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iPhone SE im Test: Uralt-Design zum Schnäppchen-Preis

Warum das Rad neu erfinden, wenn man mit Minimalaufwand Millionen weitere Geräte verkaufen kann? Das jedenfalls dürfte sich Apple bei seinem neuen Einsteigermodell iPhone SE (2. Generation) gedacht haben, das ein Aufguss des 2017 veröffentlichten iPhone 8 ist. Dafür punktet es beim Preis. Mit 479 Euro ist es mehr als 300 Euro billiger als das aktuelle iPhone 11 und kostet gar 670 Euro weniger als die Pro-Version.

Überholtes Design

Dass der Konzern, der sich gerne als Innovationsführer inszeniert, ein „neues“ Gerät  auf den Markt bringt, dessen Design fünfeinhalb Jahre alt ist, ist erstaunlich. Dass Apple wohl auch damit durchkommen wird, spricht für die Loyalität seiner Kunden, die Stärke der Marke und dafür, dass das ältere iPhone-Konzept mit breiten Display-Rändern für viele immer noch gut genug scheint.

Im Gegenteil: Die ältere Technologie mit Fingerprint-Homebutton erweist sich in der Corona-Krise gar als unerwarteter Segen. Denn während die Gesichtserkennung FaceID modernerer iPhones an den obligatorischen Gesichtsmasken scheitert, lässt sich das iPhone SE mit der bewährten TouchID-Technologie einfach per Finger entsperren.

Hochwertiges Material

Mit ein Grund, warum das neue iPhone SE im Apple-Portfolio überhaupt funktioniert und die Marke nicht beschädigt, ist die hochwertige Verarbeitung. Die Kombination von Glas und Aluminium, mikrometergenau ausgearbeitete Knöpfe und Aussparungen sowie das schlichte Design mit abgerundeten Kanten lassen das Gerät eben nicht wie ein Billig-Modell wirken.

Das von mir getestete schwarze Modell wirkt sogar eine Spur edler als das dunkelgraue iPhone 8, da der Rahmen dunkler ausfällt und die bislang sichtbaren Antennen-Einschübe fast verschwinden lässt. Das Gerät ist auch in Weiß und Rot erhältlich. Auch das Weiß wirkt Fotos zu urteilen weißer als beim iPhone 8. Die Vorderseite ist nun aber wie beim roten Modell in Schwarz gehalten.

Das führt zu dem auch vom iPhone 11 bekannten Phänomen, dass das Gerät nicht ganz aus einem Guss erscheint, sondern zusammengesetzt aus zwei Teilen - Hinterseite, Rahmen plus Vorderseite. Aus meiner Erfahrung mit einem weißen iPad sind die breiten Ränder oben und unten beim Display mit einer schwarzen Front allerdings weitaus weniger störend als wenn das gesamte Gehäuse weiß ist.

Angenehme Gehäusegröße

Wer ein altes iPhone SE gewohnt ist, muss sich mit dem etwas größeren Gehäuse anfreunden. Als Anhänger kleiner Geräte fiel mir der damalige Umstieg vom SE auf das iPhone 8 leicht. In der Tat empfinde ich die Größe des neuen SE als nahezu perfekten Kompromiss für ein im Alltag kompaktes, aber dennoch brauchbares Smartphone.

Dass Apple die günstigeren Modelle in der jeweils aktuellen Generation - sei es das iPhone 11 oder das iPhone Xr im Jahr davor - nur in einer großen Variante anbietet, hat mich seit jeher gestört. Abgesehen vom absurd hohen Preis für das iPhone X/Xs/11 Pro war das mit ein Grund, warum ich mir als Übergangslösung vor mehr als einem Jahr ein iPhone 8 angeschafft hatte. Mit dem iPhone SE gibt es im Portfolio zumindest weiterhin ein günstiges Gerät in dieser Größe.

Viel schneller als das iPhone 8

So wenig ambitioniert Apple bei der Entwicklung des iPhone SE sonst vorgegangen ist, hat es zumindest beim Prozessor nicht gespart. Mit dem A13 Bionic ist nämlich der schnelle Chip verbaut, der bisher Apples aktuellster iPhone-Generation vorbehalten war. Dieser verspricht zwar nur wenige neue Funktionen, wie etwa einen neuen Porträtmodus sowie eine intelligentere Belichtung beim Fotografieren.

