Die EU will ein „Internet der Sinne“ möglich machen.

Die EU will ein "Internet der Sinne" möglich machen.

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Science

Was Geruchsfernsehen mit 6G und Marsreisen zu tun hat

Was wäre, wenn der Fernseher nicht nur Bilder und Töne, sondern auch Düfte übertragen würde? Fliegen im Actionfilm plötzlich Autos durch die Luft, riecht es im Wohnzimmer nach verbranntem Gummi, Plastik, Benzin und Öl. Die Geruchsdaten werden wie andere Informationen einfach übers Internet übertragen.

Das klingt unrealistisch? 2030 soll in der EU der Mobilfunkstandard 6G verfügbar sein. In Zuge dessen verspricht die EU-Kommission, dass damit eine Reihe von Dingen möglich werden, die derzeit kaum vorstellbar sind. Neben autonomen Autos und Fernoperationen will die Kommission mit 6G auch ein „Internet der Sinne“ ermöglichen. Gemeint sind Anwendungen, bei denen digitale Technologien mehrere menschliche Sinne gleichzeitig ansprechen. Auch Riechen und Schmecken zählen dazu.

Übertragung von Düften

Es gibt in Österreich nicht viele, die sich mit der digitalen Übertragung von Sinneseindrücken beschäftigen. Hannes Kaufmann ist hier eine Ausnahme. Der Informatiker leitet an der TU Wien die Forschungsgruppe „Virtual and Augmented Reality“. Bei einem Forschungsprojekt montierten er und Kollegen vor Kurzem etwa einen digitalen Duftspender auf einem Roboterhund. Der Roboter begleitet den Träger einer VR-Brille, während dieser virtuell in einer Computerlandschaft unterwegs ist. „Wo es Gerüche gibt, kann er diese ausstoßen, zum Beispiel einen Waldgeruch. Die Nutzerin riecht es dann vor Ort“, erklärt Kaufmann. In den mobilen Duftspender, der bereits verkäuflich ist, können verschiedene Geruchspatronen gesteckt werden. Die Auswahl reicht von Naturdüften wie „Holz“ oder „frischgeschnittenes Gras“ bis hin zu „Action“-Gerüchen wie „Diesel“ – pro Session kann man insgesamt 12 verschiedene Patronen verwenden.

Infobox

6G
Die nächste Generation der Mobilfunkübertragung befindet sich derzeit in der Vorbereitung. Datenraten bis zu 1 Terabit pro Sekunde sollen möglich sein.

100-mal schneller 
als 5G wird die Übertragung mit 6G. So soll es z. B. kein Problem sein, wenn eine Touristengruppe eine Tour mit VR-Headsets macht, die mit dem Internet verbunden sind.

Gerüche übertragen
Eine Steuerungssoftware schickt Daten, welcher Duft einer Duftmaschine aktiviert werden soll. Auch Zeit- oder Ortsangaben können verknüpft werden.

Gerüche sind kompliziert

Geruchsfernsehen wird in naher Zukunft trotzdem schwer umsetzbar sein. Ein großes Problem ist, dass sich Gerüche nicht synthetisieren lassen. „Das heißt, man kann sie anders als Farben nicht aus Grundstoffen zusammensetzen. Es gibt keine Basisgerüche, die man einfach mischen kann – Gerüche bestehen aus mehreren 100 Geruchsmolekülen“, erklärt Kaufmann. Derzeit könne man deshalb nur eine sehr begrenzte Geruchsauswahl wiedergeben. 

Außerdem lassen sich Gerüche nicht gut abwechseln: „Stellen Sie sich vor, Sie sind beim Geruchsfernsehen zuerst im Kanal bei Der dritte Mann und das ganze Wohnzimmer stinkt so. Dann kommen Sie wieder raus, aber es stinkt noch immer alles nach Kanal. Den Geruch wegzutransportieren ist ein Problem“, meint der Forscher. Mit der Zeit würden sich die Gerüche außerdem mischen – was unsere Nasen ebenso wenig ansprechend finden.

Ernst genommen wird die Möglichkeit der digitalen Geruchsübertragung dennoch. In manchen Bereichen könnte die Technologie viel bewirken. „Geruch kann unsere Stimmung, Gedächtnis, Emotionen und das soziale Verhalten beeinflussen“, sagt Kaufmann. Gemeinsam mit der MedUni Wien wollen er und Kollegen bei einem interdisziplinären Projekt untersuchen, ob man damit eine virtuelle Waldtherapie entwickeln könnte.

Waldtherapie für Isolierte

Denn eine Studie unter der Leitung der Umweltmedizinerin Daniela Haluza von der MedUni Wien ergab kürzlich, dass der Aufenthalt im Wald den Spiegel des Stresshormons Cortisol senkt. „Solche Effekte sind gerade für kranke oder belastete Menschen bedeutsam“, sagt Haluza. Bei Angst- und Depressionserkrankungen, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnte eine Waldtherapie helfen. 

Forscher stellten fest, dass ein Waldspaziergang den Cortisolspiegel senkt. Nun soll getestet werden, ob man eine solche Erfahrung auch in VR ermöglichen könnte.

Forscher stellten fest, dass ein Waldspaziergang den Cortisolspiegel senkt. Nun soll getestet werden, ob man eine solche Erfahrung auch in VR ermöglichen könnte.

Entspannung für Kranke und Mars-Reisende

„Mithilfe von Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) möchten wir eine naturgetreue, multisensorische Simulation schaffen – mit wechselnden Lichtstimmungen, Vogelgesang, Blätterrauschen und sogar Walddüften. Man kann sich das ein bisschen wie ein 5-D-Kino für die Gesundheit vorstellen“, erklärt Haluza. 

Die Forscher hoffen, dass ein Geruchsfernsehen ähnlich positive Effekte wie ein echter Waldbesuch haben könnte. „Gerade für Menschen, die keinen Zugang zur echten Natur haben, in Pflegeeinrichtungen oder in Raumschiffen auf dem Weg zum Mars, eröffnet das neue Möglichkeiten“, sagt sie.

Zwei Astronauten stehen in einer roten Wüstenlandschaft vor einem Bergmassiv.

Bei Reisen zum Mars könnte eine VR-Erfahrungen mit ergänzten Gerüchen zur Gesundheit der Astronauten und Astronautinnen beitragen. (Symbolbild)

Obwohl wir daheim in naher Zukunft vermutlich kein duftendes Netflix streamen werden, könnte Geruchsfernsehen künftig in manchen Bereichen also durchaus eine Rolle spielen. Insgesamt einfacher als die Übertragung von Gerüchen sei ohnehin die von Geschmack, meint Kaufmann – denn hier würde man nur mit fünf Basisstoffen arbeiten, die man mischen könne. Derzeit wird damit z. B. ein Alzheimertest entwickelt. Alzheimer zeigt sich nämlich u. a. dadurch, dass man Geschmäcker nicht mehr gut unterscheiden kann. 

Ob man für solche Einzelfälle wirklich 6G braucht, wie die EU meint, ist allerdings eine andere Frage. Hinter den Versprechungen könnte auch geschickte Lobbyarbeit stecken, die den 6G-Ausbau vorantreiben soll.

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Jana Unterrainer

Überall werden heute Daten verarbeitet, Sensoren gibt es sogar in Arktis und Tiefsee. Die Welt hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Das interessiert mich besonders, mit KI und Robotik steigt die Bedeutung weiter enorm.

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Jana Unterrainer

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