Eine Ärztin betrachtet die Mammographie einer Patientin.

Die Mammografie ist für Frauen mit Brustkrebs oder Verdacht darauf ein belastender Eingriff. 

© Getty Images/andresr/istockphoto

Science

Wie KI hilft, Krebs noch früher zu erkennen

In Österreich erkranken jährlich etwa 45.000 Menschen an Krebs, es ist hierzulande die zweithäufigste Todesursache. Je früher ein Tumor behandelt wird, desto höher sind die Chancen auf Heilung. 

Hier kommt Künstliche Intelligenz ins Spiel: „KI-Systeme eignen sich sehr gut zur Erstdiagnose, also Krebs in Bilddaten früh zu erkennen“, sagt Georg Langs. Der Mathematiker leitet das „Computational Imaging Research Lab“ (CIR) und das neugegründete „Comprehensive Center for Artificial Intelligence in Medicine“ (CAIM) der Medizinischen Universität Wien.

Bildgebende Verfahren

Für die Krebsdiagnose werden üblicherweise bildgebende Verfahren eingesetzt: Bei einer Mammografie zum Beispiel durchleuchten Röntgenstrahlen die Brust. Mittels Computertomographie (CT) werden – ebenfalls durch Röntgenstrahlen – Schicht-Aufnahmen etwa von Kopf, Brust- oder Bauchraum angefertigt. 

Und die Magnetresonanztomografie (MRT), auch Kernspintomographie genannt, kann verschiedene Gewebe mithilfe eines starken Magnetfelds besonders detailreich erfassen. Die dabei entstehenden Daten werden durch Software in Bilder umgewandelt, damit sie für Ärztinnen und Ärzte interpretierbar sind.

Muster aus großen Datenmengen

Dass KI-Modelle in diesem Zusammenhang so nützlich sind, hängt mit zwei ihrer zentralen Stärken zusammen: Einerseits können sie ohne Probleme mit großen Datenmengen umgehen, die Menschen kaum bewältigen könnten. Andererseits sind sie sehr gut darin, Muster zu erkennen

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„KI-Systeme können diese ganz feinen Texturen im Krebs besser vermessen, als man das mit bloßem Auge kann. Das typische schnelle Zellwachstum sieht ein Algorithmus ebenfalls genauer“, sagt Langs. 

Schnellere Datenauswertung

Manche Spezialanwendungen könnten durch KI-Modelle wesentlich beschleunigt werden. Dazu zählt die sogenannte MRT-Spektroskopie, die z.B. in der Diagnose von Hirntumoren eingesetzt wird. 

„Diese Technik sagt sehr viel über den Metabolismus aus, indem sie abbildet, welche Moleküle im Tumor oder in der Nachbarschaft des Tumors vorhanden sind“, erläutert der MedUni-Wien-Professor. Dank Machine Learning dauere das Verfahren nur wenige Minuten statt mehrerer Stunden. Erst dadurch werde die klinische Anwendung praktikabel.

Vom Nischeninteresse zum Trend

In den vergangenen Jahren hätten sich KI-Systeme für die Radiologie von einem Nischeninteresse zu einem großen Trend entwickelt, der immer breitere Anwendung findet. „An maschinellem Lernen für bildgebende medizinische Verfahren wird schon lange geforscht, die führende Fach-Konferenz dafür gibt es schon seit mehr als 20 Jahren. Vor etwa 10 Jahren sind die ersten Anwendungen in die Praxis gekommen“, erinnert sich der Forscher. 

Bei der Diagnose für Lungenkrebs seien KI-Systeme zum Beispiel schon im Einsatz. Sie markieren verdächtige Knötchen auf CT-Bildern, und sorgen so dafür, dass keines übersehen wird. Radiologinnen und Radiologen können sich diese dann genauer ansehen, und ihre fachliche Einschätzung abgeben.

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Innerhalb der EU tragen laut der unabhängigen Forschungsplattform „Health AI Register“ derzeit über 200 KI-Software-Produkte für die Radiologie das CE-Kennzeichen und sind damit theoretisch am Markt verfügbar. Wie viele davon bereits in Österreich in Verwendung sind, ist nirgendwo erfasst.

