Fahrsimulator der TU Graz mit Fahrerin

Fahrsimulator der TU Graz mit Fahrerin

© FTG/TU Graz

Science

Wie man automatisierte Fahrzeuge virtuell überprüfen kann

Im motorisierten Straßenverkehr kommen immer mehr Assistenzsysteme zum Einsatz, die Fahrer*innen immer mehr Aufgaben abnehmen. Um die Sicherheit dieser Systeme und die Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu testen, spulen Fahrzeugentwickler*innen viele Millionen Kilometer ab. Die TU Graz, Joanneum Research, AVL und Fraunhofer Austria haben eine Methode entwickelt, mit denen Testfahrten in Fahrsimulatoren durchgeführt werden können. Die Simulationen sollen so realistisch sein, dass automatisierte Fahrsysteme damit umfassend validiert werden können - etwa um Freigaben dafür zu erteilen.

Testen bis zum Unfall

Im Zuge der zunehmenden Automatisierung von Fahrzeugen wird Menschen ein immer größerer Freiraum gegeben, um sich im Auto anderen Dingen als dem Verkehrsgeschehen zu widmen. Für Fahrzeugentwickler ist das eine enorme Herausforderung, wie Arno Eichberger, Leiter des Forschungsbereichs Automated Driving & Driver Assistance Systems am Institut für Fahrzeugtechnik der TU Graz, erklärt. "Der Mensch ist ein fast perfekter Fahrer. Laut Unfallstatistik gibt es auf 200 Millionen gefahrenen Kilometer nur einen Todesfall." Bei Fahrzeugtests ginge es darum, so lange zu fahren, bis kritische Situationen auftreten. Will man komplexe automatisierte Fahrsysteme freitesten, müsste man theoretisch mehrere Milliarden Testkilometer zurücklegen.

Eine zusätzliche Herausforderung sei, dass es bis vor Kurzem noch kein standardisiertes Verfahren gegeben habe, um fortschrittlichen Systemen wie einem "Hands Off"-Staufolgeassistenten (ALKS) eine Freigabe für den Straßenverkehr zu erteilen. Seit März 2021 existiert jedoch ein weltweit gültiges UN-Regulativ. Genau auf diesem baut auch die in der Steiermark entwickelte Überprüfungsmethode auf. Sie verwendet so genannte digitale Zwillinge von Fahrzeugen und versetzt diese in eine virtuelle Umgebung. Menschliche Fahrer werden über einen Fahrsimulator eingebunden.

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Mit diesen Fahrzeugen werden echte Strecken zentimetergenau gescannt und die Leistung von Sensoren getestet

Scans von realen Strecken

Um die virtuelle Testumgebung zu erschaffen, wird ein Auto mit einem sehr genauen Vermessungssystem über eine reale Strecke geschickt, wie Patrick Luley, Leiter des Forschungslabors für hoch automatisiertes Fahren bei Joanneum Research, beschreibt. "Von 'Mobile Mapping'-Daten werden dann zentimetergenaue Ultra-High-Definition-Karten (UHDmaps) abgeleitet." Die virtuelle Umgebung muss nicht nur realistisch aussehen, sondern auch unterschiedliche Materialeigenschaften beinhalten, etwa um die Signalausbreitung von diversen Fahrzeugsensoren wie Radar oder Lidar zu simulieren. Zu den statischen Faktoren kommen in der Simulation noch dynamische hinzu, etwa unterschiedliche Wetterbedingungen, Lichteinfallswinkel, bewegte Objekte wie andere Fahrzeuge oder sich bewegende Fußgänger*innen.

Im UN-Regulativ sind bestimmte Szenarien vorgeschrieben, etwa wie ein automatisiertes Fahrzeug reagiert, wenn ein anderes plötzlich vor ihm auf die Fahrbahn einschert. Die Simulationen der österreichischen Forschungspartner gehen darüber weit hinaus. "Ich kann alles darstellen, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt." Auch die Genauigkeit der Simulationen lässt sich variieren. "Man muss da allerdings eine gute Mischung finden, sonst fängt alles zum Ruckeln an. Denn im Fahrsimulator muss alles in Echtzeit passieren", sagt Eichberger.

