Keramischer Mikrofilm speichert Daten für die Ewigkeit
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Es sei gut möglich, dass von unserer digitalen Zeit nicht mehr übrigbleibt als Prägungen auf Edelstahltöpfen "Made in China", sagt Martin Kunze. "Weil das am längsten überleben wird." Schriftliche, dauerhafte Aufzeichnungen würden kaum noch hinterlassen und digitale Inhalte könnten in Hunderten Jahren vielleicht nicht mehr ausgelesen werden, weil die Dateiformate obsolet geworden sind oder in Rechenzentren schlicht kein Platz oder keine Ressourcen mehr für die riesigen historischen Datenmengen zur Verfügung stehen.
In Archiven werden viele historische Materialen wegen der vergleichsweise langen Haltbarkeit von bis zu 500 Jahren und der technischne Unabhänigigkeit des Mediums heute noch auf Mikrofilm gesichert. Es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis die Herstellung von fotochemischen Mikrofilm auslaufe, sagt Kunze. Schon heute betrage die Produktion von Fotofilm nur noch einen Bruchteil des früheren Volumens.
Langzeitarchivierung
Kunze, der an der Kunstuniversität Linz plastische Konzeptionen studierte, hat eine Alternative entwickelt: Keramische Datenträger. Um Information haltbar zu hinterlegen, könne man auch bessere Badezimmerfliesen als Datenträger verwenden, sagt der Diplom-Keramiker. Für sein 2012 gestartetes Projekt Memory of Mankind (MOM, mehr dazu siehe unten), das im ältesten Salzbergwerk der Welt in Hallstatt einen Schnappschuss der Gegenwart aufbewahren will, druckt er Texte, Fotos und Illustrationen auf Tontafeln, die Millionen von Jahren überleben sollen.
Dabei werden keramische Farben, ähnlich wie mit einem Farblaserdrucker, auf die Keramikplatten übertragen und dann eingebrannt. Die Kapazität wird durch die Druckauflösung von 300 dpi beschränkt. Auf 20 mal 20 Zentimeter ließen sich auf diese Art rund 50.000 Zeichen unterbringen, erzählt Kunze. "Mit der Kapazität war ich aber unzufrieden", sagt der Keramiker. Um größere Speicherkapazitäten zu erreichen, entwickelte er keramischen Mikrofilm.
Keramischer Mikrofilm
Das keramische Material wird dabei mit einer 3 Mikrometer dünnen sehr harten Spezialkeramik beschichtet. Die Information wird mit einem Laser in das keramische Material hineingeschrieben. Bisher verwendete Kunze dazu einen Gravurlaser, ab Juni steht ihm im Science Center der TU Wien ein Femtosekundenlaser zur Verfügung, bei dem extrem kurze Lichtpulse mit hoher Energie zum Einsatz kommen.
In dem von der Forschungsförderungesellschaft FFG finanzierten Forschungsprojekt wird die Wechselwirkung von Hochenergielaserstrahlen auf keramischen Oberflächen untersucht. Auf diese Art soll eine höhere Schreibgeschwindigkeit und Speicherdichte erreicht werden.
Man kann die Keramiktafeln auch in einem Schuhkarton im Keller oder am Dachboden stehen lassen. Unter dem Gesichtspunkt der Lebensdauer eines Sonnensystems halten sie ewig.
60 Bücher auf 20 mal 20 Zentimeter
Erste Tests zeigen, dass man mit einer Auflösung von 125.000 dpi schreiben kann, was einer Strukturgröße von 200 Nanometer entspricht. 25.000 A4 Seiten in Druckauflösung könnte man dabei auf 10 mal 10 Zentimeter unterbringen. Das sind 60 400 Seiten dicke Bücher.
Anders als fotochemischer Mikrofilm, der idealerweise bei Temperaturen von 5 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent aufbewahrt werden soll, muss keramischer Mikrofilm nicht klimatisiert gelagert werden und ist außerdem wasserfest. "Man kann die Keramiktafeln auch in einem Schuhkarton im Keller oder am Dachboden stehen lassen", sagt Kunze. "Unter dem Gesichtspunkt der Lebensdauer eines Sonnensystems halten sie ewig."
Alternativ dazu experimentiert der Keramiker auch mit speziellen Glasmaterialien, die ebenfalls hitzebeständig und schockresistent sind.
