Kindle Scribe im Test: Weder Fisch noch Fleisch
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Im September präsentierte Amazon mit dem Kindle Scribe erstmals einen E-Reader, auf dem mit einem Eingabestift auch handschriftlich Notizen gemacht werden können. Ab heute, Mittwoch, ist der Kindle Scribe samt Stift ab 373 Euro über die Amazon-Website erhältlich.
Wir haben ihn getestet und sind der Frage nachgegangen, für wen das Gerät, das auch als elektronisches Notizbuch genutzt werden kann, geeignet ist.
Pro & Contra
Pro
- Einfache intuitive Bedienung
- Gestochen scharfe Darstellung
- Ablenkungsfreies arbeiten und lesen
Contra
- Mit 373 Euro ist das Gerät ziemlich teuer
- Schwer und wegen der Größe unhandlich
- Schreiben wie am Papier ist eher Wunschdenken
- Gegenüber der Konkurrenz eingeschränkte Funktionen
Ausgeliefert wird der Kindle Scribe wahlweise mit Premium- oder Standard-Eingabestift. Die Premiumversion verfügt über einen Radierer auf der Oberseite, daneben kann ein Button auf der Seite des Stiftes als Shortcut zu einer frei wählbaren Funktion genutzt werden. Der Preisunterschied zwischen Standard- und Premiumversion beträgt 30 Euro.
Größer und besser
Der E-Reader selbst lässt sich im Vergleich zu anderen Kindle-Modellen am ehesten mit "größer und besser" beschreiben. Mit Maßen von 229x196x5,8 Millimeter ist er fast eineinhalb Mal so groß, aber deutlich dünner als der kleinste Kindle (157,8x108,6x8 mm). Mit einem Gewicht von 433 Gramm ist er auch fast dreimal so schwer wie das Einsteiger*innenmodell (158g).
Wesentlich größer ist auch das schwarzweiße E-Ink-Display, das eine Diagonale von 10,2 Zoll aufweist (so groß wie das 2021er iPad) und den Kindle Oasis und Paperwhite, die über einen 6,8 Zoll großen Bildschirm verfügen sowie den Kindle (6 Zoll) weit hinter sich lässt. Wie auch die anderen aktuellen Kindle-Geräte löst es mit 300 ppi auf.
Zur Frontbeleuchtung stehen 35 LEDs zur Verfügung, beim nächstgrößeren Kindle-Modell, dem Oasis, sind es im Vergleich dazu 25, beim Paperwhite 17, beim kleinsten Kindle nur 4.
Angeboten wird der Scribe mit einem Speicherplatz von 16, 32 oder 64 GB in der Farbe Anthrazit. Wasserfest ist er nicht. Die Konnektivität wird über WLAN hergestellt. Über eine optionale Mobilfunkverbindung, wie der Kindle Oasis, verfügt er nicht. Aufgeladen werden kann das Gerät mit einem USB-C-Ladekabel, das ebenso wie 5 Austauschspitzen für den Stift im Lieferumfang enthalten ist.
Klobig
Nimmt man den Kindle Scribe in die Hand, ist man zunächst über das Gewicht des Geräts erstaunt. Er fühlt sich genauso schwer an, wie ein iPad Pro und ist es auch fast. Ihn mit einer Hand zu halten ist, über einen längeren Zeitraum eher mühsam. Will man den Scribe also vorwiegend zum entspannten Lesen am Sofa verwenden, ist das definitiv ein Nachteil.
Die Darstellung am hochauflösenden E-Ink-Display ist gestochen scharf und hebt sich dank der besseren Frontbeleuchtung von der auch schon sehr guten Darstellung anderer Kindles ab. Die Farbtemperatur kann verändert werden und passt sich optional der jeweiligen Tages- und Nachtzeit automatisch an. Neben einer Standard-Displaygröße, kann auch die Option "Groß" gewählt werden, die Texte und Bilder an wesentlichen Stellen vergrößern soll. Der Unterschied ist in der Praxis nicht immer leicht auszumachen.
Aber wie schreibt es sich am Kindle Scribe?
Der Eingabestift, mir wurde zum Test die Premium-Version zur Verfügung gestellt, liegt gut in der Hand. Mit einem Gewicht von etwas mehr als 14 Gramm, ist er um mehr als ein Viertel leichter als etwa der Apple Pencil. Vom Gefühl her unterscheidet er sich kaum von herkömmlichen Schreibgeräten.
