Stefan Pirker erklärt seine neue Theorie: Durch Kombination mehrerer Datenbanken lässt sich die Berechnung komplexer Strömungen um das 10.000-Fache beschleunigen

Stefan Pirker erklärt seine neue Theorie: Durch Kombination mehrerer Datenbanken lässt sich die Berechnung komplexer Strömungen um das 10.000-Fache beschleunigen

© CDG/Andreas Röbl

Science

Partikuläre Strömungen: Stefan Pirker gewinnt CDG-Preis

Stefan Pirker, Forscher an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) und Leiter des Christian-Doppler-Labors (CD-Labors) für die Modellierung partikulärer Strömungen, berechnet die Bewegungsbahnen von Partikeln in Gasen und Flüssigkeiten. Generell gilt die Berechnung der Interaktion einer partikulären Phase – etwa eine Vielzahl von Steinbrocken – mit Fluiden, also Gase und Flüssigkeiten, als große Herausforderung. Normalerweise werden solche Prozesse durch physikalisch-basierte komplexe Grundgleichungen beschrieben, deren Lösung lange Rechenzeiten erfordern.

Durch eine neuartige Kombination von Gleichungslösen und Datenanalyse ist es Pirker nun gelungen, diese Berechnungen extrem zu beschleunigen und partikuläre Strömungen sogar in Echtzeit zu simulieren. Dafür wurde er am 6. Oktober mit dem CDG-Preis für Forschung und Innovation ausgezeichnet.

Energie- und Materialverbrauch können gesenkt werden

Vorrangig kommen Pirkers Modelle in der großen Prozessindustrie zum Einsatz. In großtechnischen Anlagen wie etwa dem Hochofen, in dem flüssiges Roheisen aus Eisenerzen erzeugt wird, ist das Wissen über die Partikel-Schüttströmung für die Produktion ausschlaggebend. Immer wieder treten im Betrieb kritische Prozesszustände auf. Beispielsweise können sich einzelne Partikel ineinander verklemmen und makroskopische Brücken bilden. Die Produktion muss in diesem Fall unterbrochen werden, was hohe Kosten mit sich bringt.

„In einem Hochofen ist es heiß und staubig – da kann man nicht hineinschauen“, erklärt Pirker im futurezone-Gespräch. „Mithilfe unserer Simulationen haben wir aber die Möglichkeit, den Ursachen solcher kritischen Betriebszustände nachzugehen, um so die zugrundeliegenden Prozesse besser verstehen zu können“. Mit einem derart verbesserten Prozessverständnis kann die Produktqualität optimiert, unnötige Produktionspausen vermieden und der Energie- und Materialverbrauch gesenkt werden.

Da sich die große Prozessindustrie laut Pirker derzeit im Wandel befindet, dürften die Anforderungen in Zukunft noch steigen. „Die Prozessindustrie will sauberer und CO2-neutral werden – da kommen komplett neue Prozesse daher“, sagt er. Effiziente Simulationen seien für die Planung daher unabdingbar.

Links Simulation – rechts Experiment: Fließen von Molybdän- und Wolframmetallpulver in einer im Uhrzeigersinn rotierenden Trommel

Blutströmung und Coronaviren in der Luft

Pirkers neue Verfahren kommen aber nicht nur der Industrie zugute, sondern generell jenen Bereichen, in denen partikuläre Strömungen nicht einsehbar sind – etwa der Blutströmung. „Rote Blutkörperchen sind auch deformierbare Partikel. Und auch bei der Blutströmung können wir nicht sehen, welchen Belastungen einzelne Blutkörperchen in einer Blutpumpe ausgesetzt sind“, sagt der Wissenschaftler. Mithilfe von Simulationen sei ein „Blick“ ins Innere der Pumpe, welche Patient*innen vor einer Herz-OP mit Blut versorgt, aber sehr wohl möglich.

Auch auf die Verbreitung von Sars-CoV-2 lassen sich die gleichungsbasierten und daten-assistierten Methoden aus dem CD-Labor anwenden. Mit der Universität Utrecht modelliert Stefan Pirker derzeit, wie sich Stadien wieder risikofrei mit Besuchern füllen lassen können. „Die Kollegen können virtuell eine Vielzahl von Menschen herumgehen lassen und deren Verhalten simulieren. Ich schaue mir die Luftströmungen an. Dann bestimme ich einen Fußgänger als Covid-Spreader und die anderen als Personen, die sich potenziell anstecken könnten“, so Pirker.