Vergleich zwischen Punktewolke aus Scans und einem 3D-Modell einer Teststrecke aus UHDmaps

Vergleich zwischen Punktewolke aus mobilen Scans und dem fertigen 3D-Modell einer Teststrecke aus UHD Maps

Übergabe von Maschine zu Mensch

Ein besonderer Fokus liegt auf Übergabeprozeduren. Bestimmte Situationen auf der Straße können automatisierte Fahrsysteme nämlich überfordern und der Mensch soll die Kontrolle übernehmen. Dafür bleiben meist nur wenige Sekunden Zeit. Das Fahrzeug muss sicherstellen, dass Fahrer*innen dabei nicht völlig überrascht werden. "Dafür werden mehrere Kriterien abgefragt", erklärt Eichberger. "Fahrer*innen müssen auf die Fahrbahn blicken, angeschnallt sein und den Kopf nach vorne gewandt haben. Wie man das technisch löst, ist egal. In den Tests muss man nur nachweisen, dass die Aufmerksamkeit erkannt wird."

Ergibt sich während der Übergabe des Steuers eine neue gefährliche Situation, muss das automatisierte Fahrzeug darauf reagieren, z.B. eine Notbremsung einleiten. Reagiert ein Fahrzeug genauso gut wie ein aufmerksamer Fahrer, hat es den Test bestanden.

Kommerzialisierung der Methode

Dass die Simulationen realistisch sind, zeigen Vergleichsfahrten. Bestimmte Szenarien werden dabei sowohl in virtueller Umgebung, als auch auf einer realen Teststrecke durchgeführt. Die Ergebnisse stimmen weitgehend überein. "Was wir hier entwickelt haben, ist aus einem Bedarf der Industrie entstanden und wird von AVL bereits verwendet", erklärt Luley. Die Methode sei eigentlich das Ergebnis mehrerer Forschungsprojekte, welche die Projektpartner aus Eigenantrieb durchgeführt haben. Die Kommerzialisierung erfolge nun bilateral zwischen den einzelnen Partnern und Auftraggebern aus Industrie und Forschung.

Tests im echten Straßenverkehr

Automatisierte Fahrsysteme werden derzeit großteils auf realen Straßen getestet – entweder auf abgesperrten Teststrecken oder sogar im normalen Straßenverkehr. Ein besonders plakatives Beispiel dafür sind wohl jene Tests, die Google-Tochter Waymo oder Uber in mehreren US-Städten durchführen. Hochgradig automatisierte Fahrzeuge sind dort bereits als frei verfügbare Taxis im Einsatz. Dadurch können jede Menge Daten über das Verhalten der Bordsysteme in unterschiedlichsten Situationen gesammelt werden. Im vergangenen Jahr hat Waymo verkündet, mehr als 20 Millionen Meilen (32 Mio. km) mit der gesamten Flotte zurückgelegt zu haben.

Automatisierungsgrad

Die Waymo-Fahrzeuge erreichen den Automatisierungsgrad 4, Fahrer können das Steuer dabei völlig abgeben. Den Weg bis zur Erreichung dieser Stufe halten Experten für gefährlicher. Dabei werden auch Fahrzeuge mit Automatisierungsgrad 2 oder 3 im Straßenverkehr getestet. Bekanntestes Beispiel dafür ist Tesla mit seinem Autopiloten und seiner „Full Self Driving“-Software (FSD). Nachdem es mit dem Autopiloten (Automatisierungsstufe 2) bereits zu mehreren tödlichen Unfällen gekommen war, wird die schrittweise Einführung der FSD-Software scharf kritisiert.

Während solche Tests in den USA möglich sind, gibt es hierzulande strengere Vorschriften. Das Fahren mit Assistenzsystemen ist nur mit Händen am Lenkrad erlaubt. Der Fahrer muss stets eingreifen können. Tests von Robotertaxis wie jene von Waymo sind nicht erlaubt.

 

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Mobilität, Klimawandel, Energie, Raumfahrt und Astronomie. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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