Er kann magnetisch an der Seite des Geräts befestigt oder in eine Schlaufe in der Hülle untergebracht werden. Um zu funktionieren benötigt er keinen Strom. Er muss also nicht aufgeladen werden.
Der Eingabestift kann zum Markieren von Texten, als Schreibstift und als Radiergummi verwendet werden. Mit einer zusätzlichen Zeigefunktion kann mit ihm auch festgelegt werden, wo in Texten Haftnotizen angebracht werden sollen.
Um die Funktionen zu nutzen, scheint auf den einzelnen Seiten der E-Books links eine neue Funktionsleiste auf. Über sie können die Funktionen des Stifts ausgewählt und geändert werden. Drückt man etwa auf das Notizsymbol kann ein Punkt in dem Text gewählt werden, an dem die Haftnotiz angebracht werden soll.
Danach kann man zwischen handschriftlicher Notiz und Textnotiz wählen. "Textnotizen" können - wie auch schon bisher - mit der virtuellen Tastatur eingegeben werden. Will man seine Anmerkungen handschriftlich anbringen, steht dazu die Schreibfunktion mit 5 Stiftstärken - von fein bis sehr dick - zur Verfügung.
Alternativ dazu gibt es den Textmarker, ebenfalls in 5 Stärken, sowie die Radier-Funktion, mit der die Eingaben gelöscht werden können.
Die jeweils letzte Eingabe lässt sich auch mit dem Zurück-Symbol in der Funktionsleiste entfernen.
Premium-Version mit Shortcut
In der 30 Euro teureren Premium-Version des Stiftes findet sich an der Oberseite ein Radierer, mit dem ebenso gelöscht werden kann. Sie beinhaltet auch einen frei belegbaren Button, der als Shortcut zu einer der 4 Funktionen (Stift, Marker, Radierer, Haftnotiz) genutzt werden kann. (Festlegen lässt sich das in den Geräteinstellungen des Kindle Scribe unter dem Menüpunkt "Stift" und danach "Stift-Kurzbefehle".)
Das alles funktioniert ganz wunderbar, weitgehend intuitiv und ohne Probleme. Mit dem Schreiben auf Papier kann man die handschriftlichen Eingaben aber nicht vergleichen. Der Unterschied ist, wollte man es bösartig ausdrücken, mindestens genauso groß wie ein Amazon-Lieferzentrum.
Das Schreiben selbst fühlt sich steril an. Drückt man etwas fester auf, hört man ein leichtes Schabegeräusch. Der Druck übersetzt sich auch nicht, wie etwa bei der jüngsten Version des Apple Pencils, auf die Strichstärke und Farbnuance. Nuancen lassen sich ausschließlich über die unterschiedlichen Stiftstärken im Funktionsmenü erzielen. Es ist - man kann es nicht anders nennen - eine eher lustlose Angelegenheit.
Elektronische Notizbücher
Notizen können aber nicht nur in E-Books oder Dokumenten gemacht werden. Der Kindle Scribe bietet auch die Möglichkeit eigene Notizbücher zu erstellen. Ein entsprechendes Symbol findet sich auf der Startseite in der Hauptfunktionsleiste des Geräts am oberen Bildschirmrand, zwischen Suche und Einkaufswagerl.
Zum Erstellen eines Notizbuches kann aus zahlreichen Vorlagen ausgewählt werden, die von liniert, liniert mit Seitenleiste, bis zu Kalenderseiten, Check-Listen, Notenblättern oder Tabellen reichen und die auf vielfältige Art und Weise - vom Tagebuchschreiben bis zum Erstellen von To-Do-Listen - genutzt werden können. An der Trostlosigkeit des elektronischen Schreibvorgangs ändert das aber nur wenig.
Über eine Handschriftenerkennung, die das Geschriebene optional auch in digitalen Text umwandelt, verfügt die Scribe-Software leider nicht.
Gespeichert werden die Notizbücher sowie Änderungen und Aktualisierungen automatisch. Zu finden sind sie nach dem Schließen in der "Zuletzt aufgerufen"-Leiste auf der Startseite des Geräts oder auf der am Kindle Scribe erweiterten Menüleiste am unteren Rand der Startseite unter dem Menüpunkt "Notizbücher".
