Ein Kind macht Yoga.

Schon Kinder können einen Nutzen aus Achtsamkeitstrainings ziehen.

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Science

Stress bei Kindern: Helfen Achtsamkeits-Apps oder Hörbücher besser?

Sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, den inneren Fokus auf die Gegenwart lenken, störende Gedanken unkommentiert vorbeiziehen lassen: Dass Achtsamkeitstraining Jung und Alt etwas bringt, haben schon mehrere Studien belegt. Die Übungen fördern das Wohlbefinden, die psychische und sogar die körperliche Gesundheit. Kinder, die in der Schule Achtsamkeitstraining machen, sind aufmerksamer und emotional stabiler

Als im Jahr 2020 die Covid-19-Pandemie begann und Millionen Schüler*innen ins Homeschooling verbannt wurden, fragte sich eine Gruppe von MIT-Forscher*innen, ob App-basierte Achtsamkeitsübungen ähnliche Vorteile bieten können. In ihrer in den Jahren 2020 und 2021 durchgeführten Studie berichten sie, dass Kinder, die zu Hause 40 Tage lang eine Achtsamkeits-App nutzten, mehrfach positive Effekte zeigten. Darunter eine Verringerung von Stress und negativen Emotionen wie Einsamkeit und Angst.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass App-basiertes Achtsamkeitstraining aus der Ferne - das potenziell eine größere Anzahl von Kindern erreichen könnte als schulbasierte Ansätze - Vorteile für die psychische Gesundheit bieten könnte, sagen die Forscher*innen.

Kinder waren widerstandsfähiger gegenüber Herausforderungen der Pandemie

"Es gibt immer mehr und überzeugende wissenschaftliche Beweise dafür, dass Achtsamkeit das psychische Wohlbefinden unterstützen und die psychische Gesundheit bei unterschiedlichen Kindern und Erwachsenen fördern kann", sagt John Gabrieli, Professor für Gehirn- und Kognitionswissenschaften am MIT und leitender Autor der Studie, die diese Woche in der Fachzeitschrift Mindfulness erscheint.

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Forscher*innen in Gabrielis Labor berichteten kürzlich auch, dass Kinder, die ein höheres Maß an Achtsamkeit zeigten, emotional widerstandsfähiger gegenüber den negativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie waren. "Bis zu einem gewissen Grad liegen die Auswirkungen von Covid außerhalb unserer Kontrolle als Einzelpersonen, aber Achtsamkeit kann bei der Fähigkeit helfen, auf die Situation zu reagieren", sagt MIT-Doktorand Isaac Treves, der an beiden Studien beteiligt war.

Fragen zu Schuldgefühlen, Ängsten und Stress

In der Studie, die im Juli in der Fachzeitschrift PLOS One erschien, untersuchten die Forscher*innen nach der Beginn der Pandemie Anfang 2020, ob Achtsamkeit die Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber negativen Emotionen wie Frustration und Einsamkeit stärken könnte.

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Bei der Arbeit mit Schüler*innen im Alter zwischen 8 und 10 Jahren wurde die Achtsamkeit der Kinder mithilfe eines standardisierten Verfahrens gemessen: Erfasst wurde vor etwa ihre Tendenz, sich selbst die Schuld zu geben, über negative Gedanken nachzudenken und Gefühle zu unterdrücken.

Die Forscher*innen stellten den Kindern auch Fragen dazu, wie sehr sich die Pandemie auf verschiedene Aspekte ihres Lebens ausgewirkt hat. Dazu kamen Fragen, die darauf abzielten, das Ausmaß ihrer Ängste, Depressionen, Stress und negativen Emotionen wie Sorgen oder Furcht einzuschätzen.

Je geringer die Achtsamkeit, desto eher gab es negative Emotionen

Bei den Kindern, die das höchste Maß an Achtsamkeit zeigten, gab es keinen Zusammenhang zwischen der Auswirkung der Pandemie auf negative Gefühle. Bei Kindern mit geringerer Achtsamkeit bestand jedoch ein starker Zusammenhang zwischen den Auswirkungen von Covid-19 und negativen Emotionen.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder mit einem höheren Grad an Achtsamkeit weniger dazu neigten, sich in negative Emotionen zu verwickeln oder sich selbst die Schuld für die negativen Dinge zu geben, die sie während der Pandemie erlebt hatten. In dieser Studie hatten die Kinder noch kein Achtsamkeitstraining erhalten.