Damit könne man verschiedene Szenarien durchgehen, wie viel des ausgeatmeten Volumens des Spreaders die anderen abbekämen. „Das hängt davon ab, wie sie sich zueinander bewegen oder etwa ob eine Reihe vor dem Ticketschalter gebildet wird, ob es dort Seitenwind gibt, etc. – das macht alles einen Unterschied.“

10.000-fache Rechengeschwindigkeit

Der große Vorteil seines Verfahrens sei, dass die Berechnungen sehr schnell vonstattengehen. „Wenn man Luftströmungen gleichungsbasiert berechnet, benötigt man etwa eine Woche pro Simulation. Mit unserem Verfahren können wir diesen Vorgang um das 10.000-Fache beschleunigen. Das heißt, wir schaffen in der selben Zeit nicht nur eine Simulation, sondern 10.000“, so der Spezialist.

Damit ließen sich Statistiken aufbauen: „Wir machen Hunderte Rechnungen und können so Vorhersagen treffen, ob der Spreader im Stadium eher die vordere oder hintere Reihe anstecken wird“. Darüber hinaus können Gegenmaßnahmen vorgeschlagen werden, wie etwa das Platzieren von Ventilatoren oder Luftreinigungsgeräten an kritischen Stellen.

Wie sich der NASA-Rover Curiosity fortbewegt

Von 2009 bis 2016 wurde Pirkers Forschung im Rahmen des CD-Labors mit den Unternehmenspartnern Primetals Technologies Austria GmbH, voestalpine Stahl GmbH, voestalpine Stahl Donawitz GmbH, ThyssenKrupp Resource Technologies GmbH, RHI Magnesita GmbH, Borealis AG und PLANSEE SE gefördert. Nach dem Ende der Laufzeit geht die Forschung aber weiter, viele Anwendungsmöglichkeiten der Grundlagenforschung werden nun erst sichtbar. "Jetzt sind Dinge möglich, die am Anfang vom CD-Labor absolut nicht vorstellbar waren. Eine solche Beschleunigung zu erreichen, ist nur in einem Umfeld möglich, wo man Raum hat, nachhaltige Grundlagenforschung zu betreiben. Das CD-Labor bietet diesen Raum“, so Pirker.

Von Anfang an machte Pirker seine Berechnungsmodelle über eine Open Source-Webseite weltweit verfügbar. Unter anderem verwendete die NASA seine Modelle, um den Energieverbrauch bei der Fortbewegung des Mars-Rovers Curiosity zu optimieren. „Der Rover sollte zu einer Stelle hochfahren, ohne zu rutschen. Dazu haben die Kollegen den Boden aus Gesteinsbrocken modelliert und geschaut, wie die Reifen mit diesen interagieren“, so Pirker.

Sicherung des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandortes Österreich

Über die Auszeichnung zeigt er sich geehrt. „Die neuen gleichungsbasierten und daten-assistierten Verfahren bieten viele Möglichkeiten, die ich noch ausprobieren möchte. Da gibt es schon einen ganzen Bauchladen von Ideen“, so Pirker.

Laut Martin Gerzabek, Präsident der Christian Doppler Forschungsgesellschaft, zeichne der CDG-Preis exzellente Forschung aus, die Basis für wichtige Innovationen in den kooperierenden Unternehmen ermöglicht hat. „In diesem Sinne ist der Preis einmalig und entspricht genau der Philosophie der CDG  Sicherung des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandortes Österreich durch Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit in beiden Bereichen“, sagt er der futurezone.

Die CD-Labors und Josef-Ressel-Zentren heben sich durch ein hohes Maß an Inter- und Transdisziplinarität hervor. „Durch die intensive Kooperation der Forschungseinheiten mit Unternehmen kommt es zu einer gegenseitigen Befruchtung. Fragen, die aus der Wirtschaft kommen, führen zu neuen wissenschaftlichen Ansätzen, zur Entwicklung spezieller Methoden und somit zu einer Weiterentwicklung der Wissenschaft selbst“, sagt er.

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG).

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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