Neben E-Books können am Scribe auch Word-Dokumente und PDFs annotiert werden. Die können ebenso wie Dateien des Typs TXT, RTF, HTM, HTML, PNG, GIF, JPG, JPEG, BMP und mit Einschränkungen EPUB über die "An Kindle senden"-Funktion an das Gerät geschickt werden. Dazu muss man einfach an die in den Geräteeinstellungen angegebene E-Mail-Adresse das entsprechende Dokument senden.
Alternativ dazu wartet Amazon auch mit der neuen "An Kindle senden für Web"-Funktion auf. Über sie können, vorausgesetzt man ist über den selben Account wie am Scribe angemeldet, Dateien per Drag-and-drop einfach in ein Eingabefenster geschoben werden können. Danach werden Sie am Gerät angezeigt und können aus der Cloud heruntergeladen werden. Die maximale Dateigröße beträgt dabei 200 MB. Daneben können Dateien bei installierter Kindle-App auch über iOS und Android in die Cloud bzw. auf das Gerät transferiert werden.
Während etwa Word-Dokumente ebenso wie Kindle E-Books lediglich mit Haftnotizen versehen werden können, kann auf PDFs direkt auf die Oberfläche geschrieben werden. Das macht wesentlich mehr Spaß als das Hantieren mit den fußnotenähnlichen Haftnotizen.
Damit lassen sich etwa auch direkt in Bildern Anmerkungen anbringen. Bei E-Books ist das nicht möglich. Anmerkungen zu Bildern oder Grafiken werden bei elektronischen Büchern und auch Word-Dokumenten immer in einer am oberen Bildrand platzierten Haftnotiz gesammelt.
Auch auf anderen Geräten verfügbar
Die Notizbücher werden in der Cloud gespeichert und auch andere Geräte übertragen. Über die Kindle-App für iOS oder Android können sie ebenso abgerufen werden. Zu finden sind sie über den Menüpunkt "Mehr" in den Kindle-Apps unter "Notizbüchern". Bearbeitet werden können die Notizbücher auf den Geräten allerdings nicht.
Makelloser E-Book-Reader
Als E-Book-Reader ist der Kindle Scribe zwar wuchtig, lässt aber kaum Wünsche offen. Er kann alles, was auch das Flaggschiff-Modell Oasis kann und noch viel mehr, die Darstellung wirkt - wohl auch wegen der höheren Anzahl der Frontlicht-LEDs schärfer und besser.
Lange Akkulaufzeit
Der Akku hält nach Angaben des Herstellers bei einer täglichen Nutzung von 30 Minuten wie auch bei anderen Kindle-E-Readern mehrere Wochen. Überprüft werden konnte dies beim Test nicht. Der Akkuverbrauch während des Testzeitraums und die Erfahrungen mit anderen Kindle-Geräten lassen das aber plausibel erscheinen.
Für wen eignet sich der Kindle Scribe?
Die Frage, für wen sich der Kindle Scribe eignet ist nicht so einfach zu beantworten. Das Gerät ist in gewisser Weise weder Fisch noch Fleisch. Als E-Book-Reader, den man für die Lektüre in der U-Bahn oder im Kaffeehaus in der Jackentasche mitnimmt, ist er zu groß und zu schwer. Allenfalls als Coffeetable-E-Book könnte er eine gute Figur machen. Zur Verwendung im professionellem, universitärem oder schulischem Umfeld, etwa zum Überarbeiten von Dateien, zum Vertiefen von Inhalten oder für Notizen ist er zwar gut zu gebrauchen. Die Konkurrenz ist ihm in vielen Belangen aber weit voraus.
Der remarkable 2 - ebenfalls mit E-Ink-Display - verfügt etwa über eine Handschriftenerkennungsfunktion, die handgeschriebene Notizen in digitalen Text umwandelt und damit auch durchsuchbar macht. Das geht beim Kindle Scribe schmerzlich ab. Auch das nahtlose Arbeiten an mehreren Geräten hat remarkable mit seiner App besser gelöst. Am Kindle Scribe angelegte Notizbücher können zwar auch über die Kindle iOS- und Android-Apps abgerufen werden. Bearbeitet werden können sie auf den Geräten aber nicht.