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"Diese Untersuchung war unser Versuch, Achtsamkeit speziell im Kontext von Covid zu betrachten und darüber nachzudenken, welche Faktoren Kindern helfen können, sich an die veränderten Umstände anzupassen", sagt Treves. "Die Erkenntnis ist nicht, dass wir uns keine Sorgen über Pandemien machen sollten, weil wir den Kindern einfach mit Achtsamkeit helfen können. Menschen können widerstandsfähig sein, wenn sie in Systemen leben, die sie unterstützen, und in Familien, die sie unterstützen."

Der Effekt von Entspannungs- und Atemübungen im Vergleich zu Hörbüchern

Für die neue Studie, über die in Mindfulness berichtet wird, arbeiteten die Forscher*innen mit denselben Kindern, die sie für die PLOS One -Studie rekrutiert hatten, und teilten sie in 3 Gruppen zu je etwa 80 Schülern ein:

  • Eine Gruppe erhielt Achtsamkeitstraining über eine App von Inner Explorer, einer gemeinnützigen Organisation, die auch schulbasierte Meditationsprogramme entwickelt. Diese Kinder wurden angewiesen, an fünf Tagen in der Woche Achtsamkeitsübungen zu absolvieren, darunter Entspannungsübungen, Atemübungen und andere Formen der Meditation.

Zu Vergleichszwecken wurden die beiden anderen Gruppen gebeten, eine App zum Anhören von Hörbüchern zu verwenden (ohne Bezug zur Achtsamkeit):

  • Eine Gruppe erhielt einfach die Hörbuch-App und wurde ermutigt, in ihrem eigenen Tempo zuzuhören.
  • Die andere Gruppe hatte zusätzlich wöchentliche virtuelle Einzelgespräche mit einem Moderator. 

Zu Beginn und am Ende der Studie bewerteten die Forscher*innen den Grad der Achtsamkeit jedes Teilnehmers sowie Messwerte zur psychischen Gesundheit wie Angstzustände, Stress und Depressionen. Sie fanden heraus, dass sich in allen drei Gruppen die psychische Gesundheit im Laufe der achtwöchigen Studie verbesserte und jede Gruppe auch eine Zunahme der Achtsamkeit sowie gesteigertes hilfsbereites Verhalten zeigte.

Das waren die Vorteile der Kinder in der Achtsamkeitsgruppe

Darüber hinaus zeigten die Kinder in der Achtsamkeitsgruppe einige Verbesserungen, die in den anderen Gruppen nicht auftraten. Dazu gehörte etwa eine deutlichere Verringerung des Stresses. Eltern in der Achtsamkeitsgruppe berichteten außerdem, dass ihre Kinder weniger negative Emotionen wie Wut und Traurigkeit zeigten. Die größten Erfolge zeigten Schüler, die die Achtsamkeitsübungen an den meisten Tagen praktizierten.

Die Forscher*innen waren überrascht, als sie feststellten, dass es zwischen der Achtsamkeitsgruppe und der Hörbuchgruppe keine signifikanten Unterschiede in den Werten für Angst und Depression gab. Sie vermuten, dass dies daran liegen könnte, dass Schüler, die in einer der Hörbuchgruppen mit einem Moderator interagierten, auch positive Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit erlebten.

Fazit

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein App-basiertes Achtsamkeitstraining aus der Ferne von Nutzen ist, insbesondere wenn Kinder sich konsequent mit den Übungen befassen und von den Eltern ermutigt werden. Apps bieten auch die Möglichkeit, eine größere Anzahl von Kindern zu erreichen als schulische Programme, die mehr Schulung und Ressourcen erfordern.

"Es gibt viele tolle Möglichkeiten, Achtsamkeitstraining in Schulen zu integrieren, aber im Allgemeinen ist es ressourcenintensiver, als wenn die Leute eine App herunterladen", so Studienautor Treves. Im Hinblick auf reine Skalierbarkeit und Kosteneffizienz sind Apps also nützlich. "Eine weitere gute Sache an Apps ist, dass die Kinder in ihrem eigenen Tempo vorgehen und Übungen wiederholen können, die ihnen gefallen, sodass sie mehr Wahlfreiheit haben."

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Laila Docekal

Ressortleiterin für die Bereiche Gesundheit, Wissenschaft und Familie. Im Team für den Podcast "Ich weiß, wie es ist". Seit 2007 beim KURIER, Faible für Geschichten, die das Leben schreibt und besonderes Augenmerk auf Themen, die sich um Frauen, Familien und Nachhaltigkeit drehen. Sieben Jahre lang jede Woche für den "Bodyblog" im Samstag-KURIER ein neues Fitnessangebot getestet und vorgestellt. Funfact: In diesen rund 350 Kolumnen kam nur ein einziges Mal eine Wintersportart vor - Curling. 2013 MiA-Award für integrativen Journalismus, 2023 Stephan-Rudas-Preis für den Podcast "Ich weiß, wie es ist"

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