Von Archivaren könnten die Informationen mit herkömmlichen Instrumentarium ausgelesen werden, sie könnten ihr gewohntes Equipment, etwa Microfiche-Lesegeräte oder Fotoscanner zur Aufnahme, weiterverwenden, sagt Kunze.
Pilotprojekte mit Archivaren
Mit der vor kurzem gegründeten, von der Förderbank austria wirtschaftsservice (aws) geförderten Firma CeraMicro will der Keramiker die von ihm entwickelte Technologie vermarkten.
Im Rahmen von Pilotprojekten arbeitet man bereits mit Archiven in Österreich und Deutschland zusammen. Dabei werden Bedarf und Anforderungen der Archivare erhoben, die auch in die Produktentwicklung mit einfließen sollen.
Bis Ende nächsten Jahres werde laut Kunze ein funktionsfähiges Produkt vorliegen, das dann mit dem Feedback aus der Praxis weiter verbessert werden soll.
Archive unter Handlungsdruck
Viele Archive würden vor einem Handlungsdruck stehen, erzählt Kunze. Säurehaltige Papiere, wie sie ab Mitte des 19. Jahrhunderts zum Einsatz kamen, würden beginnen, sich zu zersetzen und müssten in absehbarer Zeit gesichert werden. Lösungen, wie sie auf lange Sicht kostengünstig und sicher aufbewahrt werden könnten, seien gefragt.
Kunze denkt aber auch bereits darüber nach, wie neben analogen Daten auch digitale Files auf Tontafeln gespeichert werden können. Denn parallel zur Sicherung auf Mikrofilm speichern Archive historische Daten auch in digitalen Formaten. Nicht zuletzt, um Jahrhunderte alte Dokumente auch digital verarbeiten, etwa transkribieren oder durchsuchen, zu können. Aber auch Musik, Filme oder Datenbanken könnten dann auf Tontafeln archiviert und wesentlich kostengünstiger und ressourcenschonender aufbewahrt werden.
Gedächtnis der Menschheit im Salzbergwerk
2020 war ein außergewöhnliches Jahr. Die Corona-Pandemie legte Wirtschaft und gesellschaftliches Leben weltweit monatelang über weite Strecken lahm. Was von dem Corona-Jahr vielleicht in einer Million Jahren noch übrig sein wird, könnte sich bereits auf Tontafeln verewigt in einem Salzbergwerk in Hallstatt befinden.
Das 2012 vom Keramiker und Künstler Martin Kunze initiierte Projekt „Memory of Mankind“ (MOM) hat es sich zum Ziel gesetzt, Geschichten aus unserer Zeit für die Ewigkeit aufzubewahren und hält sie deshalb auf Keramiktafeln fest. Das Material ist laut Kunze am besten dazu geeignet, um Daten über Jahrtausende haltbar zu machen. Die analoge Speicherung soll auch sicherstellen, dass sie lesbar bleiben. Auf 20 mal 20 Zentimeter großen Keramiktafeln befinden sich individuelle Erinnerungen ebenso wie Zeitungsartikel, Bücher und wissenschaftliche Arbeiten.
Mit dem Projekt wolle er auch das Denken in längeren Zeiträumen fördern, sagt Initiator Kunze zur futurezone. Dabei müsse auch daran gedacht werden, was nötig ist, damit die Schlaglichter auf das 21. Jahrhundert von unseren Nachfahren auch gelesen und richtig verstanden werden könnten. Dafür, dass sie auch in Millionen Jahren noch gefunden werden können, sollen kleine runde Tokens aus Keramik sorgen, auf denen die Lage des MOM-Archivs in dem Bergwerk mittels Landmarken dargestellt ist.
750 keramische Farbtafeln haben sich in den 9 Jahren seit dem Start des Projekts bereits angesammelt, Tausende Beiträge von Leuten weltweit warten darauf, auf keramischen Mikrofilm verewigt zu werden. Mitmachen kann jeder Mensch auf der ganzen Welt. Über die Webseite des Projekts können bis zu 5.000 Zeichen lange Texte kostenlos eingegeben werden. Ab 60 Euro können Tafeln gestaltet und etwa zu Geburtstagen oder anderen feierlichen Anlässen verschenkt werden. Mit diesen Beiträgen werde "Memory of Mankind" finanziert, sagt Kunze: "Man kann jemanden Aufmerksamkeit für die Ewigkeit schenken."
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und Austria Wirtschaftsservice (aws).
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