Tablets, die wie das iPad und das iPad Pro mit dem Apple-Stift ebenfalls zunehmend zu Arbeitsgeräten werden, können nicht nur mit schärferen und auch farbigen Displays punkten. Im Fall des iPads können sie auch mit elaborierteren Eingabestiften aufwarten, die etwa unterschiedlichen Druck in Strichstärken übersetzen.
Keine Ablenkung
Geräte wie der Kindle Scribe können bestenfalls mit dem ablenkungsfreien Arbeiten und Lesen punkten, da der Zugang zu Social-Media-Diensten oder E-Mail-Programmen nur umständlich über den in den Einstellungen versteckten Webbrowser möglich ist. Von Chat-Programmen bleibt man am Scribe - wie auch auf allen anderen Kindle-E-Readern gänzlich verschont. Das gilt allerdings auch für das Schreiben auf Papier, das darüber hinaus auch weit mehr Spaß macht als das sterile Gekritzel auf einem E-Ink-Bildschirm.
Amazon hatte vor mittlerweile fast 13 Jahren bereits einmal einen mit 9,7 Zoll Bildschirmdiagonale ähnlich großen E-Reader im Programm. Der Kindle DX, der für die Lektüre von Fachbüchern und Zeitungsartikeln konzipiert war, verfügte zwar über keine Handschriftfunktion, war aber mit einer physischen Tastatur ausgestattet. Nach nur wenigen Jahren wurde er sang- und klanglos eingestellt.
Fazit
Mit 373 Euro für die günstigste Variante (16 GB, Standard-Stift) und 454 Euro für die teuerste (64 GB, Premium-Stift) ist der Scribe der mit Abstand teuerste Kindle E-Reader. Allerdings auch der einzige, auf dem man mit der Hand schreiben kann.
Als E-Reader spielt der Kindle - wie auch von den anderen Kindle-Readern gewohnt - alle Stückl und zählt sicherlich zu den besten am Markt. Wer aber einen Kindle-E-Reader sucht, ist mit dem hervorragenden Paperwhite (ab rund 130 Euro) und dem Luxusgerät Oasis (ab rund 230 Euro) bestens bedient. Auch die Konkurrenz von Tolino oder Pocketbook haben in allen Preissegmenten gute Geräte im Programm, die im Gegensatz zum Kindle auch das wesentlich offenere EPUB-Format unterstützen.
Wer für seinen Job oder sein Studium Dokumente annotieren bzw. überarbeiten muss, mit Fachliteratur zu tun hat oder gerne virtuelle Notizen führt, fährt je nach Intensität und Anwendungsgebiet mit vergleichbaren Programmen auf Smartphones und Tablets oder dem E-Ink-Gerät remarkable 2 wahrscheinlich besser. Das kostet inklusive Stift zwar ab knapp 430 Euro mehr als der Kindle Scribe, ist aber speziell auf den professionellen Gebrauch zugeschnitten.
Der Kindle Scribe laviert irgendwo zwischen Beruf und Freizeit herum. Er versucht die beiden Bereiche unter einen Hut zu bringen. Aber auch im Bücherregal stehen Stephen-King-Romane, E.L.James-Softporno-Reißer und Tagebücher selten mit Geschäftsberichten, Spreadsheet-Ausdrucken, Akten oder wissenschaftlichen Arbeiten nebeneinander. Wegen seiner Größe taugt der Scribe als elektronische Buchalternative auch nur bedingt. Als elektronisches Notizbuch fehlen ihm umgekehrt noch wirklich überzeugende Funktionen. Wer mit der Hand schreiben will, wird mit Papier wahrscheinlich glücklicher werden.
Technische Spezifikationen
Kindle Scribe
- Maße und Gewicht: 196x229x5,8 Millimeter, 433 Gramm
- Display: 10,2-Zoll-Paperwhite-Bildschirm mit integriertem Licht, 300 ppi
- Speicher: 16,32,64 GB
- Maße und Gewicht Eingabestift: 161,8x8,4 Millimeter, 14,2 Gramm (Standard), 15,1 Gramm (Premium)
- Unterstützte Formate: Kindle Format 8 (AZW3), Kindle (AZW), TXT, PDF, ungeschützte MOBI, PRC nativ; HTML, DOC, DOCX, JPEG, GIF, PNG, PMP, EPUB nach Konvertierung; Audible-Audioformat (AAX)
- Konnektivität: WLAN 802.11b/g/n
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