Im direkten Vergleich zum sonst praktisch identen Vorgängermodell iPhone 8 macht sich die zusätzliche Leistung aber deutlich bemerkbar. Ein Neustart des iPhone SE dauerte im Test 20 Sekunden kürzer. Das iPhone 8 brauchte dafür doppelt so lang. Die Bearbeitung eines 30-sekündigen Videos war gar 60 Prozent schneller.

Vergleich iPhone SE - iPhone 8

Am drastischsten fiel die Leistungssteigerung bei der Installation von iOS 13.4.1 aus. So brauchte das iPhone 8 mit 11:39 Minuten genau 6 Minuten länger als das neue iPhone SE. Beim Öffnen von Apps fällt die Verbesserung weniger auf, insgesamt ist die Bedienung aber eine Spur flüssiger als beim iPhone 8.

Mehr RAM, ähnliche Akkuleistung

Vom neuen Chip und einem zusätzlichen Gigabyte RAM Speicher (3 GB statt 2GB) profitieren auch Spiele mit hohen Grafikanforderungen. Um wirklich viel Spaß beim Gamen zu haben, ist das Display aber eine Spur zu klein.

Was die Akkuleistung betrifft, kann das iPhone SE mit größeren Smartphones nicht mithalten, da aufgrund des kleineren Gehäuses auch eine kleinere Batterie verbaut ist. Einen ganzen Tag kommt man im Normalfall aber durch. Im Vergleich zum iPhone 8 konnte ich leichte Vorteile für das SE bemerken, die dem energieeffizienteren A13 geschuldet sein dürften. Ein Riesensprung ist das aber nicht.

Kamera nur am Tag top

Fotos und Videoaufnahmen bis 4K-Auflösung macht das iPhone SE wie bisher in ansehnlicher Qualität, auch wenn Apple großteils auf Komponenten des iPhone 7 aus dem Jahr 2016 zurückgreift. Verzichten muss man leider auf den im iPhone 11 eingeführten Nachtmodus – bei Aufnahmen mit wenig Licht sind die Ergebnisse mit dem iPhone SE folglich wenig berauschend.

Dass der neue Chip und die leistungsstärkere Software für bessere Bilder als beim iPhone 8 sorgen sollen, kann ich nach dem Test nicht bestätigen. Eine Verbesserung bei Videoaufnahmen ist, dass der Klang nun in Stereo aufgezeichnet wird. Der fehlende Nachtmodus, aber auch der Verzicht auf bessere Kameras sind eine vergebene Chance, die mich persönlich am meisten enttäuscht.

Fazit: Gutes Billig-iPhone, aber...

Mit dem neuen iPhone SE hat Apple ein Einsteigermodell auf den Markt gebracht, das durch den günstigen Preis und die hochwertige Verarbeitung viele ansprechen wird. Wer ein älteres iPhone 7 oder darunter besitzt und auf neueste Kameratechnologien sowie ein rahmenloses Display verzichten kann, kann bedenkenlos zugreifen. Für iPhone-8-Nutzer lohnt sich der Umstieg hingegen nicht.  

Um für die kommenden Jahre gerüstet zu sein und genügend Platz für hochauflösende 4K-Videoaufnahmen zu haben, sollte man aber unbedingt 50 Euro mehr für den doppelten Speicher von 128 Gigabyte investieren. Für 256 Gigabyte verlangt Apple schon 649 Euro. Ein wirkliches Schnäppchen ist das Gerät dann aber nicht mehr.

Als Tech-Fanboy und jahrelanger iPhone-Nutzer bin ich hinsichtlich des iPhone SE zwiegespalten. Auch fünfeinhalb Jahre später muss sich Apple mit dem beim iPhone 6 eingeführten Gerätedesign nicht schämen. Angesichts der hochwertigen Materialien und der tadellosen Verarbeitung lässt auch der Preis wenig zu wünschen übrig.

Dass das iPhone SE allerdings das beste ist, was Apple mit seinen endlos scheinenden Ressourcen - allein 2019 gab der Konzern über 16 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung aus - für ein Einsteigermodell zusammenbringt, ist ein Stück weit auch enttäuschend. Angesichts des eigenen Anspruchs der technologischen und kreativen Marktführerschaft ist das einfach nicht gut genug.

Disclaimer: Das iPhone SE wurde uns für einen begrenzten Zeitraum freundlicherweise von A1 zur Verfügung gestellt.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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Martin Jan Stepanek

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