Wie ungenutztes Schilf zum nachhaltigen Torf-Ersatz wird
„Torf ist großartig für das Pflanzenwachstum, weil es das Vierfache des Eigengewichts an Wasser speichern kann und weil man Nährstoffe für jede Pflanze passend dazu mischen kann“, erklärt Manfred Nachtnebel. Er leitet das gerade gestartete Projekt „Re-Peat“ am Zentrum für Elektronenmikroskopie (ZFE) an der TU Graz, das eine Alternative für Torf entwickelt.
Denn durch dessen Abbau gelangen große Mengen an Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre. Gleichzeitig gehen Moorlandschaften als wichtige Kohlenstoffsenken verloren.
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Ein Großteil des Torfes, der im österreichischen Gartenbau zum Einsatz kommt, wird aus dem Ausland importiert – über 100.000 Tonnen pro Jahr. Innerhalb der kommenden 5 Jahre soll diese Menge halbiert werden.
Nachhaltige Alternative
Re-Peat, das vom Forschungsnetzwerk Austrian Cooperative Research (ACR) ins Leben gerufen wurde und vom Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus gefördert wird, könnte diese Lücke füllen. „Wir wollen den Reststoff Schilf zu einem Torf-Ersatzstoff aufwerten“, erklärt Nachtnebel.
Manfred Nachtnebel vom ZME der TU Graz im Labor.
© FELMI-ZFE Graz / M. Wallner
Das schnell wachsende Süßgras ist reichlich verfügbar, ohne dass es derzeit als Rohstoff Anwendung finden würde. Allein in der Region um den Neusiedler See fallen jährlich 7.500 Tonnen davon an, bei verbesserter Erntetechnik könnte die Ausbeute noch gesteigert werden.
Doch es braucht ein ausgeklügeltes Verfahren, um Schilf für den Gartenbau nutzbar zu machen. „Wer ein Schilfdach hat, weiß, dass das Material ewig hält. Damit es abgebaut wird, braucht man zusätzlich etwas, das Stickstoff enthält“, erklärt der Forscher.
Abfallprodukt aus der Bierbrauerei
Theoretisch könnte man einfach organische Abfälle – also Biomüll, Grünschnitt und Ähnliches – untermischen, um die Zersetzung anzukurbeln. Doch das Ergebnis wäre zu ungleichmäßig für die hohen Anforderungen des Erwerbsgartenbaus.
Das Re-Peat-Team setzt deshalb auf Biertreber-Reste der Gösser-Brauerei, die bereits eine Biogas-Anlage durchlaufen haben. „Die Idee kommt aus einem ACR-Vorgängerprojekt. „BioProfit“ hat die Gärreste von Biogas-Anlagen weiterverwertet“, sagt Nachtnebel.
Die Feststoffe daraus wurden direkt als Torf-Ersatzstoff verwendet. Der Stickstoff aus einem weiteren Teil der Gärreste wird nun gemeinsam mit dem Schilf verarbeitet.
Mechanische Bearbeitung
Dessen Struktur sei anfangs völlig unpassend, weshalb es zunächst mechanisch bearbeitet werden müsse. „Das Schilf wird mit einem riesigen Häcksler zerkleinert oder mit Walzen gequetscht“, beschreibt er.
Dieser Prozess, der Mikroorganismen mehr Angriffsfläche zur Zersetzung geben soll, wird von einem burgenländischen Substrathersteller Terra Green übernommen. Beim AEE INTEC in Gleisdorf wird das vorbehandelte Schilf im Labormaßstab mit dem Biertreber vermengt und kompostiert. Dabei werden Temperatur sowie Stickstoff- und Sauerstoff-Gehalt aufgezeichnet.
Untersuchung der Mikrostruktur
Proben davon werden anschließend 2- bis 3-mal pro Woche am ZFE untersucht. Im besten Fall stimmen diese in ihrer Mikrostruktur möglichst genau mit dem Torf überein.
