Briegel wurde mit dem "Austro-Nobelpreis" ausgezeichnet.

Briegel wurde mit dem "Austro-Nobelpreis" ausgezeichnet.

© APA/EXPA/JOHANN GRODER / EXPA/JOHANN GRODER

Science

Wittgenstein-Preis: 1,5 Millionen Euro für Quantenphysiker

Der mit 1,5 Millionen Euro höchstdotierte Wissenschaftspreis des Landes - der oft als "Austro-Nobelpreis" betitelte Wittgenstein-Preis - geht an den theoretischen Quantenphysiker Hans Jürgen Briegel von der Universität Innsbruck. Der deutsche Wissenschafter nahm die Auszeichnung des Wissenschaftsfonds FWF am Donnerstagabend in Wien in Empfang. Acht Nachwuchsforscher*innen erhielten mit jeweils bis zu 1,2 Mio. Euro dotierte START-Preise.

Der Wittgenstein-Preis soll exzellenten Forscher*innen "ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität bei der Durchführung ihrer Forschungstätigkeit garantieren, um eine außergewöhnliche Steigerung ihrer wissenschaftlichen Leistungen zu ermöglichen". Die Auszeichnung wird vom Bildungsministerium finanziert und vom FWF vergeben, die Preisträger*innen werden von einer Jury ausländischer Wissenschafter ausgewählt.

Koryphäe in der Quantenforschung

Briegel zähle zu den "aktivsten und kreativsten Forschenden" des Landes und zu den "Pionieren im Bereich Quanteninformatik und -technologie", heißt es in der Jury-Begründung: "Seine Erkenntnisse spielen eine Schlüsselrolle in 3 zentralen Bereichen der Quanteninformatik: die Entdeckung der messungsbasierten Quanteninformatik als Herzstück der optisch basierten Quanteninformationsverarbeitung; die Erfindung des Quantenrepeaters macht das Quanteninternet möglich; und seine Entwicklung des Quantenverstärkungslernens prägt das schnell wachsende Gebiet der künstlichen Quantenintelligenz."

Dabei sei er eigentlich gar kein Informatiker, betonte der 60-Jährige im Gespräch mit der APA. Trotzdem wurde seine Idee des "Einweg-Quantencomputers", die er mit dem deutschen Physiker Robert Raussendorf entwickelt hat, zu einem äußerst einflussreichen Konzept. Der "Brennstoff" dieses Rechners sind viele miteinander quantenmechanisch verschränkte Teilchen, die nach und nach gemessen werden - und deren Verschränkung dabei "zerstört" wird, daher der Name "Einweg-Quantencomputer". So erhält man sukzessive Ergebnisse, die ein herkömmlicher Computer so nicht berechnen könnte.

Wegbereiter für das Quanteninternet

Der von Briegel mit Kollegen in Innsbruck vorgeschlagene Quantenrepeater zur Weitergabe der flüchtigen Quanteninformation wird heute auch in Österreich in ersten quantenmechanischen Netzwerken eingesetzt. Beide Konzepte könnten in der künftigen Technologieentwicklung in Richtung größere Quanten-Computernetzwerke eine wichtige Rolle spielen, glaubt Briegel. Er nehme es "mit Genugtuung zur Kenntnis", dass einige Ideen auch umgesetzt werden: "Es liegt mir am Herzen."

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Erste Kontakte mit den modernen Theorien der Physik - der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik - haben den deutschen Forscher jedenfalls nachhaltig geprägt: "Ich fand es schon als Jugendlicher faszinierend, dass man mit Hilfe von mathematischen Theorien und Modellen so viel verstehen und sagen kann über das Universum im Großen und die Welt im Kleinen. Damit kommen immer auch philosophische Fragestellungen auf." Wie man diese anpackt, ist eine Frage der Perspektive, wobei der Forscher sich als "Physiker, dem der philosophische Kontext sehr wichtig ist", bezeichnet.

Künstliche Intelligenz als großes Thema

In der Quantentheorie erhielt der Beobachter erstmals eine neue Rolle, da er rein durch seine Hinwendung zum Quantensystem in Form einer Messung dieses fundamental verändert. Wenn man nun daran geht, erste Systeme mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zu entwickeln, die in der Grundlagenforschung helfen sollen, und selbst Quantenexperimente konzipieren oder durchführen, dann stellen sich viele neue Fragen, betonte Briegel.

Mittlerweile beschäftigt sich der Wissenschafter auch zunehmend mit Problemen an dieser Schnittstelle. Dafür erhielt er 2022 auch einen "Advanced Grant" des Europäischen Forschungsrates ERC. Auch im Rahmen des Wittgensteinpreises wird sich der Vater zweier Kinder und "Familienmensch" nun mit dem KI-Einsatz in der Grundlagenforschung auseinandersetzen.

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Zu seinen früheren Arbeiten gebe es hier durchaus Berührungspunkte, so der Forscher, der vor 20 Jahren an die Uni Innsbruck berufen wurde und das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck mit aufgebaut hat. Gehe man etwa davon aus, dass ein auf KI basierendes System - ein "Agent" - mit einem Quantensystem interagiert, dann stellen sich manche Grundfragen der Quantentheorie wie etwa die Rolle des Beobachters neu.

Was ist Lernen?

Zwar verfolge er viele Ideen, die ihn auch in Richtung Biologie oder zu Überlegungen zum freien Willen führten, letztlich gehe es aber immer um die Frage, wie "Lernen" und "lernende oder weitergehend aus eigenem Antrieb agierende Systeme" physikalisch verstanden werden können. Wenn man nun etwa autonom handelnde KI in die Forschung integriert, müsse man sich genau überlegen, was das für Auswirkungen auf die Freiheit hat. So sollte man durchdenken, welchen Spielraum man solchen Agenten lässt und welche Rolle sie in einem Experiment spielen können und sollen. Über Freiheit müsse man auch sprechen, wenn es darum geht, diese neuen Systeme in die Welt zu integrieren, betonte Briegel.

"Wir wollen für die Grundlagenforschung KI-Systeme, die transparent sind. Wir möchten erklärbare KI entwickeln, wo wir ablesen können, was der Lösungsweg war. Der ist nämlich oft interessanter als die Lösung selbst", so der Wissenschafter: "Wir wollen kein Szenario, bei dem wir KI wie 'Orakel' oder 'Black-Box-Systeme' im Labor haben. Wir wollen ja die Welt verstehen."

Offen für Neues bleiben

Dazu brauche es selbstverständlich auch Geld. Die in Österreich in die Quantenwissenschaften gesteckten Mittel seien jedenfalls "sehr gut investiert", zeigte sich der Wittgensteinpreisträger überzeugt. Der Erfolg neuer Anwendungen in dem Bereich fuße allerdings auf der Auseinandersetzung mit Grundfragen. Das dürfe man nicht vergessen, wenn man über Forschungsförderung nachdenkt: "Wir sollten uns diesen Spielraum unbedingt bewahren, offen für Neues bleiben und nicht nur auf die Anwendungskarte setzen."

Für FWF-Präsident Christof Gattringer hat Briegel "eine beeindruckende wissenschaftlichen Karriere" hingelegt, "die auch in Zukunft noch vielversprechende neue Erkenntnisse erwarten lässt". Gratulationen an den Wittgenstein- und die START-Preisträger*innen richtete auch Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP): Die Auszeichnungen erlauben es den Wissenschafter*innen, "ihre herausragenden Projekte und Arbeiten hier in Österreich weiter voranzubringen" und damit den Standort zu stärken.

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