KI-Training mit Studien und historischen Daten

Um irgendwann Tumore auf Röntgen-, CT- oder MRT-Aufnahmen erkennen zu können, müssen KI-Systeme zuerst mit großen Mengen an Daten trainiert werden. Diese kommen entweder aus Krankenhaus-Archiven oder aus Studien, die zu diesem Zweck durchgeführt werden, sagt Langs: „Bei Studien-Patienten haben wir ganz toll kuratierte Daten, die sofort bereit für die Analyse sind. Bei ,normalen‘ Patienten ist das viel schwieriger.“ 

Denn in der Realität beeinflussen unzählige Faktoren die Diagnose und Behandlung von Krebs: In verschiedenen Krankenhäusern kommen unterschiedliche Geräte zum Einsatz, Patientinnen und Patienten verpassen womöglich einzelne Termine, sodass Aufnahmen nicht im idealen zeitlichen Abstand entstehen.

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Die KI-Modelle dürften deshalb nicht zu lange „im Labor“ verbleiben, sondern müssten so früh wie möglich in der Praxis ausprobiert werden: „Wir arbeiten eng mit dem AKH zusammen, wir brauchen die Rückmeldung, was funktioniert und was nicht“, sagt der Machine-Learning-Forscher.

AIgnostikum

Ein KI-Modell, das diesem Gedanken entsprechend entwickelt wurde, ist „RAIDAS“ des steirischen Start-ups „AIgnostikum“, einem Tochterunternehmen des Radiologieinstituts „Diagnostikum“ in Graz. „Im Zuge der vielen Brust- und Prostatauntersuchungen ist dort die Idee entstanden, die Ärztinnen und Ärzte mit KI zu unterstützen“, sagt Geschäftsführer Manfred Prantl

Derzeit läuft die Software im Testbetrieb, in ein bis zwei Monaten sollte der Zertifizierungsprozess abgeschlossen sein. Dann kann „RAIDAS“ auch außerhalb des „Diagnostikum“ regulär eingesetzt werden. 

Menschlichen Radiologen simulieren

„Wir haben das System mit Magnetresonanzbildern und Diagnosen der Vergangenheit trainiert. Es soll einen menschlichen Radiologen simulieren“, erklärt der Machine-Learning-Spezialist.

Ein MRT-Scan der Brust zeigt einen rot markierten Bereich mit einer Größe von 3,68 cm.

RAIDAS diagnostiziert Brustkrebs.
 

Das KI-Modell solle zu den gleichen Ergebnissen kommen wie die menschlichen Fachärztinnen und -ärzte und zusätzlich erklären, welche Bereiche der Bilddaten zu seiner Einschätzung geführt haben. Während ein Mensch auf zweidimensionalen Aufnahmen tumorverdächtige Stellen immer nur mit einem Punkt oder Strich markieren könnte, kann „RAIDAS“ das im dreidimensionalen Datenraum tun. 

KI-Modell für Zweitmeinung

Für Patientinnen und Patienten ändere sich durch den Einsatz des KI-Modells erstmal wenig: „Typischerweise macht der Arzt seine Diagnose und befragt danach das System, sozusagen als Zweitmeinung“, erklärt Prantl. Genau wie Fachärztinnen und Fachärzte ermittelt es bei Brustkrebsverdacht einen sogenannten BI-RADS-, bei Prostatakrebsverdacht einen sogenannten PI-RADS-Score. Dieser bewegt sich zwischen 1 (geringes Risiko) und 5 (hohes Risiko).

„Bei BI-RADS 3 oder 4 wird zur Abklärung eine Biopsie durchgeführt, das heißt, da wird eine Gewebeprobe unternommen und untersucht, ob sie bösartig ist“, schildert Prantl. Dank der zusätzlichen Einschätzung der Software könnten jedoch möglicherweise unnötige Biopsien verhindert werden. 

Was die Weiterentwicklung solcher Modelle betrifft, ist der Machine-Learning-Spezialist sehr optimistisch: „Ich sehe da noch unheimliches Potential in der Bildauswertung mit KI. Es ist gar nicht das Ziel, die Ärzte abzulösen, sondern sie zu unterstützen und die Diagnosequalität zu verbessern.“

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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