Österreichs Raumfahrt: Kompetent, aber ausgebremst
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Kaum ein internationales Weltraumprojekt kommt ohne Expertise aus Österreich aus: Der Thermalschutz von Beyond Gravity macht das James-Webb-Teleskop und die Orion-Kapsel der NASA beständig gegen extreme Temperaturen. Die Netzwerke von TTTech sorgen für reibungslosen Datenaustausch der Komponenten eines Raumschiffs. Sensoren von Terma sorgen dafür, dass Sonden wie JUICE auf ihrem Weg zum Jupiter auf dem richtigen Kurs bleiben. Die Raumfahrt ist auch in Österreich ein schnell wachsender Sektor.
Der Erfolg dieser Weltraumfirmen ist eng an die europäische Weltraumagentur (ESA) geknüpft. Die Mitgliedsstaaten zahlen in die Programme der ESA ein und die inländische Wirtschaft profitiert von daraus folgenden Aufträgen. "Es ist eine Regel, dass das Geld über einen sehr harten Wettbewerb in die Länder zurückfließt. Das ist das Erfolgsgeheimnis der ESA", erklärt ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher der futurezone.
Ein Beispiel dafür ist Peak Technology. Die Firma nahm vor 7 Jahren ihre Expertise aus der Formel 1 mit. Sie entwickelt und baut nun Treibstofftanks für ESA-Projekte. "Damit bekamen wir kommerzielle Kunden in und über Europa hinaus. Mittlerweile machen wir im Space-Bereich 80 Prozent Umsatz", erklärt Robert Greinecker von Peak Technology der futurezone.
Firmen dürfen nicht alle ESA-Aufträge umsetzen
Doch Österreich investiere noch zu wenig, sind sich die Industrievertreter einig. "Wir haben die Technologien, wir hätten auch Aufträge der ESA, aber wir können sie nicht anbieten, weil der Förderungspool für Österreich schon ausgeschöpft ist. Stattdessen wird die Konkurrenz herangezogen", sagt Werner Köstler von TTTech.
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Österreichische Firmen haben sich einen sehr guten Ruf erarbeitet und würden viele ESA-Aufträge gewinnen. Sie können aber nicht alle annehmen. Denn die Höhe der Mitgliedsbeiträge der ESA-Staaten bestimmt, wie viele Gelder in Form von Aufträgen wieder in die Länder zurückfließen können. Ist das Limit erreicht, gehen die Aufträge an Firmen aus anderen Ländern.
Österreich könnte Gelder aufstocken
Das ist ein Grund, warum Österreich eine sogenannte Nachzeichnung in Betracht zieht, also eine Aufstockung des ESA-Budgets für die kommenden 3 Jahre. Ein offizielles Statement des verantwortlichen Klimaministeriums gibt es dazu zwar noch nicht. Diskutiert wird, mehreren Quellen zufolge, über zusätzliche 50 Millionen Euro. Im November 2022 sprach Österreich der ESA insgesamt 231 Millionen Euro für die nächsten 3 Jahre zu.
ESA-Mitgliedsbeitrag
Ministerratskonferenz im November 2022:
- Insgesamt erhält die ESA 16,9 Milliarden Euro für die nächsten 3 Jahre
- Jedes Land zahlt einen Pflichtbeitrag, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Für Österreich sind das 116 Millionen Euro
- Jedes Land kann optional weitere Projekte unterstützen. Österreich steuert hier 115 Millionen bei
- 30 Prozent der optionalen Beiträge aus Österreich gehen in die Erdbeobachtung
Dass Länder nachträglich das Budget aufstocken, ist nicht außergewöhnlich. "Im Gegenteil: Das wird regelmäßig durchgeführt. Ein anderes Land hat sogar mehr Nachzeichnung geplant als Zeichnung", sagt Josef Aschbacher. Wenig überraschend würde er eine Erhöhung des österreichischen Beitrags begrüßen: "Wir wollen eine Finanzierung ermöglichen, mit der Produkte entwickelt und verkauft werden können."
Hoher Multiplikator
Es macht durchaus Sinn, die Gelder über die ESA zu verteilen und nicht direkt an die österreichischen Firmen auszuzahlen. Die Unternehmen entwickeln Produkte für wichtige ESA-Missionen und können diese dann auf dem freien Markt anbieten. Hier liegt der Multiplikationsfaktor bei 7 bis 9 durch Folgeaufträge. Noch höher ist er bei der Erdbeobachtung. "Für jeden Euro, den Österreich in das Programm einzahlt, gehen 10 zurück in die Wirtschaft", erklärt Aschbacher.
Davon profitieren nicht nur eine Handvoll großer Unternehmen. Laut Andreas Geisler von der FFG gibt es derzeit 180 kleine und mittelständige Unternehmen (KMU) in Österreich, die sich mit dem Weltraum befassen. Davon sind 64 bei der ESA registriert. Zum Vergleich: Mit einem ESA-Beitrag von 3,5 Milliarden Euro ist Deutschland der größte Beitragszahler und stemmt allein 20 Prozent des Budgets. Dort sind aber "nur" 317 KMU registriert.
Die ESA hat ein eigenes Programm zur Förderung von KMUs und Österreich ist das Land, in dem die meisten Rückflüsse bei KMUs landen.
München wird "Space Silicon Valley"
Trotzdem verlassen viele Österreich. Einige gehen in die USA, andere nur über die Landesgrenze nach München, wo sich um die dortige TU ein neues "Space Silicon Valley" bildet, wie es Robert Greinecker nennt. Allein für den Sektor Erdbeobachtung steuert Deutschland 669 Millionen Euro zu. Dementsprechend höher sind die Rückflüsse für deutsche Firmen.
Die Industrievertreter sind zuversichtlich, dass Österreich dieser Entwicklung entgegenwirken kann. Das Interesse am Weltraum sei groß bei jungen Menschen, doch es fehlen Studiengänge für den Weltraum- und Raumfahrtsektor.
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IRIS²: Europas nächstes Großprojekt
Angebote sind in Zukunft ausreichend vorhanden. Bei der Mondstation Lunar Gateway ist Österreich bereits vertreten. Das nächste große Projekt, auf das die österreichischen Firmen hoffnungsvoll blicken, ist das EU-Satellitennetzwerk IRIS². Ähnlich wie Elon Musks Starlink soll es sicheres, verschlüsseltes Internet liefern.
Für viele ESA-Großprojekte entwickeln und fertigen Firmen nur sehr geringe Stückzahlen. Für IRIS² müssen schnell Komponenten für Hunderte Satelliten gefertigt werden. Dementsprechend lukrativ wäre ein Auftrag für Firmen, die an diesem Projekt beteiligt sind.
Die Konstellation wurde 2022 von der EU beschlossen, nachdem Russland die Ukraine vom Mobilfunk- und Internetnetz abgeschnitten hat. Elon Musk versorgt die Ukraine mit Starlink-Internet. Im Krisenfall will die EU das auch für ihre Mitgliedstaaten können.
Die ersten IRIS²-Satelliten sollen bereits 2024 aktiv sein. 2027 soll es seine volle Kapazität erreichen. "Die Industrie stellt sich für eine Großserie auf, das ist hoffentlich ein Boost für die europäische Raumfahrtindustrie", sagt Robert Greinecker.
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