Nachtnebel hat üblicherweise mit ganz anderen Stoffen zu tun, etwa Stahl oder Kunststoff: „Mit dem Projekt ist ein Kryo-Ultramikrotom zu uns ins Haus gekommen, das uns überhaupt erst ermöglicht, solche sensiblen organischen Materialien zu untersuchen.“
Elektronenmikroskopie
Dieses Gerät friert eine Probe ein und schneidet diese dann mit einem Diamantmesser in hauchdünne Scheiben. Erst so präpariert kann der Torf oder das Schilf anschließend mit Elektronenmikroskopen untersucht werden.
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Diese benötigen nämlich Hochvakuum, das unpräparierte Proben sofort zusammenschrumpeln lassen würde, sagt Nachtnebel. Die originale Struktur wäre dann nicht mehr erkennbar: „Wir wollen sozusagen die Traube anschauen, und nicht die Rosine.“
Wirtschaftlichkeit
Ziel ist es, den Kompostierungsprozess durch genau abgestimmte Verarbeitungsschritte von etwa einem halben Jahr auf 6 bis 8 Wochen zu verkürzen. Erst dann könne sich das Verfahren wirtschaftlich lohnen.
Vorbilder für das Forschungsprojekt gebe es kaum, da bisher andere Ausgangsmaterialien, etwa Maisstroh, untersucht wurden, sagt Nachtnebel. Re-Peat erweitert diese Ansätze um den Aspekt, dass die Prozesse von Anfang an kontrolliert gesteuert werden: „Wir versuchen, das sozusagen von hinten aufzurollen.“
Qualitätskontrollen
Die Lebensmittelversuchsanstalt in Klosterneuburg kümmert sich im Rahmen des Projekts um detaillierte chemische Analysen des Schilf-Substrats. Eine exakte Klassifikation der Inhaltsstoffe sei wichtig für die Qualitätskontrolle und damit die breite Anwendbarkeit des Torf-Ersatzstoffes, betont der Forscher.
Tests mit Pflanzen sollen schließlich zeigen, ob die Schilf-basierte Alternative bezüglich Nährstoffzusammensetzung und Verträglichkeit mit herkömmlichen Torf-Substraten mithalten kann. „Wir haben uns theoretisch schon alles durchüberlegt, aber die Natur ist uns sozusagen immer einen Schritt voraus. Sobald wir mit diesen Versuchen im kleinen Maßstab fertig sind, ist das Ziel in greifbarer Nähe“, so der Projektleiter.
Zusammenarbeit mit Gartenbaubetrieben und Substratherstellern
Danach werde es noch größer angelegte Pilotversuche geben, die die Bedingungen in der Praxis möglichst gut abbilden sollen. Gartenbaubetriebe und Substrathersteller werden in Kooperation mit Güssing Energy Technologies (GET) von Anfang an in das Projekt integriert.
„Wir wollen nichts machen, womit man am Ende nichts anfangen kann“, sagt Nachtnebel. Das Projekt soll durch die Aufwertung des Schilfs nicht nur eine Marktlücke schließen, sondern auch ein innovatives Dienstleistungsmodell schaffen.
Patentierung geplant
Das neue Verfahren soll patentiert und heimischen Substratherstellern in einem Lizenz-Modell zur Verfügung gestellt werden. Auch ein umfassendes Konzept zur Qualitätskontrolle ist geplant.
„Wenn alles gut läuft, ist unser Torf-Ersatz in zweieinhalb Jahren am Markt“, schätzt Nachtnebel. An mangelnder Nachfrage dürfte es nicht scheitern, denn allein in Österreich gibt es etwa 1.200 vorrangig kleine und mittlere Unternehmen im Gartenbau, die derzeit Torf-Substrate einsetzen.
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Würden diese zumindest teilweise durch das Schilf-basierte Substrat ersetzt, könnte dadurch die Lebensmittelproduktion nachhaltiger und zugleich die heimische Wirtschaft gestärkt werden: „Re-Peat ist eine gute Chance, endlich weniger Torf zu importieren“, betont Nachtnebel.
Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft, Energie und Tourismus.
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