirksamer sind ohnehin die neuen Ansätze im Digital Services Act, die Telegram in Zukunft dazu verpflichten, Meldeverfahren für illegale Inhalte in öffentlichen Kanälen und Gruppen einzurichten. Darüber hinaus wäre die Sperre eines gesamten Kommunikationsdienstes wie Telegram aufgrund einzelner illegaler Inhalte unverhältnismäßig und würde die Meinungsfreiheit gefährden. Das lehnen wir klar ab - ganz davon abgesehen, dass es in Österreich auch keine passende Rechtsgrundlage für einen solchen Eingriff gibt.“

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Das Smartphone - und der Messenger Telegram - sind für viele Flüchtende der einzige Weg, mit der Familie in Kontakt zu bleiben

Was für rechtliche Möglichkeiten gibt es also, gegen Telegram vorzugehen?
Manche Verfassungsrechtler*innen in Deutschland meinen, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Deutschland auch für Telegram gilt. Die Betreiber*innen von Telegram selbst sehen das jedoch anders, weil derzeit keine Gewinne erwirtschaftet werden. Auch das Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPI-G) in Österreich, mit dem „Hass im Netz“ bekämpft werden soll, kann nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden, weil die dazu notwendigen Umsatzschwellen nicht erreicht werden. Jene Funktionen von Telegram, die der Individualkommunikation zuzuordnen sind, sind außerdem unabhängig vom erwirtschafteten Umsatz und nicht von der Definition des Gesetzes erfasst.

Liegt die Hoffnung also beim Digital Services Act (DSA), den die EU plant?
Beim Digital Services Act (DSA), der derzeit auf EU-Ebene verhandelt wird, sind öffentliche Kanäle und Gruppen von Telegram explizit von einem bestimmten Paragrafen erfasst, der vorsieht, dass unter anderem Meldeverfahren für illegale Inhalte eingerichtet und ein Vertreter innerhalb der EU benannt werden muss. Bei geschlossenen Gruppen, die auch gerne von Verschwörungserzähler*innen genutzt werden, gibt es dies jedoch nicht. Grundsätzlich wird sich außerdem erst zeigen, was passiert, wenn Telegram dieses Gesetz einfach ignoriert.

Was ist mit Sobotkas Vorschlag, dass Telegram die Inhalte selbst stärker kontrollieren soll?
Die Bürgerrechtsorganisation epicenter.works sieht diesen Vorschlag kritisch. Geschäftsführer Thomas Lohninger sagt dazu: „Die Vorschläge von Wolfgang Sobotka, ein "Redaktionsprinzip" für Online-Netzwerke einzuführen, sind realitätsfremd und gefährlich. Konkret bedeutet dieser Vorschlag das Internet, wie wir es kennen, aufzugeben und zu einem Kabelfernsehen zu machen, indem alle Inhalte von Sendungsverantwortlichen vorausgewählt werden. Das Mitmach-Internet ist mit einer Haftung für Nutzer*innen-generierte Inhalte unvereinbar. Außerdem widerspricht dieser Vorschlag dem derzeitigen Verhandlungsstand zum Digital Services Act und wäre auch mit dem aktuellen EU-Rechtsrahmen unvereinbar.“

Was ist also die Lösung?
Bisher muss man auf die freiwillige Kooperation von Telegram setzen. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist jedoch klar, dass Gründer Durow so wenig Eingriffe wie nur möglich freiwillig durchführen wird.

Langfristig bleibt zu hoffen, dass Telegram den Digital Services Act (DSA) ernst nimmt und sich dann, wenn dieser in Kraft tritt,  daran hält. Sollte das nicht der Fall sein, wird es auf eine Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit mit den einzelnen EU-Staaten hinauslaufen, in welchen der Diensteanbieter am Ende seinen Sitz hat. Abgesehen davon haben Ermittlungsbehörden auch jetzt bereits Gesetzesgrundlagen, Gruppen auf Telegram zu überwachen und zu ermitteln, wenn es um strafrechtlich relevante Inhalte geht. Wie mit den Verschwörungsmythen und Fake News, die über Telegram-Gruppen verbreitet werden, am Ende umgegangen wird, bleibt aber ein „politisches und kein technisches Problem“, wie Lohninger zusammenfasst.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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